Münchhausen. Karl Immermann

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Münchhausen - Karl  Immermann


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Der Geist legt mir ein Trostlied auf die Lippen, bewahre es im tiefsten Schrein des Herzens als heiliges Gemütsgeheimnis; daran wollen wir uns einst wiedererkennen:

      Einst liebtest du den Nußknacker,

      Nach dem Nußknacker liebtest du mich;

      Nun holet das Schicksal, der Racker,

      Erst den Nußknacker, dann holt es mich!

      Der Nußknacker sank auf den Kehrich,

      Und mich rauben die wilden Birmanen;

      Nußknacker kehrt nicht, aber kehr‘ ich,

      Hol‘ ich ab dich vom Schloß deiner Ahnen!

      Die Häscher verhinderten die Fortsetzung dieser Ode, indem sie ihn abführten. Emerentia sank in Ohnmacht. Zwei Juden brachten sie ihren bestürzten Eltern.

      Drittes Kapitel

Weitere Nachrichten von dem alten Baron und seinen Angehörigen

      Als die Eltern nach einer ziemlich trübseligen Reise mit Emerentien wieder auf dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr angekommen waren, wollten die feurigen Landjunker ihre unterbrochnen Werbungen erneuern, aber das verstimmte Fräulein wies sie jetzt noch entschiedner zurück, als früherhin. Ihre Gesundheit hatte offenbar durch den Kummer gelitten, die Züge des Gesichtes nahmen oft einen seltsamen Ausdruck an, die Speisen machten ihr Widerwillen, sie befand sich hin und wieder sehr übel. Der alte Baron ließ einen Arzt kommen; der Arzt sprach mit dem Fräulein unter vier Augen, kam mit einem länglichten Gesichte aus dem Zimmer und sagte zu den Eltern: »Die Luft von Nizza ist ihr zu nahrhaft gewesen, das ist eine Luft für Schwindsüchtige, aber nicht für Vollblütige, es entstand eine Überfüllung von Säften in ihr, sie muß in eine zehrende Luft, in ein anderes Bad, da kommt alles wieder in das Gleichgewicht. Auch allein muß sie reisen, damit sie Trübsal hat und Sehnsucht, dann zehrt sie um so eher ab.« Die Eltern glaubten dem guten verständigen Arzte, und ließen Emerentien in ein anderes Bad, worin eine zehrende und abmagernde Luft wehte, reisen, ganz allein ließen sie sie reisen, weil der Arzt es so haben wollte.

      Die Kur mußte sehr gründlich und nachhaltig vorgenommen werden, wenn sie anschlagen sollte; das Fräulein blieb deshalb viele Monate lang im Bade. Dann kam sie zurück, gesünder und wohler, als sie je zuvor gewesen war. Auch ihre Stimmung hatte sich ganz wieder erheitert; sie lebte in dem festen Vertrauen, daß Signor Rucciopuccio als glücklicher Prätendent von Hechelkram eines Tages ankommen werde, sie aus dem Schlosse abzuholen. Die Mutter sagte: »Wenn das ist, so steht alles wohl, dann hast du in Nizza nur deine Bestimmung erfüllt.«

      Viele Jahre verflossen seitdem. Der alte Baron war nun wirklich ein alter Baron, Fräulein Emerentia eine alte Jungfer geworden, die alte Baronesse aber inzwischen an einem erblichen Familienübel des Zweiges Schnuck-Muckelig-Pumpel gestorben. Die Jahre hatten das Alter gemehrt und die Gelder gemindert, woraus sich aber der Baron wenig machte. Sagte ihm sein Rentmeister: »Herr Baron, die Pächte und die Zinsen reichen nicht zu«, so war die Erwiderung: »Tut nichts, wenn alles aufgezehrt ist, gehe ich in das höchste Kollegium, und lebe von meiner Besoldung; ich bin geborner Geheimer Rat. Geld muß ich haben, also verkauft nur einige liegende Gründe, lieber Rentmeister.«

      Der Rentmeister richtete sich nach diesen Worten, und verzettelte nach und nach alle liegenden Gründe, die zum Schlosse gehörten, Felder, Wiesen, Triften, Holzungen. Als er das letzte Stück losgeschlagen hatte, trat er wieder zu dem alten Baron in das Zimmer und sagte: »Ew. Gnaden, mit den liegenden Gründen wären wir nun fertig; ich begehre meinen Abschied, denn wo keine Renten sind, da ist kein Rentmeister mehr vonnöten.«

      »Sehr wahr!« versetzte der alte Baron, »so wahr, als wie, daß zweimal zwei vier tun; ich will Euch ein Attest schreiben über wohlgeführte Administration; was mich betrifft, so gehe ich jetzt in das höchste Kollegium und werde Geheimer Rat.«

