Der Zauberberg. Volume 2. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 2 - Томас Манн


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denke noch immer gern an unsere gemütliche Kaffeestunde damals bei Ihnen, Herr Hofrat, voriges Jahr im Herbst, wie sich das zufällig so machte. Gerade noch gestern, oder ist es schon etwas länger her, habe ich meinen Vetter daran erin-nert …"

      "Gaffky sieben", sagte der Hofrat. "Letztes Ergebnis. Der Junge will und will sich nun mal nicht entgiften. Und dabei hat er mich noch nie so getirrt und geplagt wie neuerdings, daß er weg will und einen Schleppsäbel haben, der Kindskopf Zetert mir über seine fünf Vierteljährchen vor, als ob es Äonen wären, die er sich um die Ohren geschlagen. Weg will er, so oder so, – sagt er es zu Ihnen auch? Sie sollten ihm mal ins Gewissen re-den, von Ihnen aus, und das mit Nachdruck! Das Mannsbild geht Ihnen in die Binsen, wenn es vorzeitig Ihren gemütvollen Nebel schluckt, da oben rechts. So ein Eisenfresser braucht nicht viel Hirnschmalz zu haben, aber Sie als der Gesetztere, der Zivi-list, der Mann bürgerlicher Bildung, Sie sollten ihm den Kopf zurechtsetzen, bevor er Dummheiten macht."

      "Tu' ich, Herr Hofrat", antwortete Hans Castorp, ohne die Führung fahren zu lassen. "Tu' ich öfters, wenn er so aufmuckt, und denke ja auch, er wird Räson annehmen. Aber die Beispie-le, die man vor Augen hat, sind ja nicht immer die besten, das ist das Schädliche. Immer kommen Abreisen vor, – Abreisen ins Flachland, eigenmächtig und ohne wahre Befugnis, aber es ist eine Festivität, als ob es eine echte Abreise wäre, und hat was Verführerisches für schwächere Charaktere. Zum Beispiel neu-lich … wer ist denn neulich noch abgereist? Eine Dame, vom Guten Russentisch, Madame Chauchat. Nach Daghestan, wie er-zählt wurde. Nun, Daghestan, ich kenne das Klima nicht, es ist am Ende weniger ungünstig als oben am Wasser. Aber Flachland ist es doch in unserem Sinn, wenn es vielleicht auch gebir-gig ist, geographisch genommen, ich bin da nicht so beschlagen. Wie will man denn da nun leben, unausgeheilt, wo die Grund-begriffe fehlen und niemand von unserer Ordnung hier oben weiß und wie es zu halten ist mit Liegen und Messen? Übrigens will sie ja ohnedies wiederkommen, hat sie mir gelegentlich mitgeteilt, – wie kamen wir überhaupt auf sie? – Ja, damals tra-fen wir Sie im Garten, Herr Hofrat, wenn Sie sich erinnern, das heißt Sie trafen uns, denn wir saßen auf einer Bank, ich weiß noch auf welcher, genau könnt' ich sie Ihnen bezeichnen, auf der wir saßen und rauchten. Will sagen, ich rauchte, denn mein Vetter raucht ja unbegreiflicherweise nicht. Und Sie rauchten auch gerade, und wir offerierten uns gegenseitig noch unsere Marken, wie mir eben wieder einfällt, – Ihre Brasil hat mir aus-gezeichnet geschmeckt, aber man muß damit umgehen wie mit jungen Pferden, glaub ich, sonst stößt einem was zu, wie Ihnen damals nach den beiden kleinen Importen, als Sie mit wogendem Busen abtanzen wollten, – da es gut gegangen ist, kann man ja lachen. Von Maria Mancini hab ich mir übrigens neulich wieder ein paar hundert Stück aus Bremen verschrieben, ich hänge doch sehr an dem Erzeugnis, es ist mir nach jeder Rich-tung sympathisch. Nur allerdings, die Verteuerung durch Zoll und Porto ist ziemlich empfindlich, und wenn Sie mir nächstens noch was Beträchtliches zulegen, Herr Hofrat, so bin ich im-stande und bekehre mich schließlich zu einem hiesigen Kraut, – man sieht in den Fenstern ganz schöne Sachen. Und dann durf-ten wir Ihre Bilder sehen, ich weiß es wie heute, und hatte den größten Genuß davon, – geradezu perplex war ich, was Sie mit der Ölfarbe riskieren, ich würd' es mich nie unterstehen. Da sa-hen wir ja auch Frau Chauchats Porträt mit seiner erstrangig ge-malten Haut, – ich darf wohl sagen, ich war begeistert. Damals kannte ich das Modell noch nicht, nur vom Ansehen, dem Na-men nach. Seitdem, ganz kurz vor ihrer diesmaligen Abreise, habe ich sie ja noch persönlich kennengelernt."

      "Was Sie sagen!" erwiderte der Hofrat, – ebenso, wenn die Rückbeziehung erlaubt ist, wie er erwidert hatte, als Hans Castorp ihm vor seiner ersten Untersuchung mitgeteilt, daß er übrigens auch etwas Fieber habe. Und weiter sagte er nichts.

      "Doch, ja, das habe ich", bestätigte Hans Castorp. "Erfahrungsgemäß ist es gar nicht so leicht, hier oben Bekanntschaften zu machen, aber mit Frau Chauchat und mir hat es sich in letzter Stunde doch noch getroffen und arrangiert, gesprächsweise sind wir uns …" Hans Castorp zog die Luft durch die Zähne ein. Er hatte die Spritze empfangen. "Fff!" machte er rückwärts. "Das war sicher ein hochwichtiger Nerv, den Sie da zufällig getroffen haben, Herr Hofrat. Oh, ja, ja, es schmerzt höllenmäßig. Danke, etwas Massage verbessert die Sache … Gesprächsweise sind wir uns näher gekommen."

