Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

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Eine Mutter - Gerstäcker Friedrich


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oft bewiesen hast, wie lieb ich Dir bin, wie gut Du es mit mir meinst.«

      »Schön, meine Puppe,« lachte da Felix wieder in der alten muntern Laune und schloß sie in die Arme. »Dann aber mach' auch jetzt wieder ein freundliches Gesicht und laß Kummer und Sorgen fahren. Was geschehen kann, geschieht, dann haben wir uns wenigstens selber keine Vorwürfe zu machen. Und nun, Schatz, nimm Dich vor allen Dingen einmal Deiner Kinder an, denn die kleine Gesellschaft macht ja draußen einen Heidenlärm.«

      »Ich kann sie nicht mehr bändigen, Herr Graf!« rief in diesem Augenblick die Bonne, die mit ihnen aus dem Nebenzimmer kam. »Günther will absolut hinaus auf den Markt unter die Buden, und Helenchen verlangt ebenfalls zur Musik!«

      »Vortrefflich, dann gehen wir unter die Buden,« lachte Felix, dem es ganz erwünscht kam, etwas gefunden zu haben, was seine junge Frau für den Augenblick zerstreuen konnte, und ein Jubelgeschrei der Kinder antwortete ihm.

      Helene war nicht recht damit einverstanden, aber das kleine Volk hatte einmal die Zusage und nahm den Papa beim Wort, und die nöthigen Anordnungen waren bald getroffen.

      Es mochte jetzt etwa zwei Uhr sein; das Diner, welches das junge Paar stets mit den Kindern und der Bonne einnahm, war auf fünf Uhr bestellt, und mit dem jubelnden Knaben an der Hand, während Helene das Töchterchen führte, von der Bonne und einer Magd begleitet, die mitgenommen wurde, um die Kleinste von Zeit zu Zeit zu tragen, schritten sie in das Treiben hinaus, das selbst bis hierher seine Trabanten gesandt hatte. Die Schützenwiese lag aber auch gar nicht weit von dort entfernt, und man konnte das Hämmern der Pauken, wie einzelne Trompetenstöße und ebenso den scharfen, kurzen Krach der Büchsenschüsse, wenn auch durch die Entfernung gemildert, doch deutlich bis hier herüber hören.

      Und die Kinder waren selig, denn überall bot sich ihnen Neues, Ungeahntes.

      Hier stand eine Polichinell-Bude mit den kleinen, beweglichen Figuren und der geheimnißvollen, aus dem Kattunkasten herausklingenden Stimme. Dort auf einem großen, runden Tische, von zahlreichen Zuschauern umdrängt, gab eine bunt gekleidete Affenfamilie ihre Vorstellungen. Da drüben wurde nach einer Reihe von aufgestellten Scheiben und Sternen mit Bolzenbüchsen geschossen, und wenn man das Ziel traf, so sprang plötzlich ein bunt gemalter Mann mit einer spitzen Mütze heraus, oder ein lauter Knall kündete den Treffer.

      Und dann die Carroussels! Wie jubelte das kleine Pärchen, als es die bunt beflaggten schwebenden Pferde und Wagen sah, und natürlich gaben sie keine Ruhe, bis sie mitten darin saßen und, von der Bonne und Magd bewacht, ihren Rundritt machen durften. Der kleine Günther ließ aber richtig nicht nach, bis er auch auf eins der kleinen Pferdchen gesetzt wurde, wo er versprach, sich tüchtig festzuhalten. Er faßte auch mit beiden Händchen die Eisenstange, als ob sein kleines Leben daran hinge.

      Die Mutter war erst ängstlich, daß er herunterfallen könnte, denn wenn sie selber auch das wildeste Pferd nicht scheute, sorgte sie sich doch um den kleinen Liebling. Der Vater ließ ihn aber lächelnd gewähren, und wie stolz saß jetzt der kleine Bursch auf seinem gemalten Pferd, dessen Seiten er mit den Hacken bearbeitete, bis sich die Reihe an zu drehen fing. Dann aber klammerte er sich fest und ängstlich an, denn so rasch hatte er sich die Bewegung doch nicht gedacht.

      Und nun kamen die Buden selber mit ihren zahmen Ponies und kreischenden Papageien, mit ekelhaft fetten Menschen, die sich für Geld sehen ließen, mit angestrichenen Indianern und gezähmten Hyänen, mit Taschenspielern, Feuerfressern, Bauchrednern und wie diese Unnatürlichkeiten alle hießen. Die Kinder sehen allerdings nur das Wunderbare und den Flittertand daran, während die Erwachsenen gewöhnlich ein Gefühl des Ekels oder Mitleids beschleicht, wo derartige Charlatanerien zu einem Broderwerb benutzt werden, die doch das Elend nicht verbergen können, das hinter all' dem Tand und Putz sich birgt.

