Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

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Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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im Tempo nach Anton hin; der Chef aber fuhr zu Anton gewandt fort: »Sie werden müde sein, Herr Jordan wird Ihnen Ihr Zimmer anweisen, ruhen Sie heut aus, morgen das Weitere.«

      Nach diesen Worten wandte er sich mit leichtem Kopfnicken ab und ging nach dem zweiten Comtoir zurück, wo ebenfalls sechs Federn über das blaue Papier fuhren und jetzt mit solcher Schnelligkeit, daß sich der Federbart vor Entsetzen sträubte, denn die alte Wanduhr hatte zum Schlage bereits ausgehoben.

      Nur der Herr im grünen Rock streifte den grauen Aermel ab, strich ihn sorgfältig glatt, schloß ihn mit einem Haufen Papiere in das Pult und lud Anton ein, ihm auf das Zimmer zu folgen. Wieder schritt Anton durch die Thür des Comtoirs, in welchem er nur zehn Minuten gewesen war, aber er war ein anderer Mann geworden, sein Schicksal war entschieden, er hatte jetzt eine Heimath, er gehörte in das Geschäft. Deßhalb schlug er im Vorbeigehen herzhaft auf einen großen Ballen, wie man auf die Schulter eines guten Bekannten schlägt, wobei der grüne Herr sich umwandte und mit wohlwollender Herablassung zu ihm sagte: »Baumwolle;« und drei Schritt weiter klopfte Anton Einlaß fordernd an ein riesiges Faß, welches wohlhäbig in einer Ecke stand, wie ein dicker Pächter in seinem hellen Sommerrock; worauf sich wieder der grüne Herr umwandte und ebenso wohlwollend sagte: »Corinthen.« Jetzt stieß unsern Anton kein Hebebaum mehr, ja er selbst schob den einen mit kräftiger Fußbewegung bei Seite, und einen Riesen mit lederner Schürze, der ihm begegnete, grüßte er mit sicherer Vertraulichkeit und fühlte sich behaglich, als der Riese ihm artig dankte, besonders als der grüne Herr wieder herablassend äußerte: »der oberste Auflader.«

      Durch den Hofraum gingen sie auf gewundenen Pfaden in ein Hintergebäude und stiegen drei ausgetretene Treppen hinauf. Dort öffnete Herr Jordan ein Zimmer und bemerkte gegen Anton, daß dieß wahrscheinlich seine künftige Wohnung sein werde, es sei die frühere Behausung eines guten Freundes von ihm, der aus dem Geschäft geschieden sei und sich selbst etablirt habe. Es war ein sehr kleines Zimmer, die Möbeln einfach und nicht neu, aber saubere weiße Gardinen und weiße Rouleaux vor den Fenstern und auf dem Schreibtisch eine schöne Katze von Gips, mit gelblicher Lederfarbe lackirt, so daß sie aussah wie eine lebende. Diese Katze hatte der etablirte College zum Besten seines Nachfolgers in der Stube zurückgelassen.

      Herr Jordan eilte in das Comtoir zurück, in dem er der Erste und Letzte sein mußte, weil ihm ein Theil der Schlüssel anvertraut war, und Anton blieb allein. Mit Hülfe eines freundlichen Bedienten, welcher ihm schnell das Zimmer wohnlich zu machen suchte, ordnete er seine Toilette und war eben damit fertig, als zahlreiche Tritte auf den Treppen verkündeten, daß seine Collegen aus dem Geschäft in ihre Zimmer eilten.

      Wieder erschien der grüne Herr und theilte ihm mit: Herr Schröter sei zu einer Conferenz und heut nicht mehr zu sprechen. Dagegen sei seine Ansicht, daß der Ankömmling den einzelnen Herren Besuch machen müsse, um die Bekanntschaft mit ihnen auf anständige Weise einzuleiten. Ein Frack sei nicht nöthig.

      Anton stieg mit seinem Begleiter einige Treppen herunter, und Herr Jordan war im Begriff, an eine Thüre anzuklopfen, als der Bewohner des Zimmers ihm entgegentrat, ein schöner schlanker Mann, von mäßiger Größe und einem Wesen, welches unserm Helden sehr imponirte. Er hatte seinen Anzug gewechselt, trug kurze Beinkleider und Stolpenstiefeln, eine Jokeimütze auf dem Kopf und eine Reitgerte in der Hand, die er unternehmend schwenkte.

      »Führen Sie Ihr Füllen schon an der Leine?« sagte der Junker in den Stolpenstiefeln lächelnd zu dem Führer. Herr Jordan stellte sich feierlich auf und präsentirte: »Herr Wohlfart, der neue Lehrling, soeben angekommen. – Herr von Fink, Sohn der großen Firma Fink und Becker in Hamburg.«

      »Erbe des größten Thranvorraths von der Welt und so weiter,« unterbrach ihn Herr von Fink nachlässig. »Jordan, geben Sie mir zehn Thaler, ich will den Reitknecht bezahlen. Schreiben Sie's zu dem Uebrigen.« Jordan holte bereitwillig ein Cassenbillet aus seiner Brieftasche und überreichte es dem Jokei, der es zusammenknitterte und in die Westentasche steckte; worauf er mit einiger Höflichkeit zu Anton sagte: »Wenn Sie mich besuchen wollen, wie ich aus dem festlichen Gesicht Ihres Mercurs merke, so bedaure ich, heut nicht zu Hause zu sein, ich will ein neues Pferd kaufen. Ihren Besuch nehme ich als geschehen an, ich danke Ihnen in aller Feierlichkeit dafür und gebe Ihnen meinen Segen zu Ihrem Eintritt.« Er nickte gleichgültig mit dem Kopf und schritt klirrend die Stufen hinab und über die Steinplatten des Hofes.

