Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.nicht aus den Augen gelassen hatte, »da kommt er schon wieder auf's Haus zu! Jettchen, Jettchen, ich will Dir 'was sagen – ich fange an Verdacht zu schöpfen, daß sich der junge Springinsfeld die Schuhsohlen hier nicht umsonst alle Tage vor dem Fenster abläuft – ich hätte Dich für vernünftiger gehalten.«
»Aber, Onkel!«
»Die Posse laß Dir vergehen,« fuhr Pfeffer fort; »Du hast nichts, als was Du Dir mit Deiner Hände Arbeit sauer genug verdienst, und er hat gar nichts, als seine »Liebe zur Kunst«, wie er's hochpoetisch nennt, und die ihn bis jetzt nicht viel höher gebracht hat, als Stühle heraus zu tragen und höchstens einmal einen Ritter anzumelden! Darin paßt Ihr nun allerdings zu einander, daß Ihr Beide nichts habt, aber das Ende vom Liede wäre auch, daß Ihr Euch Beide unglücklich machtet und Euer Leben verdürbet!«
»Aber, Onkel, er denkt gar nicht daran!«
»Denkt nicht daran? – Lehr' Du mich Menschen kennen! – Übrigens weiß ich schon, daß er nur wieder unter dem Vorwande heraufkommt, mich zu besuchen. Na, die Freude will ich ihm dieses Mal machen – arbeiten kann ich außerdem heute nichts – daß Ihr ihn mir aber nicht hier herüber laßt – das sag' ich Euch!« – Und damit nahm er seinen Schlafrock vorn zusammen und ging wieder über den Vorsaal in sein eigenes Zimmer hinüber.
Henriette blieb schweigend an ihrer Arbeit sitzen, und die Mutter war aufgestanden und nahm ihr jetzt gegenüber am Fenster Platz.
»Der junge Rebe ist die letzte Zeit recht oft hier gewesen, Kind,« sagte sie endlich, während ihr Auge über die bunten Gruppen vor dem Fenster glitt, ohne sie zu sehen.
»Liebe Mutter…«
»Ich glaube, der Onkel hat Recht, Kind,« fuhr die Frau aber wehmüthig fort – »nicht, daß ich etwas gegen den jungen Mann selber einzuwenden hätte; er scheint brav und ordentlich zu sein, und man hört über sein ganzes Betragen nur immer Gutes, aber – das Theater ist ein gefährlicher Boden für junge Leute, und – kein Mensch weiß außerdem, ob er auch wirklich Talent hat und es je zu etwas bringen wird.«
»Er studirt so fleißig!« sagte Henriette leise.
»Ja, mein Kind,« seufzte die Frau, »das allein macht es nicht, und darin steht der Künstler weit gegen den Gelehrten im Nachtheil. In jedem andern Fache kann es ein wirklich tüchtiger Mann durch Fleiß und Ausdauer erzwingen, vorwärts zu kommen, wenn er auch nicht übermäßig begabt sein sollte; in der Kunst aber nicht, und nicht allein das Talent hilft ihm da, er muß auch Glück haben, wenn er es je zu etwas bringen – wenn er je ein erstes Fach bekleiden will. Kann er das aber nicht, dann wäre es viel vernünftiger, er lernte eher das einfachste Handwerk, als daß er sich seine Lebenszeit bei kleinen Bühnen herumtriebe, um da zweite oder dritte Rollen zu spielen. In dem Fall, mein Herz, ist der Schauspielerstand ein elendes und trauriges Leben, glaube mir!«
»Aber Du warst selber beim Theater, Mama,« sagte Henriette, »der Onkel ist dabei, Deine selige Mutter, wie Du mir oft erzählt, soll ebenfalls eine brave Sängerin gewesen sein, ja, Deine eigene Schwester spielt jetzt noch Komödie!«
»Das Alles ist wahr, Herz,« nickte die Mutter, »unsere ganze Familie gehört dem Theater an, und doch danke ich Gott, daß Du Dir Dein Brod, so spärlich es auch sein mag, auf andere Art verdienen kannst. Ja, wer eins der ersten Fächer bekleidet, wer bei einer großen Bühne der Liebling des Publikums geworden, der nimmt wohl eine ehrenvolle Stellung ein und kann auch ganz seiner Kunst leben; die Direction braucht ihn und seine Zukunft ist gesichert – aber wie Wenigen unter Tausenden ist das beschieden, und sich in untergeordneten Fächern bald hier, bald da herumtreiben, jetzt hier mit einer kleinen Gage angestellt, dann wieder im Lande nach einem Engagement herumsuchend, das, mein liebes Kind, sei versichert, ist ein trauriges Brod, und schlimmer, weit schlimmer, als Holzhacken und Tagelohn!«