      "So! – Na?" machte der Hofrat. Er fragte kopfnickend, mit jemandes Miene, der eine sehr lobende Antwort erwartet und in die Frage zugleich die Bestätigung des zu erwartenden Lobes aus eigener Erfahrung legt.

      "Ich nehme an, daß es mit meinem Französisch etwas geha-pert hat", wich Hans Castorp aus. "Woher soll ich's am Ende auch haben. Aber im rechten Augenblick fliegt einem ja man-ches an, und so ging es denn mit der Verständigung doch ganz leidlich."

      "Glaub' ich. Na?" wiederholte der Hofrat seine Aufforderung. Von sich aus fügte er hinzu: "Niedlich, was?"

      Hans Castorp, den Hemdkragen knüpfend, stand mit ge-spreizten Beinen und Ellbogen, das Gesicht zur Decke gewandt.

      "Es ist am Ende nichts Neues", sagte er. "An einem Badeort leben zwei Personen oder auch Familien wochenlang unter demselben Dach, in Distanz. Eines Tages machen sie Bekanntschaft, finden aufrichtiges Gefallen aneinander, und zugleich stellt sich heraus, daß der eine Teil im Begriffe ist, abzureisen. So ein Bedauern kommt häufig vor, kann ich mir denken. Und da möchte man nun doch wenigstens Fühlung wahren im Leben, voneinander hören, das heißt per Post. Aber Frau Chau-chat…"

      "Tja, die will wohl nicht?" lachte der Hofrat gemütlich.

      "Nein, sie wollte nichts davon wissen. Schreibt sie Ihnen denn auch nie zwischendurch, von ihren Aufenthaltsorten?"

      "I, Gott bewahre", antwortete Behrens. "Das fällt doch der nicht ein. Erstens aus Faulheit nicht, und dann, wie soll sie denn schreiben? Russisch kann ich nicht lesen, – ich kauderwelsche es wohl mal, wenn Not an den Mann kommt, aber lesen kann ich kein Wort. Und Sie doch auch nicht. Na, und Französisch oder auch Neuhochdeutsch miaut das Kätzchen ja allerliebst, aber schreiben, – da käme sie in die größte Verlegenheit. Die Ortho-graphie, lieber Freund! Nein, da müssen wir uns schon trösten, mein Junge. Sie kommt ja immer mal wieder, von Zeit zu Zeit. Frage der Technik, Temperamentssache, wie gesagt. Der eine hält dann und wann Abreise und muß immer wiederkommen, und der andere bleibt gleich so lange, daß er nie wiederzukom-men braucht. Wenn Ihr Vetter jetzt abreist, das sagen Sie ihm nur, so kann es leicht sein, daß Sie seinen solennen Wiederein-zug noch hier erleben."

      "Aber Herr Hofrat, wie lange meinen Sie denn, daß ich …" "Daß Sie? Daß er! Daß er nicht so lange untenbleiben wird, wie er hier oben war. Das meine ich für meine treuherzige Person, und das ist mein Auftrag an Sie für ihn, wenn Sie so freundlich sein wollen."

      Ähnlich mochte wohl so ein Gespräch verlaufen, pfiffig ge-lenkt von Hans Castorp, wenn das Ergebnis auch nichtig bis zweideutig gewesen war. Denn was das betraf, wie lange man bleiben müsse, um die Wiederkehr eines vor der Zeit Abgerei-sten zu erleben, war es zweideutig gewesen, in Hinsicht auf die Entschwundene aber gleich null. Hans Castorp würde nichts von ihr hören, solange das Geheimnis von Raum und Zeit sie trennte; sie würde nicht schreiben, und auch ihm würde keine Gelegenheit gegeben sein, es zu tun … Warum denn auch übri-gens, hätte es sich anders verhalten sollen, wenn er es wohl überlegte? War es nicht eine recht bürgerliche und pedantische Vorstellung von ihm gewesen, daß sie einander schreiben müß-ten, während ihm doch ehemals zumute gewesen war, als sei es nicht einmal nötig oder nur wünschenswert, daß sie miteinan-der sprächen? Und hatte er denn auch etwa mit ihr "gesprochen", im Sinne des gebildeten Abendlandes, an ihrer Seite am Fa-schingsabend, oder nicht vielmehr fremdsprachig im Traum ge-redet, auf wenig zivilisierte Weise?

      Wozu denn also nun schreiben, auf Briefpapier oder An-sichtskarten, wie er sie manchmal nach Hause ins Flachland richtete, um über die Schwankungen der Untersuchungsergebnisse zu berichten? Hatte Clawdia nicht recht, sich vom Schreiben entbunden zu fühlen, kraft der Freiheit, welche die Krank-heit ihr gab? Sprechen, schreiben, – eine hervorragend humanistisch-republikanische Angelegenheit in der Tat, Angelegen-heit des Herrn Brunetto Latini, der das Buch von den Tugenden und Lastern schrieb und den Florentinern Schliff gab, sie das Sprechen lehrte und die Kunst, ihre Republik nach den Regeln der Politik zu lenken …

      Damit fielen Hans Castorps Gedanken denn auf Lodovico Settembrini, und er errötete, wie er damals errötet war,


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