Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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eine schmale Bett mit einem roten, altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt, das nach einer Altarverkleidung aussieht; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet, kein Fältchen, keine Unebenheit. Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern, Freundinnen.Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet, japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams, alles wohl abgestäubt.

      Das eine schmale Bett mit einem roten, altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt, das nach einer Altarverkleidung aussieht; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet, kein Fältchen, keine Unebenheit. Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern, Freundinnen.

      Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet, japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams, alles wohl abgestäubt.

      An der Wand des Bettes mit der geflickten Purpurdecke ist nichts dergleichen zu sehen; nur ein paar unaufgezogene Originalphotographien nach alten Meistern sind hier mit gelben Zeichenstiften fest gemacht.

      Die tiefen, vornehmen Töne unterbrechen das Banale der Wand.

*

      Die Thür zum Nebenzimmer wird geöffnet und eine weinerliche Stimme sagt:

      „Hast du denn garnichts weiter zu thun?“

      Die Stimme gehört einer langen schlanken Frau mit kleinem Kopf und feiner Gestalt.

      „Ach – das ist doch zu arg!“

      Jetzt wendete sich das Mädchen um. Sie schien zuerst nicht gehört zu haben.

      „Mama?“ antwortete sie.

      „Thust du denn auch gar nichts?“ – dieselbe weinerliche Stimme.

      „Was soll ich denn thun?“

      „Siehst du denn nicht, wie ich mich plage?“

      „Ach Mama.“

      Es lag so etwas in dieser gedehnten müden Antwort, als wollte sie sagen: Laß doch! Ich weiß wirklich nicht, was ich thun soll. Du plagst dich doch auf alle Fälle!

      „Nun, und Marie, weiß die es etwa nicht?“

      „Ja wohl, gescheidter wär’s aber, ihr ließt das Mädel mehr arbeiten, ihr verderbt jedes Mädchen.“

      „Werden etwa alle Tage Kapuziner hier ausgegraben?“

      „Das fehlte auch noch! Wie kannst du da nur immer zusehn? Ich bin froh, wenn ich nichts davon gewahr werde.“

      „Laß mich doch!“

      „Frau Doktor!“ rief dreimal hinter einander die ungebildete überlaute Stimme des Dienstmädchens vor der Thür.

      Und, als hätte ihr Vorgesetzter gerufen, war Frau Doktor Frey hastig zum Zimmer hinausgeschlüpft.

      Die junge Isolde seufzte, dehnte sich und hockte sich wieder am Fenster zurecht.

      Der Regen hatte nachgelassen. Der Tümpel auf dem Totenfeld war fast eingekrochen. Schimmernde Wasserblasen saßen im Sande und platzten und ließen einen feinen schwarzen Ring zurück, aus winzigen Kohlen- und Holzteilchen gebildet.

      Auch der ganze Tümpel hatte die verschiedenen Stadien seines Einkriechens mit schwarzen Linien bezeichnet – tripp, trapp, troll.

      Hier hatte er ein wenig gezögert, hier wieder, hier wieder. Es war wie eine feine Linienarbeit.

      Die kleine beinerne Insel, um die die Wellchen des Tümpels gespült hatten, der Schädel, lag jetzt ganz frei; auch um die Stirn saß das schwarze Linienwerk in perlmutterschimmernden Bläschen und leichtem Wasserschaum.

      Das alles sah das junge Mädchen. Sie hatte aus einem Schubfach ein Opernglas genommen und hielt es auf den Schädel gerichtet.

      Dann ging sie im Zimmer auf und nieder, ganz nachdenklich und nahm dann wieder das Opernglas.

      Die Dämmerung brach herein und am Himmel drohten schwarzblaue Wolken zu neuem Regenguß.

      Es kam ein Nachtrab.

      Vielleicht erst jetzt das Wahre! Auch der Wind hatte sich wieder erhoben. Die Leute rannten schon mit aufgespannten Regenschirmen.

      Des Mädchens ganzes Benehmen wurde ein unruhiges; etwas Unschlüssiges lag in ihren Bewegungen.

