Italienische Reise — Band 2. Johann Wolfgang von Goethe

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Italienische Reise — Band 2 - Johann Wolfgang von Goethe


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die Verteidigung des Herabgesetzten zu übernehmen und seine Vorzüge geltend zu machen; dies aber verfing nicht, man hatte Partei ergriffen und blieb auf seinem Sinne. Da nun ebendasselbe immerfort und fort sich wiederholte und es mir zu ernst war, um dialektisch über dergleichen Gegenstände zu kontroversieren, so vermied ich ein solches Gespräch, besonders da ich merkte, daß es nur Phrasen waren, die man, ohne eigentliches Interesse an dem Gegenstande zu finden, aussprach und behauptete.

      Viel schlimmer aber war es, wenn Dante zur Sprache kam. Ein junger Mann von Stande und Geist und wirklichem Anteil an jenem außerordentlichen Manne nahm meinen Beifall und Billigung nicht zum besten auf, indem er ganz unbewunden versicherte, jeder Ausländer müsse Verzicht tun auf das Verständnis eines so außerordentlichen Geistes, dem ja selbst die Italiener nicht in allem folgen könnten. Nach einigen Hin — und Widerreden verdroß es mich denn doch zuletzt, und ich sagte, ich müsse bekennen, daß ich geneigt sei, seinen äußerungen Beifall zu geben; denn ich habe nie begreifen können, wie man sich mit diesen Gedichten beschäftigen möge. Mir komme die "Hölle" ganz abscheulich vor, das "Fegefeuer" zweideutig und das "Paradies" langweilig; womit er sehr zufrieden war, indem er daraus ein Argument für seine Behauptung zog: dies eben beweise, daß ich nicht die Tiefe und Höhe dieser Gedichte zum Verständnis bringen könne. Wir schieden als die besten Freunde; er versprach mit sogar einige schwere Stellen, über die er lange nachgedacht und über deren Sinn er endlich mit sich einig geworden sei, mitzuteilen und zu erklären.

      Leider war die Unterhaltung mit Künstlern und Kunstfreunden nicht erbaulicher. Man verzieh jedoch endlich andern den Fehler, den man an sich bekennen mußte. Bald war es Raffael, bald Michelangelo, dem man den Vorzug gab, woraus denn am Schluß nur hervorging, der Mensch sei ein so beschränktes Wesen, daß, wenn sein Geist sich auch dem Großen geöffnet habe, er doch niemals die Großheiten verschiedener Art ebenmäßig zu würdigen und anzuerkennen Fähigkeit erlange.

      Wenn wir Tischbeins Gegenwart und Einfluß vermißten, so hielt er uns dagegen durch sehr lebendige Briefe möglichst schadlos. Außer manchen geistreich aufgefaßten wunderlichen Vorfällen und genialen Ansichten erfuhren wir das Nähere durch Zeichnung und Skizze von einem Gemälde mit welchem er sich daselbst hervortat. In halben Figuren sah man darauf Oresten, wie er am Opferaltar von Iphigenien erkannt wird und die ihn bisher verfolgenden Furien soeben entweichen. Iphigenie war das wohlgetroffene Bildnis der Lady Hamilton, welche damals auf dem höchsten Gipfel der Schönheit und des Ansehens glänzte. Auch eine der Furien war durch die ähnlichkeit mit ihr veredelt, wie sie denn überhaupt als Typus für alle Heroinen, Musen und Halbgöttinnen gelten mußte. Ein Künstler, der dergleichen vermochte, war in dem bedeutenden geselligen Kreise eines Ritter Hamilton sehr wohl aufgenommen.

      August

      Korrespondenz

Den 1. August 1787

      Den ganzen Tag fleißig und still wegen der Hitze. Meine beste Freude bei der großen Wärme ist die überzeugung, daß ihr auch einen guten Sommer in Deutschland haben werdet. Hier das Heu einführen zu sehen, ist die größte Lust, da es in dieser Zeit gar nicht regnet und so der Feldbau nach Willkür behandelt werden kann, wenn sie nur Feldbau hätten.

      Abends ward in der Tiber gebadet, in wohlangelegten sichern Badhäuschen; dann auf Trinitŕ de' Monti spaziert und frische Luft im Mondschein genossen. Die Mondscheine sind hier, wie man sie sich denkt oder fabelt.

      Der vierte Akt von "Egmont" ist fertig, im nächsten Brief hoff' ich dir den Schluß des Stückes anzukündigen.

Den 11. August

      Ich bleibe noch bis künftige Ostern in Italien. Ich kann jetzt nicht aus der Lehre laufen. Wenn ich aushalte, komme ich gewiß so weit, daß ich meinen Freunden mit mir Freude machen kann. Ihr sollt immer Briefe von mir haben, meine Schriften kommen nach und nach, so habt ihr den Begriff von mir als eines abwesend Lebenden, da ihr mich so oft als einen gegenwärtig Toten bedauert habt.

      "Egmont" ist fertig und wird zu Ende dieses Monats abgehen können.

