Aus meinem Leben. Erster Teil. Bebel August

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Aus meinem Leben.  Erster Teil - Bebel August


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liebten.

      Als ich im dreizehnten und mein Bruder im zwölften Lebensjahr stand, kam vom Militärwaisenhaus die Nachricht, mein Bruder könne einrücken. Ich war auf Grund ärztlicher Untersuchung als körperlich zu schwach dazu erklärt worden. Jetzt sank aber meiner Mutter der Mut; sie fühlte ihr Ende nahen, und so glaubte sie es nicht verantworten zu können, daß mein Bruder für zwei Jahre Militärerziehung nachher zu neun Jahren Militärdienstzeit verpflichtet werde. „Wollt ihr Soldat werden, so geht später freiwillig, ich verantworte es nicht,“ äußerte sie zu uns. So unterblieb der Eintritt meines Bruders in das Militärwaisenhaus, der für mich damals zu meinem Bedauern nicht in Frage kam.

      Mein lebhaftes kindliches Interesse weckten die Bewegungsjahre 1848 und 1849. Die Mehrzahl der Wetzlarer Einwohner war entsprechend der Traditionen der Stadt republikanisch gesinnt. Diese Gesinnung übertrug sich auch auf die Schuljugend. Bei einer Disputation über unsere politischen Ansichten, wie sie unter Schuljungen vorzukommen pflegt, stellte sich heraus, daß nur ein Kamerad und ich monarchisch gesinnt waren. Dafür wurden wir beide mit einer Tracht Prügel bedacht. Wenn sich also meine politischen Gegner über meine „antipatriotische“ Gesinnung entrüsten, weil nach ihrer Meinung Monarchie und Vaterland ein und dasselbe sind, so ersehen sie aus der vermeldeten Tatsache, vielleicht zu ihrer Genugtuung, daß ich schon fürs Vaterland gelitten habe, als ihre Väter und Großväter noch in ihrer Maienblüte Unschuld zu den Antipatrioten gehörten. Im Rheinland war wenigstens zu jener Zeit der größere Teil der Bevölkerung republikanisch gesinnt.

      Für meine Mutter brachte jene Zeit in ihr tägliches Einerlei insofern eine kurze Abwechslung, als, ich glaube bei dem Rückmarsch aus dem badischen Feldzug, das Bataillon des 25. Infanterieregiments, bei dem mein Vater gedient hatte, kurze Zeit in Wetzlar verblieb. In demselben standen noch eine Anzahl Unteroffiziere, die meine Mutter von früher kannten. Diese besuchten uns jetzt. Auf ihr Drängen ließ sich meine Mutter herbei, einen Mittagstisch für sie einzurichten. Profitiert hat sie wohl nichts. Ich hörte eines Tages, daß zwei der Gäste auf der Treppe beim Fortgehen sich unterhielten und das Essen sehr lobten, sich aber auch wunderten, daß es meine Mutter für so billigen Preis liefern könne.

      Sehr amüsant für uns Jungen waren die Bauernrevolten, die sich in jenen Jahren im Wetzlarer Kreise abspielten. Die Bauern mußten damals noch allerlei aus der Feudalzeit übernommene Verpflichtungen erfüllen. Da alles für Freiheit und Gleichheit schwärmte, wollten sie jetzt diese Lasten auch los sein; sie rotteten sich also zu Tausenden zusammen und zogen nach Braunfels vor das Schloß des Fürsten von Solms-Braunfels. An der Spitze des Zuges wurde in der Regel eine große schwarzweiße Fahne getragen, zum Zeichen, daß man allenfalls preußisch, aber nicht braunfelsisch sein wolle. Ein Teil des Haufens trug Flinten vermiedenen Kalibers, die große Mehrzahl aber Sensen, Mist- und Heugabeln, Aexte usw. Hinter dem Zug, der sich mehrfach wiederholte und stets unblutig verlief, marschierte in der Regel die Wetzlarer Garnison, um den Fürsten zu schützen, wenn sie nicht schon vorher ausgerückt war. Ueber die Begegnung der Bauernführer mit dem Fürsten kursierten in Wetzlar sehr amüsante Erzählungen. Die Wetzlarer blieben noch lange in ihrer oppositionellen Stimmung. Als im Jahre 1849 oder 1850 der Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., in Begleitung des Generals v. Hirschfeld, der damals das 8. rheinische Armeekorps kommandierte, auf seiner Inspektionsreise auch nach Wetzlar kam, wurde sein Wagen vor dem Tore mit Schmutz beworfen. Ein Verwandter von mir, der sich bei einer Gelegenheit zum Sturmläuten hatte fortreißen lassen, wurde mit drei Jahren Zuchthaus bestraft. Für die Bürgerwehr, die in den Bewegungsjahren auch in Wetzlar bestand, hatte ich nur ein Gefühl der Geringschätzung, obgleich mehrere meiner Verwandten zu ihr gehörten, und zwar wegen der mangelnden militärischen Haltung, mit der sie ihre Uebungen vornahm. Mit der wiederkehrenden Reaktion verschwand sie.

