Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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hatte gelebt und geliebt, wie man sagt.

      Er war ein schöner Mann und hatte ein Schloß und Wald und Jagd und war ein große Jäger. Er hatte genug von die Frauen und deshalb heiratete er.

      Und wie ich sagte: Er heiratete eine junge Ausländerin – schön – klug und sie hatte nicht gelebt und geliebt, wie man sagt, und liebte ihren Mann mit solch einer schönen jungen Liebe und solch einem Verlangen nach Liebe. Und er hatte nicht ein Verlangen nach Liebe und kümmerte sich wenig um sie.

      Sie aber war traurig darüber und er ging alle Morgen auf die Jagd.

      Im Winter, vor Sonnenaufgang stand er leise auf und ließ sie in Thränen verliebt allein. Da sann sie, wie sie ihn halten könne.

      Und einmal war es auch, da wußte sie schon, daß er wieder gehen würde. Draußen lag leichter Schnee über der Welt und der Mond schien helle.

      Da war sie es, die aufstand, viel, viel leiser als er, so zart, wie eine Hauch und sie legte ihre Nachtkleider ab und schlüpfte nur in eine weiche Pelz – dann schlich sie fort – und zum Schloß hinaus.

      Und unter einer einsamen Linde warf sie ihre Pelz ab und stand in ihre große Schönheit im Mondschein.

      Da legte sie sich in den weißen, unberührten Schnee und der Schnee trug die Linien von ihre zarte Gestalt. Dann hob sie sich wieder und schlüpfte in ihr Pelz und eilte schnell in das Schloß zurück, in ihr Schlafzimmer – leise – wie ein Hauch.

      Und als der Baron erwachte und sie wollte verlassen, um zur Jagd zu gehen – da sagte sie: ‚O denke, es ist ein edles Wild bis nah vors Schloß gewesen, ich habe seine Spur gesehen unter der Linde.‘

      Da lachte er und glaubte nicht.

      ‚O geh, sagte sie, du wirst es sehn, daß ich wahr sagte.‘

      Und er ging.

      Und als er wiederkam? Da verließ er ihr, denke ich, nicht mehr.

      Und meine Geschichte heißt: Die Wildspur.

      Das ist was ich nenn ‚Frau‘ und ‚Liebe‘, so süß und klug. O, es gehört mehr Weisheit und Seele – und Geist dazu, als zu eine Eisenbahn baun.“

      „Eine Geschichte für junge Damen,“ sagte der moderne Schriftsteller lächelnd und verbeugte sich leicht, zu Marie und Isolde gewendet.

      „Gewiß für junge Damen,“ sagte die schöne Frau. „Oder meinen Sie für alte?“

      Die kleine Geschichte hatte sie mit solch einer freimütigen Schönheit erzählt, daß es über alle wie ein Hauch von Poesie ging.

      Doktor Frey erhob sich, goß ein zierliches Kristallglas voll Wein, ließ sich vor Mrs. Wendland auf ein Knie nieder und sagte indem er das Glas an die Lippen führte: „Dem wundervollsten Weib!“

      „O, Sie sind ein deutscher Dichter! Sie sind ein Freiheitsmensch, ich weiß.

      Es ist sehr nötig hier.“

      Die beiden jungen Männer, der Schriftsteller und Henry Mengersen verhielten sich bisher passiv. Der Schriftsteller hatte den Blick selten von Mrs. Wendland gekehrt.

      „Kann so bleiben,“ murmelte er ein paarmal vor sich hin, „kann so bleiben.“

      Henry Mengersen war, wie es schien, ein wenig verstimmt.

      Mrs. Wendland hatte Doktor Frey und seine beiden Mädchen veranlaßt, mit ihr auf den Balkon hinauszutreten.

      „Alles angeweiblicht – für Weiber!“ – sagte Henry Mengersen zum Baron gewendet. „Jawohl, Eisenbahnen bauen! O teure Mistreß, versuchen Sie’s mal.“

      „Na,“ meinte der Baron, „Sie Tiger, das sagt man doch bloß. Und übrigens, ich habe nichts gegen das Ewig-Weibliche hier um diesen Tisch. Reizende Kerlchen – was?“

      Er zwinkerte und deutete mit diesem Zwinkern auf die verlassenen Plätze der beiden Mädchen.