      Alsdann erwarte ich mit Schmerzen euer Urteil.

      Kein Tag vergeht, daß ich nicht in Kenntnis und Ausübung der Kunst zunehme. Wie eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter das Wasser stößt, so kann man hier leicht sich ausfüllen, wenn man empfänglich und bereitet ist; es drängt das Kunstelement von allen Seiten zu.

      Den guten Sommer, den ihr habt, konnte ich hier voraussagen. Wir haben ganz gleichen reinen Himmel und am hohen Tag entsetzliche Hitze, der ich in meinem kühlen Saale ziemlich entgehe. September und Oktober will ich auf dem Lande zubringen und nach der Natur zeichnen. Vielleicht geh' ich wieder nach Neapel, um Hackerts Unterricht zu genießen. Er hat mich in vierzehn Tagen, die ich mit ihm auf dem Lande war, weiter gebracht, als ich in Jahren für mich würde vorgerückt sein. Noch schicke ich dir nichts und halte ein Dutzend kleine Skizzchen zurück, um dir auf mal etwas Gutes zu senden.

      Diese Woche ist still und fleißig hingegangen. Besonders hab' ich in der Perspektiv manches gelernt. Verschaffelt, ein Sohn des Mannheimer Direktors, hat diese Lehre recht durchgedacht und teilt mir seine Kunststücke mit. Auch sind einige Mondscheine aufs Brett gekommen und ausgetuscht worden, nebst einigen andern Ideen, die fast zu toll sind, als daß man sie mitteilen sollte.

Rom, den 11. August 1787

      Ich habe der Herzogin einen langen Brief geschrieben und ihr geraten, die Reise nach Italien noch ein Jahr zu verschieben. Geht sie im Oktober, so kommt sie gerade zur Zeit in dies schöne Land, wenn sich das Wetter umkehrt, und sie hat einen bösen Spaß. Folgt sie mir in diesem und andrem, so kann sie Freude haben, wenn das Glück gut ist. Ich gönne ihr herzlich diese Reise.

      Es ist sowohl für mich als für andere gesorgt, und die Zukunft wollen wir geruhig erwarten. Niemand kann sich umprägen und niemand seinem Schicksale entgehn. Aus eben diesem Briefe wirst du meinen Plan sehn und ihn hoffentlich billigen. Ich wiederhole hier nichts.

      Ich werde oft schreiben und den Winter durch immer im Geiste unter euch sein. Tasso kommt nach dem neuen Jahre. Faust soll auf seinem Mantel als Kurier meine Ankunft melden. Ich habe alsdann eine Hauptepoche zurückgelegt, rein geendigt, und kann wieder anfangen und eingreifen, wo es nötig ist. Ich fühle mir einen leichtern Sinn und bin fast ein andrer Mensch als vorm Jahr.

      Ich lebe in Reichtum und überfluß alles dessen, was mir eigens lieb und wert ist, und habe erst diese paar Monate meine Zeit hier recht genossen. Denn es legt sich nun auseinander, und die Kunst wird mir wie eine zweite Natur, die gleich der Minerva aus dem Haupte Jupiters, so aus dem Haupte der größten Menschen geboren worden. Davon sollt ihr in der Folge tagelang, wohl jahrelang unterhalten werden.

      Ich wünsche euch allen einen guten September. Am Ende Augusts, wo alle unsre Geburtstage zusammentreffen, will ich eurer fleißig gedenken. Wie die Hitze abnimmt, geh' ich aufs Land, dort zu zeichnen, indes tu' ich, was in der Stube zu tun ist, und muß oft pausieren. Abends besonders muß man sich vor Verkältung in acht nehmen.

Rom, den 18. August 1787

      Diese Woche hab' ich einigermaßen von meiner nordischen Geschäftigkeit nachlassen müssen, die ersten Tage waren gar zu heiß. Ich habe also nicht so viel getan, als ich wünschte. Nun haben wir seit zwei Tagen die schönste Tramontane und eine gar freie Luft. September und Oktober müssen ein paar himmlische Monate werden.

      Gestern fuhr ich vor Sonnenaufgang nach Acqua acetosa; es ist wirklich zum Närrischwerden, wenn man die Klarheit, die Mannigfaltigkeit, duftige Durchsichtigkeit und himmlische Färbung der Landschaft, besonders der Fernen ansieht.

      Moritz studiert jetzt die Antiquitäten und wird sie zum Gebrauch der Jugend und zum Gebrauch eines jeden Denkenden vermenschlichen und von allem Büchermoder und Schulstaub reinigen. Er hat eine gar glückliche richtige Art, die Sachen anzusehn, ich hoffe, daß er sich auch Zeit nehmen wird, gründlich zu sein. Wir gehen des Abends spazieren, und er erzählt mir, welchen Teil er des Tags durchgedacht, was er in den Autoren gelesen, und so füllt sich auch diese Lücke aus, die ich bei meinen übrigen Beschäftigungen lassen mußte und nur spät und mit Mühe nachholen könnte.


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