Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

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Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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Fink erschien als Letzter und sagte mit lauter Stimme: »Mylords und Gentlemen aus dem Export- und Provinzialgeschäft, ich habe gestern Herrn Wohlfart von hier in einer Weise behandelt, die mir jetzt, nach dem, was ich von ihm kennen gelernt habe, aufrichtig leid thut. Ich habe ihm gestern bereits meine Erklärung gemacht und bitte ihn heute in Ihrer Gegenwart freiwillig nochmals um Verzeihung. Zu gleicher Zeit bemerke ich, daß unser Wohlfart sich bei diesem Streit durchaus respectabel benommen hat, und daß ich mich freue, mit ihm in Geschäftsverbindung getreten zu sein.« Das Comtoir lächelte, Anton ging auf Fink zu und schüttelte ihm wieder die Hand, Herr Jordan that mit beiden Parteien dasselbe, und die Sache war abgemacht.

      Doch blieb sie nicht ohne Folgen. Auch die Kunde von der ehrlichen Sühne, welche Fink dem Lehrling gab, und von der freundlichen Ausgleichung gelangte in das Vorderhaus. Und als Anton zusammen mit Fink beim Mittagtisch erschien, ruhten die Blicke der Damen mit Theilnahme und Neugier auf ihm, und der Prinzipal verbarg nicht ein freundliches Lächeln. Aber auch auf Fink fiel Sabinens Auge mit freudigem Glanz, und so oft sie zu ihm aufsah, war ihr, als hätte sie ihm etwas Großes abzubitten.

      Bei den Herren vom Comtoir war die Stellung Wohlfarts auf einmal eine ganz andere geworden, er wurde von Allen mit einer Achtung behandelt, welche ein Lehrling sonst nicht durchzusetzen pflegt; Herr Specht erklärte ihn bei sämmtlichen Commis seiner Bekanntschaft – und seine Bekanntschaft war groß – für einen modernen Bayard, für den letzten Ritter Europa's, für einen furchtbaren Haudegen im Reiche der Conticurrenten; Herr Liebold wurde wahrhaft kühn in seinen Behauptungen, wenn er merkte, daß Anton auf seiner Seite stand, und sogar Herr Pix gönnte seinem Zögling von diesem Tage an augenscheinliche Hochachtung, er vertraute den Beobachtungen, welche Anton am Zünglein der großen Waage machte, eben so fest, wie seinen eigenen, und überließ ihm zuweilen sogar den schwarzen Pinsel, seinen geliebten Scepter, das Zeichen seiner Herrschermacht.

      Die größte Veränderung aber trat in Antons Verhältniß zu Fink ein. Denn einige Tage nach dem Streit, als Anton hinter dem Jokei die Treppe des Hinterhauses hinaufstieg, blieb Fink an seiner Thür stehen und frug: »Wollen Sie nicht bei mir eintreten? Sie sollen mir heut Ihren Besuch machen und meine Cigarren probiren.«

      Zum ersten Mal überschritt Anton die Schwelle des Volontairs und blieb verwundert an der Thür stehen, denn das Zimmer sah sehr fremdartig aus. Elegante Möbel standen unordentlich umher, ein dicker Teppich, weich wie Moos, bedeckte den Fußboden, und der ordentliche Anton sah mit Betrübniß, wie rücksichtslos die Cigarrenasche auf die prächtigen Blumen desselben geworfen war. An der einen Wand stand ein großer Gewehrschrank, darüber hing ein ausländischer Sattel und pfundschwere silberne Sporen; die andere Wand verdeckte ein eben so großer Bücherschrank aus kostbarem Holz, voll von Büchern in braunem Lederband, und über dem Schrank reichten riesige Flederwische, die schwarzen Flügel eines ungeheuren Vogels, von einer Stubenwand bis zur andern.

      »Welche Menge von Büchern Sie haben!« rief Anton erfreut.

      »Es sind Erinnerungen an eine Welt, in der ich nicht mehr lebe,« sagte Fink.

      »Und diese Flügel, gehören sie auch zu Ihren Erinnerungen?«

      »Ja, Herr, es sind die Fittige eines Condors; Sie sehen, ich bin stolz auf diese Jagdbeute,« antwortete Fink und hielt unserm Anton ein Packet mit Cigarren hin. »Setzen Sie sich, Wohlfart, lassen Sie uns plaudern, und zeigen Sie, ob Herr Specht Recht hat, wenn er Sie als liebenswürdigen Gesellschafter rühmt.« Er schob unserm Helden mit dem Fuße einen großen Fauteuil zu. Anton sank behaglich in die weichen Kissen und blies blaue Wolken nach der Decke, während Fink die Lampe des silbernen Theekessels anzündete. »Sie haben mir neulich gefallen, Wohlfart,« sagte Fink, sich der Länge nach auf dem Sopha ausstreckend, »verstehen Sie sich auf Pferde?«

      »Nein,« sagte Anton.

      »Sind Sie Jäger?«

      »Auch nicht.«

      »Treiben Sie Musik?«

      »Nur wenig,« sagte Anton.

