Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich

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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band. - Gerstäcker Friedrich


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bis an den Hals steht mir's.«

      Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, schreiendes Kind an einem Arme auf, warf sich's mit einem Ruck auf die Hüfte und verschwand damit durch die offene Thür.

      »Weiberleut'!« sagte der Bauer verächtlich und rauchte weiter.

      Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch weitere Forschungen anzustellen, denn der Director sah in diesem Augenblicke in's Zimmer. Er hatte jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt:

      »Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? Aber kommen Sie, Könnern, wir wollen vor Tisch noch einen kleinen Spaziergang machen – lassen Sie nur, Sie können sich nachher umziehen; es kommt bei uns nicht so genau darauf an, und Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte Stube stellen lassen.«

      Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten sich aber, als der Director das Zimmer betrat, etwas überrascht auf, rückten ihre Mützen und nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. So wie er ihnen aber den Rücken drehte, fielen sie in ihre alte Stellung zurück und rauchten ruhig weiter.

      Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen dem Director von seinem Bruder erzählen, wie es ihm gehe, was er thue und treibe, und er wurde dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als Jener Alles erschöpft, was er darüber zu sagen hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse zu sprechen, und Bernard Könnern gestand dem Director daß er, doch einmal in der Welt umherstreifend, nur nach Brasilien gekommen sei, um die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten und widersprechendsten Gerüchte gehört, einmal selber von Augenschein kennen zu lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. Habe er das erreicht, dann kehre er eben wieder nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein anderer Ort der Welt ersetzen könne.

      »Sie haben Recht,« erwiederte der Director, der ihm schweigend zugehört. »Je mehr wir von fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre größte und schönste Pracht entfalten, desto mehr fühlen wir doch immer, daß sie uns die Heimath nie ersetzen können – aber um das zu fühlen, dazu gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und es ist äußerst interessant zu beobachten, auf welche verschiedene Art und Weise sich das auch bei den verschiedenen Naturen äußert, und wie es ausbricht. Jeder Mensch bildet sich nämlich dazu eine gewisse Entschuldigung, und die am Meisten poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn sie den niedrigsten Classen angehören. Bei diesen ist es das Grab der Eltern oder das eines Kindes, die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste Heimath bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der Brunnen, an dem sie Wasser holten, die alte Linde vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum ersten Male mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die sie sich um so viel lieber erinnern, weil der Mann gerade damals so viel anders war, als er jetzt ist – der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh selber, das sie groß gezogen, das Alles hat seinen Anhaltspunkt noch lange nicht verloren, und ob sie Vieles hier mit der Zeit besser und bequemer finden mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen Gefühle zurück zu den alten Verhältnissen. Der Mann dagegen – ich meine hier den gewöhnlichen Bauer – hat wieder einen ganz andern Ankergrund für sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich Deutschland in's Gedächtniß zurückruft, meist immer an seine heimische Schenke, an das Bier und eine Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen aber doch trotzdem die alte Linde und der alte Kirchthurm den nebelhaften Hintergrund bilden. Seine »Freundschaft,« wie er die Verwandten nennt, zieht ihn weniger zurück; der Bauer lebt eigentlich nie recht in wirklichem Frieden mit seinen Verwandten, und die Sehnsucht nach ihnen ist deshalb auch nie außergewöhnlich. Den gebildeten Mann zieht dagegen mehr ein geistiges Bedürfniß, als das bloße Gemüth, nach der Heimath zurück.«

      »Den gebildeten Mann zieht gewöhnlich das zurück,« sagte Könnern, »daß er in dem fremden und überseeischen Lande selten eine passende oder ihm wenigstens zusagende Beschäftigung findet, die ihn hinreichend ernährt. Kaufleute natürlich ausgenommen, die überall daheim sind und auch herüber und hinüber ziehen, sieht sich der, der daheim gewohnt war, mehr mit seinem Kopfe als mit seinen Fäusten zu arbeiten, in nur zu häufigen Fällen allein auf die letzteren angewiesen. Das gefällt ihm nicht, eine Quantität Gemüth kommt dazu und das Heimweh ist fix und fertig.«