      Das junge Paar ekelte auch dieses wüste Treiben an, das sie nur den Kindern zu Liebe wieder einmal durchkosteten. Diese ließen aber keine Ruhe, bis sie auch wenigstens ein paar der Buden betreten hatten, und am meisten jubelten sie bei einem Marionettenspiel, aus dem sie fast nur mit Gewalt wieder entfernt werden konnten.

      »Bleib nur ein klein wenig sitzen, Mama,« rief Helenchen, als der Vorhang endlich fiel, »er geht gleich wieder in die Höh'!« Lachend nahm Graf Rottack die Kleine auf den Arm, um sie durch das Gedränge hinaus in's Freie zu tragen, und athmete ordentlich hoch auf, als er endlich wieder den blauen Himmel über sich sah. Hier draußen preßte aber gerade eine solche Masse von Menschen vorüber, daß er der Bonne Acht auf den Knaben befahl und, seine Frau an den Arm nehmend, über die Straße hinüber zu kommen suchte, wo er freieren Raum sah.

      Die Marionettenbude war die letzte in der Reihe, und dicht daran führte die breite Promenade, welche sich um die Stadt selber herumzog und gewöhnlich zu Spazierfahrten der haute volée benutzt wurde. Eben jetzt kam eine Equipage, langsam im Schritt durch die Menschenmenge sich Bahn suchend, vorüber, und die aus dem Wege Drängenden hemmten jede Passage in diesem Augenblick so, daß Graf Rottack mit den Seinen stehen bleiben mußte, um sie erst vorüber zu lassen.

      Helene fühlte, wie Felix ihren Arm fest an sich drückte, und von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, flüsterte sie rasch und erschreckt: »Wer ist das?«"

      »Sei stark, mein braves Frauchen, und verrathe keine Bewegung,« ermahnte sie ihr Gatte, »es sind Monfords!«

      »Meine…«

      »Bst, mein Schatz,« warnte Felix rasch, »wir können ihnen nicht mehr ausweichen. Hänge Dich nur fest an meinen Arm.«

      Der Wagen hatte sie erreicht und fuhr unmittelbar an ihnen vorüber. Nur der Graf und die Gräfin saßen im Fond desselben. Er, der Graf, mochte ein Herr hoch in den Sechzigen sein, mit weißem, vollem Haar und einem wohlgepflegten Schnurrbart.

      Seine Frau, eine Dame von vielleicht einigen vierzig Jahren, stattlich und vornehm, in eleganter, aber nicht überladener Toilette, während der Graf selber nur eine Jagdjoppe mit grünem Kragen trug, lehnte nachlässig neben ihm und betrachtete die an ihrem Wagen vorbeidrängenden Menschen durch ihre Lorgnette.

      Graf Rottack, der noch immer sein kleines Töchterchen auf dem Arm trug, grüßte, und Helene, die zitternd an seinem Arme hing, verneigte sich ebenfalls. Graf Monford, den jungen Mann erkennend, dankte freundlich, während die Gräfin nur eben die Lorgnette von ihrem Auge entfernte und langsam das Haupt neigte.

      Die Gräfin mußte einmal bildschön gewesen sein – sie war es selbst jetzt noch und schien das auch zu wissen – aber der Wagen passirte, und Graf Rottack, der sich erst umsah, ob er auch die Seinen bei einander habe, schritt jetzt mit Helenen über die Straße, um aus dem Menschenschwarm hinaus zu kommen. Dort übergab er sein kleines Töchterchen der Wärterin.

      »Kanntest Du den Herrn?« sagte im Wagen Graf Monford zu seiner Gattin, als sie vorübergefahren.

      »War das nicht der Graf Rottack, der uns einmal vor einiger Zeit besucht?«

      »Ganz recht, mit seiner jungen Frau wahrscheinlich. Er hat sich ja hier angekauft. Ein hübsches Paar.«

      »Aber die Frau scheint sehr kränklich, sie hatte keinen Blutstropfen im Gesicht.«

      »Möglich, vielleicht angegriffen von der Reise. Es kann auch sein, daß er sie gerade aus Gesundheitsrücksichten hierher gebracht. So viel ich weiß, ist es eine Amerikanerin.«

      »Aus Amerika?«

      »Er war ja selber lange dort…«

      Die Unterhaltung wurde hier abgebrochen. Die Gräfin hing ihren eigenen Gedanken nach, und der Graf richtete sich auf, um nach den Pferden zu sehen, indem das Handpferd vor einem vorüberziehenden Kameel scheute und nur schwer wieder beruhigt werden konnte.

      Sprachlos hing indes Helene an des Gatten Arm und mußte ihre ganze Geistesstärke zusammennehmen, um der Bewegung Herr zu werden, die sie beim ersten Anblick der Mutter ergriffen.

      »Oh, wie kalt, wie stolz sie aussah!« flüsterte sie endlich leise vor sich hin.

      »Beruhige Dich, mein Herz – wie bleich Du nur geworden bist – sei mein starkes Kind. Es wird ja noch Alles gut werden.«

      »Laß mich nur einen Augenblick, Felix!« bat die junge Frau, »es war nur der erste Moment, die erste Überraschung.


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