Aus meinem Leben. Erster Teil. Bebel August

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Aus meinem Leben.  Erster Teil - Bebel August


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zu, was ich aber ebenfalls nicht verstand. Endlich zogen wir in München ein. Der Wagen hielt am Karlstor vor einem Kaufmannsladen. Ich sprang ab, zog den Hut und dankte höflich für die Freifahrt. In demselben Augenblick hatte der Bauer die Plane zurückgezogen, an der jetzt ein mehrere Pfund schwerer Butterklumpen klebte. Ich hatte, ohne es zu wissen, mit den Stiefelabsätzen in einem nur mit der Plane bedeckten Butterfaß herumgearbeitet. Sobald ich das angerichtete Unheil sah, wurde ich blutrot, bat um Verzeihung und erklärte mich bereit, den Schaden zu ersetzen. In demselben Augenblick erfolgte eine Lachsalve zweier junger Mädchen, die aus einem Fenster der ersten Etage sahen und das Schauspiel beobachtet hatten. Das machte mich noch verlegener. Der Bauer aber half mir rasch aus der Verlegenheit, indem er auf mein Angebot, Schadenersatz zu leisten, grob antwortete: „Mach', daß du fortkommst, du hast a nix!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen; in wenigen Sätzen war ich um die Ecke in der Neuhauser Straße. So oft ich nach München ans Karlstor komme, fällt mir dieser Vorgang wieder ein.

      In München war ich am Tage nach Schluß der siebenhundertjährigen Feier der Gründung der Stadt angekommen, eine Feier, die eine ganze Woche gewährt hatte und an die sich unmittelbar das Oktoberfest anschloß. Die ganze Bevölkerung war noch in dulci jubilo, und auf der Herberge in der Rosengasse, auf der zu jener Zeit noch stark zünftlerische Sitten herrschten, ging es hoch her. Ich wurde freundlich begrüßt und blieb eine volle Woche in München, in dem es mir ausnehmend gefiel. Aber so sehr ich und meine Kollegen sich bemühten, mir Arbeit zu verschaffen, es war vergeblich. Alle Stellen waren besetzt. Keiner wich. So entschloß ich mich, nach Regensburg zu wandern. Mit noch einem Reisegefährten, der ebenfalls nach dort wollte, begab ich mich an die Isar, um zu sehen, ob wir mit einem Floß bis Landshut fahren könnten. Man hatte uns gesagt, daß wenn wir uns auf dem Floß zum Rudern bereit erklärten, wir gratis mitfahren könnten und auch Verpflegung erhielten. Das erste war richtig, das zweite nicht. Die Isar war um jene Zeit wasserarm und hatte zahlreiche Krümmungen. Mein Reisegefährte – ein Trierer —, der vorne steuerte und ich hinten, machte überdies seine Sache sehr ungeschickt, und so fuhren wir einigemal auf den Sand, was den Flößer in Zorn versetzte, wobei es Schimpfworte regnete. Während einer Ablösung ließ ich mich mit den Passagieren, Bauersleuten und einem Pfarrer, in ein politisches Gespräch ein, das von meiner Seite so hitzig geführt wurde, daß der Flößer drohte, „den verdammten Preiß“ in die Isar zu werfen, wenn er nicht aufhöre, zu disputieren. Ich schwieg, denn mit dem Wasser der Isar im Oktober Bekanntschaft zu machen, hatte ich keine Lust. Als wir in Mosburg, einige Stunden vor Landshut, gegen Abend landeten, schlugen wir uns seitwärts in die Büsche. Wir hatten von der Fahrt genug.

      In dem Nachtquartier, das wir bei dunkler Nacht, empfangen von wütendem Hundegebell, in einem Dorfwirtshaus fanden, waren alle Räume überfüllt mit Leuten, die am nächsten Morgen zum Jahrmarkt in Landshut sein wollten. Wir mußten in der Scheune Platz nehmen, in der bereits einige Dutzend Männlein und Weiblein durcheinanderliegend Platz genommen hatten. Kaum lagen wir frierend im Halbschlummer, als wir durch Lärm geweckt wurden. Eine der Frauen, die bereits im Stroh lag, war Zeugin, wie ihr Mann der Magd, die ihn mit einer Laterne in der Hand zum Nachtquartier in die Scheune geleitete, mit einigen derben Zärtlichkeiten dankte. Darauf hielt sie ihm eine Strafpredigt im echtesten Bayerisch, die alle Schläfer aufscheuchte und großes Gelächter hervorrief. Morgens, es war noch pechfinster, suchten wir unseren Ausweg aus der Scheune, wobei wir gewahr wurden, daß wir beide, die wir auf der Höhe eines Heuhaufens uns quartiert hatten, während der Nacht auf entgegengesetzten Seiten heruntergerutscht waren.

      In Regensburg fand ich mit einem gleichfalls zugereisten Kollegen aus Breslau in der gleichen Werkstatt Arbeit. Man hatte mir abgeraten, dieselbe anzunehmen, der Meister sei in ganz Bayern als der größte Grobian bekannt. Ich ließ mich aber nicht abschrecken.