      „Nicht übel, die eine ist mir schon bekannt, ein sonderbares Huhn.“

*

      Zum Souper kleideten sich die beiden Mädchen in ihre duftigen langen Gewänder und es fiel ihnen wie ein Stein vom Herzen, als sie sich so schön sahen. Die Vornehmheit bedrückte sie nun nicht mehr.

*

      Spät am Abend sprach Mrs. Wendland den Wunsch aus, daß Henry Mengersen sie alle miteinander in sein Atelier führen möchte.

      Auf eine kühle Art zeigte er sich bereit dazu.

      Isolden schlug das Herz.

      Und während die anderen im Salon noch eifrig plauderten, stand sie allein draußen auf der Terrasse und sah in die Sommernacht hinaus.

*

      Zwei Jahre mochten es her sein, da hatte sie in einer Münchener Kunstausstellung, kaum fünfzehnjährig, vor einer Reihe Radierungen gestanden – und das Kind hatte geschaut und geschaut, die Zeit war ihr vergangen, ohne daß sie es empfand.

      Die Leute hatten über das kleine weltvergessene Mädchen gelächelt.

      Sie aber hatte eine neue Welt gesehen und gefühlt.

      Da war eine Landstraße gewesen, eine langgestreckte Landstraße, links und rechts mit jungen Obstbäumen besetzt und diese Straße führte geraden Wegs hinein in einen dunkeln, drohenden schweren Gewitterhimmel.

      Niemand ging diese Straße. Sie aber ging sie. Sie ging im Geist auf dieser Straße.

      Eine große tote Stille – kein Blatt rührt sich – kein Laut – und auch die ungeheure Wolkenmasse stand unbeweglich, ein großes, düstres Geheimnis.

      Und diesem drohenden, düsteren Unbekannten lief sie entgegen. Sie ging nicht, sie lief.

      Sie war ganz entrückt.

      Und dann ein andres Blatt:

      Auf hohen Gebirgsgipfeln mitten in der Gletscherwelt, im ewigen Schnee, kämpften zwei Titanen unter schwerem Himmel. Der ewige Schnee stiebt um sie her. Eisklötze fliegen. Der Grund ist zerwühlt, zerstampft, zerklüftet und zerrissen von der Gewalt der Hufe.

      Um was kämpfen sie? Um ein armes Häschen, das tot und winzig im Schnee liegt, das der eine erbeutet hat und der andere ihm nicht gönnt.

      Da mußte das Kind lachen.

      Und weiter:

      Auf einem Bild sah sie ein Liebespaar. Rosen und Nacht. Es war alles so verstohlen.

      Sie begriff.

      Es war da ein Duft von Jasmin in der Luft – und das Geheimnis, das große Geheimnis.

      In der Schule steckten sie die Köpfe immer zusammen, das Eine, nur das Eine ließ ihnen keine Ruh; es sprühte ihnen im Blute, es stieg ihnen zu Kopfe, es nahm ihnen den Atem. Und dann war es so widerwärtig – die anderen konnte man darum hassen, daß sie davon tuschelten. Und im Umsehen waren sie wieder dabei – sie mit.

      Eine zeigte eine Stelle im Religionsbuche, ohne ein Wort zu sagen.

      Eine errötete. Und alle schauten und machten lange Hälse und wollten es sehen – lesen – genießen – davor erschauern – sie mit.

      Wie unanständige Kobolde, ganz elementar, ganz naiv. —

      Ja, und dieses Bild! da war das Geheimnis.

      Sie war aber wie reingespült davon.

      Eine süße, ungeheure Melodie hörte sie. Sie fühlte etwas so Großes, so Einziges, etwas zum Hinsterben. Von dem Tuscheln, Schauern, dem naiv frechen Treiben der unanständigen Kobolde, die die Leute Backfische nennen, war sie von jener Stunde an getrennt.

      Auf dem nächsten Bild dasselbe Liebespaar.

      Ja, sie erkannte sie beide wieder. Ein Kind war geboren. Das Weib lag langgestreckt und tot. Es stand da eine Wasserschale und Tücher lagen da. Sie sah das Weib mit Schauern. Es war eben geschehen.

      Der Mann kniete und hielt den Kopf des toten Weibes in seinen Händen und seinen Kopf hatte er ganz vergraben.

      Hinter beiden aber stand der Tod, riesig wie eine mächtige Wand, wie ein Fels und auf seinem Arm lag


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