Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

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Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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Schlafen als zur Unterhaltung zeigte, setzte sich Itzig in die gegenüberliegende Ecke auf einen andern Strohsack und saß dort mit seinem rastlosen Geiste rechnend und Geschäfte ausdenkend, wobei er zuweilen in lebhaftem Sinnen mit Händen und Beinen schlenkerte, bis die Dunkelheit der Nacht durch die Thür eindrang, und die kleine Oellampe zu knistern anfing und Miene machte auszugehen. Noch kam Pinkus der Wirth selbst herauf, ein Licht in der Hand; er untersuchte den Bestand seiner Gäste, setzte einen Krug Wasser auf den Tisch und schloß beim Herausgehen die Thür von außen ab. Im Finstern holte Itzig ein Stück trockenes Brod aus der Tasche und schlief endlich unter dem Schnarchen seines Stubengenossen ein, den Strohsack unter sich, zugedeckt mit seiner alten Jacke.

      Zu derselben Stunde wickelte sich sein Reisegefährte im Patrizierhause in die gesteppte Decke seines Lagers, sah noch einmal mit müden Augen in der Stube umher und bemerkte schlaftrunken, daß die gelbe Katze auf dem Schreibtisch ihre Beinchen bewegte, sich mit der Pfote zu strählen anfing und ihm zuletzt sogar mit beiden Pfoten Kußhändchen zuwarf. Bevor er Zeit hatte, über diese ungewöhnliche Freundlichkeit des Gipses nachzudenken, war er eingeschlafen. Vor beiden Jünglingen senkte sich das Gewebe von grauem Flor herab, auf welchem die Traumgöttin ihre bunten Bilder zu zeigen pflegt. Anton sah sich selbst auf einem großen Waarenballen sitzen und durch die Luft fliegen, während eine gewisse junge Dame die Arme nach ihm ausstreckte; und Veitel Itzig entdeckte mit Behagen, daß er ein Baron geworden war, welcher von Hirsch Ehrenthal um ein Almosen angeredet wurde. Er sah, wie er dem alten Ehrenthal seine sechs Ducaten als Geschenk gab und wie dieser sich kläglich bedankte. Ueber diese Großmuth erschrak er im Traume so, daß er mit Händen und Beinen um sich schlug.

      Am nächsten Morgen begann jeder der beiden Jünglinge seine Thätigkeit. Anton saß auf seinem Platze im Comtoir und copirte Briefe; und Veitel stand, nachdem er sämmtliche Stiefeln und Schuhe der Familie Ehrenthal gebürstet und die Kleidertaschen Bernhards durchsucht hatte, als Aufpasser vor dem größten Hotel der Stadt, um einen fremden Herrn vom Lande zu beobachten, welcher mit Herrn Ehrenthal unzufrieden geworden war und im Verdacht stand, sich andere Geschäftsfreunde auf sein Zimmer bestellt zu haben. Anton bekam durch das Copiren der Briefe Einsicht in Styl und Sprache seines Geschäfts, und Veitel hatte während seines Lauerns vor dem Gasthofe das Glück, die Adresse eines vorübergehenden Studenten zu erhalten, welcher es für zeitgemäß hielt, seine silberne Uhr zu verkaufen.

      In seinen ersten Mußestunden zeichnete Anton das Schloß, die Kletterpflanzen, den Balcon und die Thürmchen aus dem Gedächtniß auf das beste Papier, das ihm die große Stadt liefern konnte. Er ließ das Bild in einen Goldrahmen fassen und hing es über seinem Sopha auf.

      V

      Anton hatte in den ersten Wochen Mühe, sich in der neuen Welt zurecht zu finden, in die er versetzt war. Das Gebäude, der Haushalt, das Geschäft waren so alterthümlich, solid und großartig, daß sie auch einem Weltbürger von mehr Erfahrung imponiren mußten.

      Das Geschäft war ein Waarengeschäft, wie sie jetzt immer seltener werden, jetzt, wo Eisenbahnen und Telegraphen See und Inland verbinden, wo jeder Kaufmann aus den Seestädten durch seine Agenten die Waaren tief im Lande verkaufen läßt, fast bevor sie im Hafen angelangt sind, so selten, daß unsere Nachkommen diese Art des Handels kaum weniger fremdartig finden werden, als wir den Marktverkehr zu Tombuctu oder in einem Kaffernkral. Und doch hatte dies alte weit bekannte Binnengeschäft ein stolzes, ja fürstliches Ansehen und, was mehr werth ist, es war ganz gemacht, bei seinen Theilhabern feste Gesinnung und ein sicheres Selbstgefühl zu schaffen. Denn damals war die See weit entfernt, die Conjuncturen waren seltener und größer, so mußte auch der Blick des Kaufmanns weiter, seine Speculation selbstständiger sein. Die Bedeutung einer Handlung beruhte damals auf den Massen der Waaren, welche sie mit eigenem Gelde gekauft hatte und auf eigene Gefahr vorräthig hielt. Auf den Packhöfen am Flusse lag in langen Speichern ein großer Theil der fremden Waaren aufgestapelt, ein kleinerer Theil in den Kellern und Gewölben des alten Hauses selbst, viele Vorräthe in Speichern und Remisen der Nachbarschaft. Zahlreiche Kaufleute in der Provinz versorgten sich aus den Magazinen der Handlung mit Colonialwaaren und den tausend guten Erzeugnissen der Fremde, welche uns ein tägliches Bedürfniß geworden sind. Aber auch über die Grenzen des Landes hinaus, nach dem Süden und Osten, bis an die türkische Grenze, saßen die Agenten des Hauses, und dieser Theil des Geschäftes, vielleicht weniger regelmäßig und sicher, galt zur Zeit für die gewinnreichste Thätigkeit der Handlung.