      »Nun also, in Teufels Namen, welche menschliche Eigenschaft haben Sie denn?«

      »In Ihrem Sinne wenig,« antwortete Anton ärgerlich. »Ich kann die Leute lieben, welche mir gefallen, und ich glaube ich kann ein treuer Freund sein; wenn mich aber Jemand übermüthig behandelt, so empöre ich mich.«

      »Schon gut,« sagte Fink, »von der Seite kenne ich Sie. Für einen Anfänger war Ihr Debut gar nicht übel. Ich sehe, es ist Race in Ihnen. Lassen Sie hören, wer Sie sind. Von welchem Volke der sterblichen Menschen stammen Sie, und welches Schicksal hat Sie hierher geschleudert in dieses traurige Mühlwerk, wo Jeder zuletzt voll Staub und Resignation wird, wie Liebold, oder im besten Fall wie der pünktliche Jordan?«

      »Es war doch ein gutmüthiges Schicksal,« antwortete Anton und begann von seiner Heimath und seinen Eltern zu erzählen. Mit Wärme schilderte er den kleinen Kreis, in dem er aufgewachsen war, die Abenteuer seiner Schulzeit und einige närrische Leute aus Ostrau, mit denen er verkehrt hatte. »Und so ist für mich ein großes Glück, was Sie für ein Unglück halten,« schloß er, »daß ich hierher gekommen bin.«

      Fink nickte beistimmend und sagte: »Zuletzt ist der größte Unterschied zwischen uns Beiden, daß Sie Ihre Mutter gekannt haben und ich die meine nicht. Uebrigens ist es ziemlich gleichgültig, in welchem Nest Einer aufwächst, man kann fast unter allen Umständen ein tüchtiger Gesell werden. – Ich habe Leute gekannt, die weniger Liebe in ihrem Vaterhause gefunden haben, als Sie.«

      »Sie haben so viel von der Welt gesehen,« sagte Anton rücksichtsvoll, »ich bitte Sie, mir zu sagen, wie Sie dazu gekommen sind.«

      »Sehr einfach,« begann Fink. »Ich besitze einen Onkel in Newyork, der dort einer von den Aristokraten der Börse ist. Dieser schrieb meinem Vater, als ich vierzehn Jahr war, ich solle eingepackt und herübergeschickt werden, er habe die Absicht, mich zu seinem Erben zu machen. Mein Vater ist sehr Kaufmann, ich wurde emballirt und abgeschickt. In Newyork wurde ich bald ein gottverdammter kleiner Schuft und Taugenichts, ich trieb jede Art von Unsinn, hielt einen Stall von Racepferden in einem Alter, wo bei uns ehrliche Jungen noch auf offener Straße ihre Buttersemmel verzehren und mit einem Papierdrachen spielen. Ich bezahlte Sängerinnen und Tänzerinnen und mißhandelte meine weißen und schwarzen Domestiken so sehr durch Fußtritte und Haarraufen, daß mein Oheim genug zu thun hatte, um Entschädigungsgelder an diese freien Bürger zu bezahlen. Sie hatten mich aus meiner Heimath fortgerissen, ohne sich um meine Gefühle zu bekümmern; ich bekümmerte mich jetzt den Teufel um die ihren. Uebrigens je toller ich's trieb, desto mehr Geld bekam ich in die Hände. Ich war bald der verrufenste unter den jungen Bengeln, welche die vornehmen Unarten jenseit des Wassers cultiviren. Einst an meinem Geburtstage kam ich um sechs Uhr früh aus einem kleinen Souper nach Hause, bei dem ich aus Caprice den Spröden gegen einige zuvorkommende Damen gespielt hatte, und unterwegs fiel mir ein, daß diese Wirthschaft ein Ende nehmen müsse oder ich selbst würde ein Ende nehmen. Ich ging nach dem Hafen statt nach Hause, steckte mich in grobe Matrosenkleider, die ich unterwegs kaufte, und bevor es Mittag war, fuhr ich als Schiffsjunge auf einem dickbäuchigen Engländer zum Hafen hinaus. Wir segelten einige tausend Meilen um Cap Horn herum und auf der andern Seite des Festlandes wieder hinauf. Als wir in Valparaiso ankamen, erklärte ich dem Capitain, daß ich ihm für die Ueberfahrt dankbar sei, tractirte die ganze Mannschaft und sprang an's Land, um mit den zwanzig Dublonen, die ich noch in der Tasche hatte, auf eigene Faust mein Glück zu machen. Ich traf bald einen verständigen Mann, der mich auf seine Hazienda brachte, wo ich als Ochsenhirt und Reitkünstler nicht geringe Lorbeeren erndtete. Ich war etwa anderthalb Jahr dort oben und befand mich sehr wohl, ich wurde als eine Art dienstthuender Gastfreund behandelt, ich war verliebt, ich war bewundert als Jäger und tummelte mich tüchtig im Sattel, was fehlte mir? – Doch alle Freude ist vergänglich. Wir hatten gerade großes Rinderschlachten, und ich war fleißig beschäftigt, von meinem Pferd die Kühe in den Schlachthof zu escortiren, als plötzlich zwei Regierungsbeamte in unser Fest hineinritten. Diese behandelten mich selber mit vieler Artigkeit wie ein junges Rind, nahmen mich sammt meinem Pferd in die Mitte und führten mich zwischen ihren Steigbügeln Trott und Galopp nach der Hauptstadt. Dort wurde ich beim amerikanischen Consul abgeliefert, und da mein Oheim Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, mich auszuspüren, und ich aus einem langen Briefe meines Vaters erkannte, daß dieser


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