* * * * *

      Das Jahr 1853 machte meinen Bruder und mich zu Waisen. Anfang Juni starb meine Mutter. Sie sah ihrem Tode mit Heroismus entgegen. Als sie am Nachmittag ihres Todestags ihr letztes Stündlein herannahen fühlte, beauftragte sie uns, ihre Schwestern zu rufen. Einen Grund dafür gab sie nicht an. Als die Schwestern kamen, wurden wir aus der Stube geschickt. In trübseliger Stimmung saßen wir stundenlang auf der Treppe und warteten, was kommen werde. Endlich gegen sieben Uhr traten die Schwestern aus der Stube und teilten uns mit, daß soeben unsere Mutter gestorben sei. Noch an demselben Abend mußten wir unsere Habseligkeiten packen und den Tanten folgen, ohne daß wir die tote Mutter noch zu sehen bekamen. Die Aermste hatte wenig gute Tage in ihrem Ehe- und Witwenleben gesehen. Und doch war sie immer heiter und guten Mutes. Ihr starben binnen drei Jahren zwei Ehemänner, außerdem zwei Kinder, außer meinem jüngsten Bruder eine Schwester, die vor mir geboren worden war, die ich aber nicht gekannt habe. Mit uns zwei Brüdern hatte sie wiederholt schwere Krankheitsfälle durchzumachen. Ich erkrankte 1848 am Nervenfieber und schwebte mehrere Wochen zwischen Leben und Tod. Einige Jahre danach erkrankte ich an der sogenannten freiwilligen Hinke, kam aber mit graden Gliedern davon. Mein Bruder stürzte, neun Jahre alt, beim Spiel in einer Scheune von der obersten Leiterstufe auf die Tenne herab und trug eine schwere Kopfwunde und eine Gehirnerschütterung davon. Auch er entging nur mit genauer Not dem Tode. Meine Mutter selbst litt mindestens sieben Jahre an der Schwindsucht. Mehr Trübsal und Sorge konnten einer Mutter kaum beschieden sein.

      Ich kam jetzt zu einer Tante, die eine Wassermühle in Wetzlar in Erbpacht hatte, mein Bruder kam zu einer anderen Tante, deren Mann Bäcker war. Ich mußte jetzt fleißig in der Mühle zugreifen. Besonderes Vergnügen machte es mir, mit den beiden Eseln, die wir besaßen, Mehl aufs Land zu den Bauern zu transportieren und Getreide von ihnen in Empfang zu nehmen. Am liebsten aber war mir, wenn ich nur wenig Getreide zum Rücktransport erhielt, dann konnte ich auf einem der Esel nach der Stadt reiten. Das ließ sich auch unser Schwarzer, der ein geduldiges Tier war, gefallen, aber unser Grauer, der jung und feurig war, dachte anders. Er besaß offenbar so etwas wie Standesbewußtsein, denn außer der gewohnten Last litt er keine fremde auf seinem Rücken. Als ich aber doch eines Tages auf seinem Rücken Platz genommen hatte, setzte er sich sofort in Trab, steckte den Kopf zwischen die Vorderbeine und schlug mit den Hinterbeinen nach Kräften aus. Ehe ich mich's versah, flog ich in einem eleganten Bogen in den Straßengraben. Glücklicherweise ohne mich zu verletzen. Er hatte seinen Zweck erreicht, ich ließ ihn fortan in Ruhe.

      Außer den beiden Eseln besaß meine Tante ein Pferd, mehrere Kühe, eine Anzahl Schweine und mehrere Dutzend Hühner. Und da sie auch Landwirtschaft betrieb, fehlte es nicht an Arbeit, obgleich neben ihrem Sohn ein Müllerknecht – wie damals die Gesellen genannt wurden – und eine Magd beschäftigt wurden. Hatte der Knecht keine Zeit, so mußte ich Pferd und Esel putzen und manchmal auch das Pferd in die Schwemme reiten. Die Sorge für den Hühnerhof war mir ganz überlassen. Ich mußte die Fütterung der Hühner besorgen, die Eier aus den Nestern nehmen oder wohin sonst diese gelegt worden waren und den Stall reinigen. Mit diesen Beschäftigungen kam Ostern 1854 heran. Es folgte meine Entlassung aus der Schule, ein Ereignis, dem ich keineswegs freudig entgegensah. Am liebsten wäre ich in der Schule geblieben.

      Die Lehr- und Wanderjahre

      Was willst du denn werden? war die Frage, die jetzt mein Vormund, ein Onkel von mir, an mich stellte. „Ich möchte das Bergfach studieren!“ „Hast du denn zum Studieren Geld?“ Mit dieser Frage war meine Illusion zu Ende.

      Daß ich das Bergfach studieren wollte, war dadurch veranlaßt, daß, nachdem im Anfang der fünfziger Jahre die Lahn bis Wetzlar schiffbar gemacht worden war, in der Wetzlarer Gegend der Eisenerzabbau einen großen Aufschwung genommen hatte. Bis dahin hatten Haufen Eisenerze fast wertlos vor den Stollen gelegen, weil die hohen Transportkosten die Ausnutzung der Erze wenig rentabel machten. Da aus dem Bergstudium nichts werden konnte, entschloß ich mich, Drechsler zu werden. Das Angebot eines Klempnermeisters, bei ihm in die Lehre zu treten, lehnte ich ab, der Mann war mir unsympathisch, auch stand er im Rufe eines Trinkers. Drechsler wurde ich aus dem einfachen Grunde, weil ich annehmen durfte, daß der Mann einer Freundin meiner Mutter, der Drechslermeister war, und der in der Stadt den Ruf eines tüchtigen Mannes genoß, bereit sein werde, mich in die Lehre zu nehmen. Dies geschah auch. Die Begründung, mit der er meine Anfrage bejahte, war wunderlich genug. Er äußerte, seine Frau habe ihm erzählt, ich hätte mein religiöses Examen bei der Konfirmation in der Kirche sehr gut bestanden, er nehme also an, ich sei auch sonst ein brauchbarer Kerl. Nun war ich sicher kein dummer Kerl, aber ich müßte die Unwahrheit


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