      So bot der Verkehr des Tages dem neuen Lehrling eine Menge der verschiedensten Eindrücke, Menschen und Verhältnisse aller Art. Außer den Agenten der Seeplätze, welche fast täglich Waarenproben brachten, und außer den Sensalen der Börse, welche die Geldgeschäfte des Hauses vermittelten, Wechsel anboten und verkauften, zog durch das vordere Comtoir vom Morgen bis zum Abend eine bunte Procession von allerlei Volk. Da kamen Materialhändler aus der Provinz, altväterische Männer mit jeder Art von Mützen und jedem Grade von Bildung und Zuverlässigkeit; sie kauften, drückten die Hände, und verlangten als specielle Freunde des Geschäftes behandelt zu werden; ferner Gutsbesitzer jedes Standes aus der Landschaft, welche die angebauten Handelsgewächse, Farbekräuter, Gewürze u. s. w. anboten; dann polnische Juden, schwarzlockige Gesellen im langen seidenen Kaftan, die zuweilen einkauften, gewöhnlich aber die Producte ihrer Länder Wolle, Hanf, Potasche, Talg verkaufen wollten. Mit ihnen war der Verkehr am wenigsten geschäftsmäßig, ihr Kommen erregte jedesmal unter den jüngern Leuten des Comtoirs stille Heiterkeit. Dazwischen kamen Bettler, Hülfesuchende aller Art, Geschäftsfreunde des Hauses, Fuhrleute, welche ihre Frachtbriefe forderten, Auflader und Hausknechte, welche Aufträge erhielten oder die Aufträge anderer Geschäfte ausrichteten. Anton fand es sehr schwer, bei diesem ewigen Thüröffnen und Durcheinandersprechen seine Gedanken zusammenzuhalten und die einfache Arbeit, welche ihm aufgetragen war, zu vollenden.

      Eben war Herr Braun eingetreten, der Agent eines befreundeten Hauses in Hamburg, und hatte aus seiner Tasche eine Anzahl Kaffeproben hervorgeholt. Während diese vom Prinzipal besichtigt wurden, gesticulirte der kleine behende Agent mit seinem goldenen Stockknopf in der Nähe von Antons Augen umher und berichtete von einem Seesturme und dem Schaden, den er angerichtet haben sollte. Da knarrte die Thür, und eine ärmlich gekleidete Frau trat herein. Herr Specht erhob sich und frug: »Was wollen Sie?« Man hörte klägliche Töne, welche mit dem Gepiep eines kranken Huhns Aehnlichkeit hatten, der Kaufmann griff schnell in die Tasche und das Piepen verwandelte sich in ein behagliches Glucksen. »Haushohe Wellen,« ruft der Agent. – »Gott vergelt es tausendmal,« gluckst die Frau. – »Macht 550 Mark zehn Schilling,« sagt Herr Baumann zum Prinzipal.

      Jetzt wird die Thür heftig aufgerissen, ein starker Mann, mit einem Geldsacke unterm Arm, tritt ein, er setzt den Geldsack triumphirend auf den Marmortisch und ruft mit dem Ausdruck eines Mannes, der eine gute That vollbringt: »Hier bin ich, und hier ist Geld!« Sogleich erhebt sich Herr Jordan und sagt vertraulich: »Guten Morgen, Herr Stephan, wie geht's in Wolfsburg?« – »Ein furchtbares Loch,« klagt Herr Braun. – »Wo?« frägt Fink. – »Es ist keine schlechte Stadt, aber wenig Nahrung,« sagt Herr Stephan. – »Natürlich im Rumpfe des Schiffes,« antwortet Herr Braun. – »Fünfundsiebzig Sack Cuba,« bemerkt der Prinzipal als Antwort auf die Frage eines Commis.

      Während nun Herr Stephan die Neuigkeiten seiner Stadt erzählt, darunter die traurige Geschichte eines Lehrjungen, der sich mit Hülfe einer Schlüsselbüchse erschossen hat, und während Jordan diese nothwendige Einleitung zu dem bevorstehenden Einkauf geduldig durchmacht, öffnet sich wieder die Thür, ein Bedienter tritt ein und ein Jude aus Brody. Der Diener bringt dem Kaufmann die Einladung zu einem Diner, und der Jude schleicht an die Ecke, wo Fink sitzt.

      »Wozu kommt Ihr wieder, Schmeie Tinkeles?« frägt Fink kalt, »ich habe Euch schon gesagt, daß wir kein Geschäft mit Euch machen wollen.«

      »Kein Geschäft?« ruft der unglückliche Tinkeles krächzend in abscheulichem Deutsch, so daß Anton ihn nur mit Mühe versteht. »Solche Wolle, wie ich bringe, ist noch nicht gewesen im Lande.«

      »Wie hoch der Centner?« frägt Fink schreibend, ohne den Juden anzusehen.

      »Was ich doch habe gesagt,« antwortete der Jude.

      »Ihr seid ein Narr,« sagt Fink, »fort mit Euch!«

      »Kein Lootse kann ihm helfen,« sagt


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