      In Regensburg erlebte ich nicht viel Bemerkenswertes. Im Kreise der Fachgenossen, in dem ich verkehrte, war mit Ausnahme des Breslauers keiner, der höhere geistige Bedürfnisse hatte. Wer am meisten trank, war der Gefeiertste. So gingen wir beide die meisten Sonntagabende ins Theater, in dem wir natürlich auf den Olymp stiegen, auf dem der Platz 9 Kreuzer kostete. Eines Tages wollten wir aber auch in der Woche uns ein bestimmtes Stück ansehen. Das war aber undurchführbar, weil der Schluß unserer Arbeitszeit mit dem Beginn des Theaters zusammenfiel. Wir gaben also unserer Köchin gute Worte, das Abendessen eine halbe Stunde früher anzurichten, wir würden die Uhr in der Stube entsprechend vorrücken. Damals gab es in Süddeutschland und Oesterreich bei den Meistern stets warmes Abendessen. Nach dem Essen kleideten wir uns rasch um und stürmten nach dem Theater. In demselben Augenblick, in dem wir von der einen Seite in dasselbe traten, kam von der anderen Seite der Meister mit seiner Frau, und in demselben Augenblick schlug auch die Uhr auf einer benachbarten Kirche sieben. Jetzt wäre erst unsere Arbeitszeit zu Ende gewesen. Wir waren verraten. Merkwürdigerweise sagte der Meister am nächsten Tage zu uns kein Wort, aber zur Köchin äußerte er: „Hören Sie, Kathi, nehmen Sie sich vor den Preißen in acht, die haben gestern abend die Uhr um eine halbe Stunde vorgerückt.“

      Von Regensburg aus stattete ich auch einen Besuch der Walhalla ab, die oberhalb Donaustauf von der Bergeshöhe einen weiten Blick in die Ebene gewährt. Bekanntlich ist Ludwig I. von Bayern, der „Teutsche“, der Erbauer der Walhalla, in der zu jener Zeit unter den aufgestellten Büsten der Berühmtheiten diejenige Luthers fehlte.

      Der Winter von 1858 auf 1859 war ein sehr langer und strenger. Hohe Kälte setzte bereits Mitte November ein. Ein Streit mit dem Meister veranlaßte mich, schon am 1. Februar, trotz Kälte und Schnee, auf die Reise zu gehen. Der Breslauer schloß sich mir an. Wir marschierten zunächst nach München, woselbst wir abermals vergeblich um Arbeit anklopften. Nunmehr marschierten wir weiter über Rosenheim nach Kufstein. Der Eintritt nach Oesterreich machte uns Kopfzerbrechen. Damals wurde an der Grenze von jedem Handwerksburschen, der nach Oesterreich wollte, der Nachweis von fünf Gulden Reisegeld verlangt. Diese hatten wir aber nicht. So verfielen wir auf die Idee, von der letzten bayerischen Station die Bahn nach Kufstein zu benützen. Um möglichst als Gentlemen auszusehen, putzten wir extrafein unsere Stiefel und Kleider und steckten einen weißen Kragen auf. Unsere List hatte den gewünschten Erfolg. Unser sauberes Aussehen und die Tatsache, daß wir mit der Bahn ankamen, täuschte die Grenzbeamten; sie ließen uns unbeanstandet passieren. Bei starker Kälte und meterhohem Schnee ging die Reise zu Fuß durch Tirol. Die Kälte und der Schnee trieben die Gemsen aus dem Gebirge herab, deren Lockrufe wir auf dem Marsch in der Abenddämmerung hörten. Sehr verwundert waren wir, beim Fechten reichlich Geld zu erhalten, und zwar Kupferstücke in der Größe unserer heutigen Zweimarkstücke. Als wir am ersten Abend in das Gasthaus traten, trugen wir schwer an der Last der erfochtenen Münzen. Als wir aber am nächsten Morgen unsere kleine Rechnung beglichen, mußten wir den halben Wirtstisch mit diesen Kupfermünzen bedecken. Es stellte sich heraus, daß dieselben in wenig Wochen wertlos wurden, weil die österreichische Regierung neue Münzen herausgegeben hatte. So löste sich das Rätsel von der großen Freigebigkeit, man war froh, das wertlos werdende Geld los zu sein.

      Endlich marschierten wir nach einer Reihe Tage über Reichenhall direkt nach Salzburg, das wir an einem Nachmittag bei wundervollem Sonnenschein erreichten. Wir standen wie gebannt, als wir bei dem Marsch um einen niederen Gebirgsrücken (den Mönchsberg) die Stadt mit ihren vielen Kirchen und der italienischen Bauart, überragt von der Feste Salzburg, vor uns liegen sahen.

      Was mir im späteren Leben als ein Rätsel erschien, war, daß ich von all den Märschen, bei denen ich oft bis auf die Haut durchnäßt wurde und jämmerlich fror, nie eine ernste Krankheit davontrug. Meine Kleidung war keineswegs solchen Strapazen angepaßt, wollene Unterwäsche war ein unbekannter Luxus und ein Regenschirm wäre für einen wandernden Handwerksburschen ein Gegenstand des Spottes und Hohnes geworden. Oft bin ich morgens in die noch feuchten Kleider geschlüpft, die am Tage vorher durchnäßt wurden und am nächsten Tage das gleiche Schicksal erfuhren. Jugend überwindet viel.

      In Salzburg fand ich Arbeit, wohingegen mein Reisegefährte, nachdem ich ihm mit dem Rest meines Geldes nach Kräften ausgeholfen, weiter nach Wien reiste. In Salzburg verblieb ich bis Ende Februar 1860. Bekanntlich ist Salzburg nach seiner Lage eine der schönsten Städte Deutschlands, denn damals gehörte es noch zu Deutschland; aber es steht im Rufe, im Sommer sehr viel Regentage zu haben. Eine Ausnahme machte der Sommer 1859, der wunderbar genannt werden mußte. Der Sommer 1859 war aber auch ein Kriegssommer. Der Krieg zwischen


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