      Antons Behagen erlitt durch das kühle Benehmen des Herrn einen großen Stoß und er dachte verschüchtert, wenn die andern Herren vom Geschäft eben so sind, so wird es mir sehr schwer werden, mit ihnen umzugehen. Auch Herr Jordan fand nöthig, das auffallende Benehmen des Jokei zu erklären, und sagte mit vertraulicher Wichtigkeit: »Fink gehört nur halb in unser Geschäft, er ist erst seit kurzer Zeit hier, von seinem Vater aus New-York gezogen und hierher versandt worden, um bei uns vernünftig zu werden.«

      »Ist er denn nicht vernünftig?« frug Anton neugierig.

      »Nur zu wild, liebt den Sport, ist aber sonst ein guter Gesellschafter,« sagte Herr Jordan. »Die andern Herren habe ich zu mir auf die Stube gebeten, um Sie mit Allen bekannt zu machen; wir werden dort eine Tasse Thee trinken. Morgen machen Sie den Einzelnen Besuch auf ihren Zimmern.«

      Die Stube des Herrn Jordan war die größte unter den kleinen Wohnungen des Hinterhauses, in welchem die Herren vom Comtoir einzeln oder zu zweien hausten, und wurde deßhalb und wegen der ansprechenden Gemüthsart ihres Bewohners zuweilen als Salon benutzt; sie genoß die Auszeichnung, ein Fortepiano und einige Armstühle zu besitzen. An den Fenstern hingen zahlreiche Biscuitbilder, in denen edle Weiblichkeit durch mittelalterliche Kirchengängerinnen, Loreleys und Madonnen vertreten war. In diesem Zimmer saßen und standen die Herren und erwarteten die Ankunft des Neulings. Anton machte die Massenvorstellung mit Erfolg durch, indem er jedem Einzelnen die Hand schüttelte und hinterdrein Alle zusammen um ihr Wohlwollen und freundliche Hülfe bat, weil er im Geschäft ganz unerfahren und noch gar nicht in der Welt und wenig unter Menschen gewesen sei. Diese Offenheit verfehlte nicht, einen guten Eindruck hervorzubringen. Darauf ging eine friedfertige Unterhaltung an, gewürzt mit kleinen Scherzen und Anspielungen, welche für einen Neuling so unverständlich als möglich waren. Anton verhielt sich schweigend und mühte sich, das Wesen der einzelnen Herren zu erkennen. Da war der Buchhalter Herr Liebold, ein ältlicher kleiner Mann mit einer feinen Stimme und einem bescheidenen Lächeln, durch welches er die Welt um Vergebung bat, daß er sich die Freiheit nehme, zu existiren. Er sprach wenig, hatte aber die Eigenschaft, im Nachsatz das zurückzunehmen, was er im Vordersatz behauptete; z. B.: »ich glaube fast, daß dieser Thee zu schwach ist, aber freilich ist starker Thee sehr ungesund,« und Aehnliches. Ferner war da Herr Pix, der tyrannische Führer des schwarzen Pinsels in dem Hausflur, ein entschlossener Mann, welcher geneigt schien, alle menschlichen Verhältnisse wie Detailgeschäfte zu betrachten; vielleicht respectabel, aber kleinlich. Als ein Stuhl im Zimmer fehlte, rückte er verächtlich einen kleinen Tisch in die Nähe des Thees, schwang sich darauf und blieb den ganzen Abend rittlings darauf sitzen. Ferner war da ein Herr Specht, welcher viel sprach und stark in Behauptungen war, die von Jedermann bestritten wurden. Er behauptete, China werde durch eine Constitution regiert, die von der englischen nur wenig verschieden sei, und verfocht mit Leidenschaft die Ansicht, daß Schneckensuppe das Lieblingsgericht des seligen Kaisers Napoleon gewesen sei. Ferner war da ein schmächtiger Herr Baumann mit kurz geschorenem Haar und sinnigem Wesen, welcher jeden Sonntag in die Kirche ging, allen Missionsvereinen Beiträge zahlte und, wie seine Collegen ihm auf den Kopf zusagten, die Absicht hatte, später einmal Missionär zu werden. Er schob das noch auf aus einer gewissen kindlichen Gewöhnung an Deutschland und die Firma, zu deren Nutzen er gegenwärtig arbeitete. Anton bemerkte mit Freuden, daß im Ganzen ein artiger und rücksichtsvoller Ton unter den Herren herrschte. Da er ermüdet war, empfahl er sich in Kurzem, und weil er Niemandem widersprochen hatte und gegen Alle zuvorkommend gewesen war, so wurde nach seinem Abgange erklärt, er verspreche ein guter College zu werden.

      Unterdeß schritt Veitel Itzig mit der Gleichgültigkeit eines Herumtreibers und der Sicherheit eines Eingeborenen durch das Gewirr der Menschen und Straßen. Das röthliche Licht der Abendsonne war von den Steinen der Straße an den Häusern hinaufgestiegen, von einem Fenstersims zu dem andern bis hoch auf die Dächer, und das Dunkel des Abends erfüllte die engen Gassen des alten Stadttheils, welcher am Flusse liegt. In einer solchen Gasse stand ein großes Haus mit breiter


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