Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

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Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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Grammatik; er schrieb wohl auch Geschäftsbriefe und Rechnungen, aber es war keine Glätte, kein Strich dabei, die Buchstaben waren so zu sagen widerhaarig, und die Perioden waren löchrig und geflickt; und was vollends die Geheimnisse der Buchhaltung betraf, so war er darin wie ein unschuldiges Kind. Dieser Mangel drückte ihn sehr.

      In seiner Herberge war er unterdeß ein angesehener Mann geworden, selbst Löbel Pinkus behandelte ihn mit ungewöhnlicher Vertraulichkeit. Dies schöne Verhältniß verdankte Veitel seinem Scharfblick. Jene Bretterwand in der Gaststube und der hohle Klang des Holzes hatten ihn seit dem Tage seines Einzugs beunruhigt, wochenlang hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, seine Untersuchungen fortzusetzen. Endlich an einem Sonnabend schützte er Unwohlsein vor und blieb zu Hause, als der Hauswirth und seine Gäste mit würdigem Schritt nach der Synagoge zogen. Da endlich glückte ihm, einen Ritz in der Hinterwand seines Schrankes zu erweitern und etwas zu erblicken, was ihn auf's Höchste überraschte. Er sah in eine große, schmutzige Stube, welche ganz angefüllt war mit Koffern und Kisten und einem Chaos begehrenswerther Artikel. Herren- und Damenkleider, Betten, Wäsche, Stoffe, bunte Vorhänge lagen in großen Haufen durcheinander, auch metallene Geräthe, ein Crucifix, Kelche, Kronleuchter glänzten in dem Halbdunkel und noch andere lockende Speculationen, welche auch sein scharfes Auge nicht erkennen konnte. Als Aladdin den ersten Schritt in die Zauberhöhle that, gerieth er schwerlich in so große Aufregung, als Junker Itzig bei seiner Entdeckung. Er lief immer wieder zu dem Ritz zurück und starrte in das staubige Dämmerlicht der geheimnißvollen Niederlage, bis die Gäste aus der Synagoge nach Hause kamen. Er behielt die Entdeckung für sich, aber er lag seit dem Tage auf der Lauer, wie das Wiesel vor einem Mauseloch. Einigemal hörte er bei Nacht Geräusch in der geheimnißvollen Stube des Nebenhauses; einmal gelang es ihm, ein Geflüster zu vernehmen, bei welchem die tiefe Stimme des würdigen Pinkus unverkennbar war; einst, als er spät nach Hause kam, sah er am Nachbarhause Fässer, Kisten und Bündel in eine kleine Britschka laden, welche schamhaft mit weißer Leinwand verhüllt war, eine Maßregel, welche schon Sulamith im hohen Liede Salomonis als nützlich empfiehlt, damit man nicht von den Wächtern des Königs in den Weinbergen angehalten werde. In derselben Nacht verschwanden zwei schweigsame Gäste seines Herbergvaters, welche offenbar aus Polen stammten, und kamen nicht wieder. Aus alledem zog er den Schluß, daß sein Wirth eine Art Commissions- und Speditionsgeschäft von allerlei merkwürdigen Waaren hielt, welche er aus guten Gründen lieber am Abend, als bei Tage fortschaffte. – Wie ein Licht ging es unserm Veitel auf. Die Waaren gingen nach dem Osten, wurden über die Grenze geschmuggelt und verbreiteten sich bis tief in das russische Reich, bis an die asiatische Grenze, wo zuletzt der strebsame Kirgise die Hemden und Schnürröcke aufträgt, welche vom deutschen Schneider genäht sind. Alles nach dem Grundsatz, was in Deutschland defect wird, fällt den Russen zu. Veitel benutzte seine Entdeckung mit der Mäßigung eines Geschäftsmannes und machte seinem Hauswirth gerade nur so viel Andeutungen, daß Pinkus sich bewogen fühlte, ihn mit besonderer Rücksicht zu behandeln.