      Ach! aber als er nach dem höchsten Collegio fragte, so war ein solches nicht mehr vorhanden, und als er nach den Fürsten von Hechelkram fragte, so sagte man ihm, die hätten längst aufgehört zu regieren, und als er sich bei dem Reichstage erkundigen wollte, wie er seine wohlhergebrachten Ansprüche durchzusetzen habe, so hörte er, das deutsche Reich wäre schon vor so und so vielen Jahren einmal unversehens dem Kaiser unter den Händen weggekommen. »Sonderbar!« rief der alte Baron, »wie ist das nur zugegangen?« Er versank in tiefes Nachdenken, und dachte mehrere Jahre lang darüber nach, wie nur das deutsche Reich habe wegkommen, der Hechelkramische Fürstenstamm aufhören können, zu regieren, und wie es möglich sein sollte, daß er nicht mehr geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio sei? Für die beiden ersten Probleme fand er zuletzt noch eine Lösung, aber das letzte, das Geheimrats-Problem blieb ihm unlösbar, und deshalb kam er endlich auf den Gedanken, die gegenwärtigen Verhältnisse seien nur ein kurzer Übergang, die alte, gute Zeit stehe schon wieder vor der Türe, und werde bald anklopfen. Mit diesem Gedanken erhielt er seine ganze Heiterkeit zurück. Er nahm sich vor, in der daraus entspringenden Überzeugung zu leben und zu sterben.

      Inzwischen waren die Brillanten, Perlen, Roben und Spitzen der seligen gnädigen Frau vertrödelt worden, dann wurde das eiserne Gitterwerk von der Pforte abgebrochen und, benebst den Pflastersteinen des Hofplatzes, samt allen entbehrlichen Hausmobilien, nach und nach in Geld umgesetzt. Derweilen biß auch der Wappenlöwe in das Gras, darauf bröckelte der Bewurf von den Wänden, und dann wich die Giebelmauer gefährlich aus ihrer lotrechten Stellung, ohne daß eine Reparatur versucht werden konnte, weil die rohen Handwerksleute nur, wenn sie Geld sehen, Hand und Fuß regen.

      Viertes Kapitel

Die blonde Lisbeth

      In dem nach und nach sotanerweise herabgekommenen sogenannten Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr mußte sich der alte Baron mit seiner Tochter Emerentia, die seit dem Eintritte in die stehenden Jahre so sehr an Fülle zunahm, wie die Mittel abnahmen, kümmerlich und einsam behelfen. Die Jagd hatte natürlich aufgehört, weil die Waldgründe verschwunden waren, in denen dieses Vergnügen sich betreiben läßt, und an Spiel war auch nicht mehr zu denken; man hätte um Rechenpfennige die Stiche machen müssen. Allmählig waren daher auch die Freunde seltener geworden, zuletzt blieben sie ganz aus, waren auch wohl zum Teil gestorben. Vater und Tochter hätten sich am Ende den Kaffee und die spärlichen Mahlzeiten selbst bereiten müssen, denn auch die Bedienten und Mägde schlichen sich allgemach aus Mangel der Bezahlung weg, wäre diesem dürftigen und zusammensinkenden Haushalte nicht eine Stütze in der blonden Lisbeth erwachsen, welche, sobald sie die Hände zu Dienstleistungen zu regen imstande war, dem alten Baron und dem Fräulein wie die geringste Magd aufwartete, kochte, wusch, säuberte, dabei aber immer hold und freundlich aussah, und wenn sie das Schwerste verrichtet hatte, so tat, als habe sie nichts getan.

      Die blonde Lisbeth war ein Findelkind. Ein altes Weib hatte einst vor Jahren eine große Schachtel, mit kleinen Löchern versehen, auf das Schloß gebracht, sie einem Bedienten übergeben, und ihm gesagt, darin sei ein Geschenk für den Herrn, welches ein guter Freund schicke. Indem nun der Bediente die Schachtel zu dem gnädigen Herrn hineintrug, fing das Geschenk darin an, sich zu regen, und ein feines Geschrei zu erheben. Der Mensch hätte es bald vor Schreck zu Boden fallen lassen, besann sich indessen doch, und setzte die Schachtel vorsichtig auf einen Tisch in des gnädigen Herrn Zimmer. Der alte Baron öffnete den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höchstens sechs Wochen streckte ihm aus den Lümpchen, womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war, wie hülfeflehend die Ärmchen entgegen, indem die kleine Kehle sich wacker in den ersten Lauten übte, welche die Menschheit von sich gibt.

      Übrigens lag das Kindlein weich in Baumwolle gebettet. Sonst aber fanden sich durchaus keine Amulette, Kleinodien, Kreuze, versiegelte Papiere, welche auf den Ursprung des kleinen Wesens hindeuteten, und ohne welche ein wohlkonditionierter Romanenfindling sich eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Kein Mal unter der linken Brust, kein eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten Arme, von welchem sich dermaleinst im Schlafe das Gewand verschieben konnte, daß jemand, der zufällig die Schlafende sieht, Soupçon bekommt, und weiter nachfragt, wie? oder wann? und so fort — kurz nichts, gar nichts, so daß mir selbst um die Wiedererkennung


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