      Sie wanderte weiter im Zimmer auf und ab.

      Jetzt öffnete sie den Schrank, griff nach dem Hut, band ein Schleierchen vor, vorsichtig huschte sie aus dem Zimmer; draußen nahm sie ihren Regenmantel um, ging dann zur Korridorthür hinaus, und unter dem Regenschirm gerad über das aufgewühlte nasse Erdreich. Mit einem leichten blitzschnellen Niedertauchen hatte sie etwas ergriffen und schüttelte sich vor innerem Ekel.

      Sie schaute sich ängstlich um und vor der Hausthür blieb sie wieder aufatmend stehn.

      Wie ihr das Herz schlug!

      Aber, was sie wollte, hatte sie. Und etwas später wäre sie von den Arbeitern überrascht worden.

      Sie hörte sie kommen, auch der Kapuziner war unter ihnen.

      Sie murmelten und lachten; der Kapuziner hatte etwas Drolliges gesagt, wie es schien. Sie waren alle sehr guter Laune, denn sie hatten während des Regens im nächsten Gasthaus eins getrunken.

      Durch die enge Jungfernturmgasse, die auf den Platz mündet, kam ein Leichenwagen gefahren, und stand bald vor dem kleinen Totenfeld.

      Isolde hielt den Schädel unter dem Regenmantel verborgen.

      Unausgesetzt dieses Ekelgefühl und das Grausen – auch ein Gefühl der Schuld, so geheimnisvoll anziehend, wie aus einer andern Welt.

      Die Kisten wurden von den Arbeitern gelupft und in den Wagen geschoben.

      „Fahrt hin, ihr nassen Deiwel,“ sagt einer.

      „Herrschaft, seid’s ihr schwer!“ ein anderer. „Die haben sich zu guter Letzt noch tüchtig eins angedudelt.“

      Isolde drückte sich voller Grauen eng an die Hausthür an und erst als der gefüllte Leichenwagen dumpf davon rollte, trat sie ein.

      „Du bleibst eben bei mir“, sagte sie warm und trug ihren sonderbaren Schatz die Treppe hinauf.

      Oben angekommen, warf sie Hut und Mantel ab und ging mit dem Schädel in der Hand in die Küche.

      Die Magd kreischte auf. Sie kreischte, ohne aufzuhören. Isolde kehrte sich nicht daran und hielt den Schädel unter den Strahl der Wasserleitung.

      „Das erfrischt,“ sagte sie gutmütig.

      Frau Doktor Frey bügelte mit ihrer ältesten Tochter im Nebenraum.

      Auf das Geschrei des Dienstmädchens kamen sie herbei.

      „Isolde!“ schrie auch Frau Doktor Frey außer sich.

      Isoldes Schwester verbarg das Gesicht in der Schürze, und wagte gar nicht aufzusehen.

      „Schön ist er doch!“ meinte Isolde gemütsruhig. Sie hob den Schädel mit beiden Händen hoch.

      „Daß du mir jetzt mit dem Ekel gehst! In der Küche so ’ne Schmutzerei! – Pfui Tausend!“

      „Wir haben ja doch alle so einen unter dem Gesicht – was ist da weiter?“

      Sie ließ sich nicht irre machen, besprühte den Schädel von neuem unter dem Wasserstrahl.

      „Ide göh doch – ich bitt’ dich – mir wird ganz schlecht.“

      Das war so eine weiche, weiche Stimme und diese Stimme kam aus einem Geschöpf, das wie von Sammetschimmer umgeben war – dazu rötlich blonde Haare, eine ganze Symphonie von Weichheit.

      „Sammtaff’“ hatte Isolde ihre Schwester Marie getauft und titulierte sie jetzt so.

      Jetzt ging sie und nahm den Schädel mit sich.

      „So was!“ sagte die Köchin und schüttete einen Eimer voll Schmutzwasser in den Ausguß.

      „Mi beutelts ganz, der soll doch net etwa im Hause bleiben? Saftig. – Dös möcht


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