      Nach einem thatenreichen Tage schritt Veitel nachdenkend in seine Herberge zurück und betrat mit dem üblichen Gruß die Gaststube. Er setzte sich still in eine Ecke und suchte in seinen Gedanken nach einem Schriftgelehrten, welcher geeignet war, ihn in die Geheimnisse eines guten Styls und der Buchführung einzuweihen, gegen möglichst geringes Honorar, ja vielleicht gegen einen schwarzen Frack, den er durchaus nicht los werden konnte, weil die Schöße desselben – er hatte einem riesigen Leichenbitter gehört – bis auf den Boden hingen, wie die Aeste einer Trauerweide. Als Veitel nach fruchtlosem Ueberlegen aufsah, erblickte er am Tische einen fremden Gast, welcher eine Feder in der Hand hielt und diese zuweilen in ein Tintenfaß tauchte; der Mann sprach leise mit einem Händler und beugte sich von Zeit zu Zeit auf das Papier, wahrscheinlich um die Beschlüsse der geheimen Unterhaltung zu verewigen. Veitel sah sich den Schreiber ahnungsvoll an. Es war klar, daß die Großväter dieses Mannes nicht unter Moses durch das rothe Meer gezogen waren. Der Herr war stark und klein, er hatte eine röthliche aufgeregte Nase und ein rundes ältliches Gesicht, verworrenes Haar und eine alte Stahlbrille, die er zuweilen an den Ohren festdrückte, weil es ihr trotz ihrer langen Dienstzeit ganz unmöglich war, auf der Stumpfnase Schluß zu gewinnen. Veitel bemerkte, daß dieser Mann mit der Brille einen ungewöhnlich schlechten Rock anhatte und zuweilen aus einer Zinndose schnupfte, wobei er jedesmal den Händler mit einem eigenthümlichen Schielblick ansah, mit einer Art von inquisitorischem Blinzeln, welches seinem Gesicht einen gutmüthigen Ausdruck geben sollte, dies aber nicht that. Offenbar war der Mann ein Schriftgelehrter, und Veitel beschloß, abzuwarten, ob er an ihn kommen könne. Endlich war die Verhandlung geschlossen, der Händler empfing ein Papier und legte dafür ein Geldstück, vor Veitels Adleraugen ein Achtgroschenstück, auf den Tisch, welches von dem Herrn mit der Brille nachlässig in die Tasche des Beinkleides versenkt wurde. Der Händler entfernte sich, der Fremde blieb, wie es schien, in gemüthlicher Stimmung sitzen und goß sich aus einer kleinen Flasche Branntwein den letzten Rest in das Glas. Veitel trat auf ihn zu, der kleine Herr blickte mißtrauisch auf, aber als er die verbindliche Stellung Veitels sah, fuhr ein vertrauliches Lächeln über sein rothes Gesicht, und eine scharfe Stimme sprach: »Nur näher, mein junger Freund, Sie wollen mich consultiren, ich stehe zu Diensten.«

      Veitel begann zögernd: »Wenn der Herr bekannt ist am Orte, so wollte ich ihn wohl ersuchen um etwas.«

      »Immer heraus, mein Sohn,« ermunterte der Andere, indem er sein Glas austrank und Veitel mit seinem gutmüthigen Blick ansah.

      »Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht Jemand wüßten, der gegen eine billige Vergütung einem Manne von meiner Bekanntschaft Unterricht geben würde im Schreiben und in den Aufsätzen, wie man sie braucht zum Geschäft.«

      »So?« frug der schäbige Herr, »wie man sie braucht zum Geschäft? – und dieser Mann von Ihrer Bekanntschaft sind Sie selbst, mein Sohn?«

      »Was soll ich daraus machen ein Geheimniß?« antwortete Veitel aufrichtig, »ja, ich bin es selbst; aber ich bin noch ein Anfänger und bin nicht im Stande, mehr zu geben als wenig.«

      »Wer wenig giebt, erhält wenig, mein Lieber – wie war doch der Name?« frug der Alte gleichgültig dazwischen und drehte die Dose.

      »Veitel Itzig heiße ich.«

      »Also lieber Itzig,« fuhr der Alte fort, »guter Unterricht kostet gutes Geld. Und was treiben Sie für ein Geschäft?« forschte er mit väterlicher Miene weiter.

      »Ich bin im Comtoir bei Hirsch Ehrenthal,« erklärte Veitel mit Selbstgefühl.

      Der Fremde wurde aufmerksam. »Herr Ehrenthal ist ein reicher Mann, ein kluger Mann, ich habe seiner Zeit viel mit ihm zu thun gehabt, er hat eine schöne Gesetzkenntniß. Wenn Sie den Geschäftsstyl erlernen wollen und bei Herrn Ehrenthal sind,« fuhr er überlegend fort, »vielleicht kann da Rath werden. Welches Honorar würden Sie zahlen, wenn sich Jemand fände?«

      Veitel fand es gewissenlos, etwas zu bieten, er bemerkte zurückhaltend: »Ich weiß doch noch nicht, was er fordern wird für solchen Unterricht.«

      »So will ich's Euch gerade heraussagen,« erklärte der Herr mit der Brille. »Ich selbst könnte Euch vielleicht den Unterricht geben, vielleicht auch nicht; man giebt solche Anweisung nicht Jedem, ich müßte mich erst näher nach Euch erkundigen. Wenn ich Euch aber den Gefallen thue, so will ich Euch den Unterricht ertheilen in Erwägung, daß Ihr ein Anfänger seid, in Erwägung, daß Ihr arm seid, und in Erwägung, daß ich jetzt gerade einige freie Zeit habe und aufgelegt bin, mehr Theorie als Praxis zu treiben, wenn Ihr mir funfzig Thaler zahlt; fünfundzwanzig Thaler vor der ersten Lection und fünfundzwanzig Thaler in einem Schuldschein, den ich selbst Euch schreiben werde, binnen vier Wochen.«

      »Funfzig Thaler!« rief Veitel entsetzt und sank wie vom Schlag gerührt auf einen Schemel, »funfzig Thaler!« wiederholten mechanisch seine Lippen, als das Räderwerk seines Geistes bereits in's Stocken gerathen war.

      »Ist Euch das zu viel,« frug der Herr mit der Brille in scharfem Ton, »so laßt Euch sagen, junger Itzig: Erstens, daß ich mit keinem Gelbschnabel handle, zweitens, daß ich meine Hülfe Andern noch nie so billig gegönnt habe, und drittens, daß ich mich den Teufel mit Euch befassen würde, wenn ich nicht große Lust hätte, einige Wochen in dieser Stube zu verweilen.«

      »Funfzig Thalerstücke!« rief Itzig außer sich, »ich habe


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