      »Sie haben wohl Recht,« nickte der Director, »und nicht allein das Heimweh, sondern auch zugleich die Unzufriedenheit mit allen sie umgebenden Dingen, die, der Meinung jener Leute nach, für sie nicht passen, während sie selber es sind, die sich nicht hineinfinden können oder wollen. Davon weiß ein armer Director am Besten zu erzählen, denn gerade in meiner Colonie bin ich mit einer Classe von Menschen geplagt, die meist alle das Jahr 1848 von Deutschland herüber gescheucht hat, und die jetzt auf Gottes Welt nicht wissen was sie mit sich angeben sollen.«

      »Sie scheinen hier wirklich eine Art von haute volée zu haben,« lächelte Könnern, »denn außer jener Frau Gräfin sah ich heute Morgen auch noch eine reizende junge Dame, die im Carriere vorüber flog.«

      »Sie wird nächstens einmal ihren reizenden Hals brechen,« meinte der Director trocken; »jene Beiden gehören aber zusammen, denn die junge Dame ist die Comtesse, die Tochter der Gräfin. Da haben Sie also heute gleich die Spitze der Gesellschaft, den sogenannten crême gesehen. Außerdem aber sind wir noch mit einer Anzahl von Titular-Honoratioren geplagt, die voller Ansprüche stecken, und wie der Engländer ganz passend sagt: neither for use nor ornament, weder zum Nutzen, noch zur Verzierung der Colonie dienen. Doch mit diesen Herrschaften werden Sie selber wohl näher bekannt werden, wenn Sie sich länger in unserer Colonie aufhalten, und nur einen Rath muß ich Ihnen schon jetzt geben, ehe er zu spät kommt: Borgen Sie Niemandem Geld.«

      Könnern lachte gerade hinaus.

      »Fällt Ihnen die Warnung bei den Honoratioren ein?« sagte er.

      »Allerdings,« erwiederte der Director ganz ernsthaft; »der Bauer, wenn er Geld braucht, wendet sich einfach an die Regierung um Subsidien, die ihm nur in Ausnahmefällen abgeschlagen werden und für deren Rückzahlung er mit seinem Lande haftet. Unsere haute volée dagegen ist viel zu stolz an etwas Derartiges nur zu denken, hat auch in leider sehr vielen Fällen entweder kein Land, oder doch schon eine Menge von stillschweigenden Hypotheken darauf aufgenommen.«

      »Aber sie werden doch wahrhaftig keinen wildfremden Menschen anborgen?«

      »Es giebt dafür verschiedene Auswege,« meinte der Director, »und Menschen, die sich sonst in den einfachsten Verhältnissen nicht zu helfen wissen, entwickeln gerade in dieser Branche eine erstaunliche Mannichfaltigkeit.«

      »Aber weshalb wandern solche Menschen,« sagte Könnern, »die doch von vorn herein wissen sollten, daß sie für derartige Arbeit und Beschäftigung nicht passen, eigentlich nach einem wilden Lande aus? An Büchern fehlt es wahrlich nicht, die ihnen ziemlich deutlich sagen, was sie in der neuen Welt – ob sie nun Amerika, Australien oder sonst wie heiße – zu erwarten haben. Sie können sich darüber nicht täuschen, wenn sie überhaupt Deutsch verstehen.«

      »Und doch thun sie es,« sagte der Director, »und zwar meist aus dem ganz einfachen und in jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß sie eine sehr gute Meinung von sich selber haben. Ich kann Alles was ich will, sagen sie, bedenken aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles wollen was sie können, denn es kann natürlich ein Jeder, wenn er nicht gerade einen überschwächlichen Körper mitbringt, Handarbeit verrichten; aber wie die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und wenn sie ihn machen, bleibt es auch gewiß immer bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein wunderliches Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr Director bin, was, wie ich hoffe, nicht mehr lange dauern wird, so glaub' ich, daß ich mich sogar prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen Treiben und Wirthschaften zu beobachten. Jetzt aber halten sie mir die Galle fortwährend in Gährung, und dabei kann natürlich der beste Humor nicht aufkommen, ohne seine bestimmte Partie Gift mit anzunehmen. Sehen Sie, da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch aus, wie ein brasilianischer Pflanzer?«

      Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein Herr, der – wenn die Sommer-Beinkleider nicht ein klein wenig zu kurz gewesen wären – in dem Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage unter den Linden in Berlin spazieren gehen können.


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