»Aber verdienen die Leute nicht, was sie zum Leben brauchen?«
»Ja – vielleicht. – So lange sie allein stehen und gesund bleiben, schlagen sie sich durch, und der Leichtsinn, der ein glückliches Erbe dieses Standes ist, hilft ihnen über manches Schwere hinweg. Verheirathen sie sich aber und kommt Familie dazu, dann tritt nur zu häufig der furchtbare Ernst des Lebens an sie heran und sie leiden oft, ohne eine Stätte, wohin sie ihr Haupt legen können, die bitterste Noth. – Aber ich brauche Dir das gar nicht weiter zu bestätigen; Du siehst es selber hier fast jede Woche, denn keine vergeht, wo nicht Einer oder der Andere hier durchkommt und sein Leben mit Collectenmachen fristet – nur um den nagenden Hunger zu stillen, nur um der dringendsten Noth abzuhelfen. Jeder Thaler aber, der ihnen gereicht wird, ist doch nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und ihres Jammers kein Ende – kannst Du es mir und dem Onkel verdenken, wenn wir Dich vor einem solchen Schicksal bewahrt wissen wollen?«
»Liebe Mutter!«
»Aber wir schwatzen und schwatzen hier,« brach die Frau plötzlich ab, »und es wird indessen spät; da schlägt es wahrhaftig schon zehn Uhr – Kind, Du mußt nach dem Mittagessen sehen, sonst wird der Onkel nachher böse, wenn es nicht zur rechten Zeit auf dem Tisch steht.«
»Ja, ja, Mama,« rief Henriette, schob ihre Arbeit rasch bei Seite und ging hinaus in die Küche. Die Mutter sah ihr sinnend nach, stützte dann den Kopf in die Hand und seufzte leise, aber recht aus tiefster Seele herauf:
»Oh, daß wir so arm sind!« –
Pfeffer hatte indessen sein unter der Zeit vollständig gelüftetes Zimmer wieder betreten und die Thür geschlossen, als es anklopfte.
»Guten Morgen, Herr Pfeffer,« sagte in diesem Augenblick der junge Rebe, welcher auf der Schwelle erschien, »ich störe doch nicht?«
»Woher vermuthen Sie das, mein sehr verehrter Herr Horatius Rebe, wenn man fragen darf?« brummte Pfeffer, dessen Laune sich noch nicht im Geringsten gebessert hatte.
»Weil ich Sie so deutlich erkennen kann,« lächelte der junge Mann, »denn wenn Sie tüchtig arbeiten, haben Sie auch gewöhnlich eine dem entsprechende Wolke um sich her.«
»Das Rauchen ist Ihnen doch nicht unangenehm?« fragte Pfeffer verbindlich und mit einer Bewegung, als ob er seine Pfeife gleich in die Ecke stellen wollte.
»Mein guter Herr Pfeffer,« sagte Rebe mit einem wehmüthigen Zug um die Lippen, »ich weiß sehr wohl, daß mir nichts unangenehm sein darf – übrigens würde ich selber wieder rauchen, wenn meine Gage nur ein klein wenig höher wäre.«
»So – und was verschafft mir da heute die Ehre Ihres Besuches?«
»Ich sehe, Sie sind heute nicht in glücklicher Stimmung,« sagte Rebe – »kann ich vielleicht die Damen sprechen?«
»Nein,« brummte Pfeffer – »meine Schwester ist krank und Jettchen pflegt sie.«
»Doch nicht ernstlich?«
»Allerdings, sie pflegt sie ganz ernstlich.«
»Nein, ich meine…«
»Wünschen sie sonst noch etwas?«
»Mein lieber Herr Pfeffer, sagen Sie mir nur, weshalb Sie mich heute so schrecklich ablaufen lassen,« bat Rebe herzlich, indem er auf ihn zuging und seine Hand zu ergreifen suchte, die Pfeffer aber in die Tasche steckte – »habe ich Ihnen etwas zu Leide gethan?«
»Nein – noch nicht – aber Sie wollen es!« brummte mürrisch der Mann.
»Ich will es?«
»Ja – Sie verdrehen dem Mädel, dem Jettchen, den Kopf!«
»Aber, bester Herr Pfeffer!«
»Können Sie eine Frau ernähren?«
»Noch nicht, aber ich hoffe…«
»Hoffe – alberne Redensart – hoffe, hoffe – dafür giebt Ihnen kein Mensch einen Pfifferling, viel weniger eine ganze Haushaltung! Wie lange sind Sie schon beim Theater?«
»Seit einem Jahre – seit ich hier bin!«
»Hm – und was waren Sie früher?«
»Ich habe studirt.«
»Nun ja, das dachte ich mir ungefähr, und nachdem Sie Ihren Eltern