Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

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Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt


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Blick hing wie festgebannt an dem Kindergesichtchen. Sie kannte diese großen, funkelnden Beerenaugen, das gebogene Näschen über den starkgeschwellten Lippen, die niedere Stirn, auf welcher sich die dicken, schwarzen, feuchtglänzenden Haare so eigenwillig aufsträubten – das war der Gesichtstypus der Seitenlinie des herzoglichen Hauses.

      »Will haben!« stammelte die Kleine und reichte verlangend nach den Butterblumen in Klaudines Hand.

      Die junge Dame wollte ihr freundlich lächelnd den Strauß in das ausgestreckte Händchen drücken, aber die Trägerin des Kindes wich so rasch zurück, als sei die beabsichtigte Berührung ansteckend. »O bitte – nicht! Ich kann das nicht erlauben!« protestierte sie, und ihr Blick streifte hochmütig den einfachen Anzug der jungen Dame. Bei dieser Weigerung erhob das Kind ein ohrzerreißendes Geschrei.

      Im gleichen Augenblick bog ein Herr um die Hausecke. »Weshalb schreit denn die Kleine so häßlich?« rief er, rasch näherkommend, mit hörbarem Unwillen.

      Klaudine nahm unwillkürlich die kühl ablehnende Haltung an, die ihr am Hofe Schild und Panzer gewesen war.

      – Baron Lothar war nach Deutschland zurückgekehrt, und das kleine, eigensinnige Mädchen da war sein Kind.

      »Will haben!« wiederholte die Kleine und zeigte nach den Blumen.

      Baron Lothar drohte ihr ernst mit dem Finger, worauf sie scheu verstummte. Eine jähe Glut war in sein bärtiges Gesicht geschossen, und aus seinen Augen fuhr ein Blitz über die ernst-ruhige Erscheinung der ehemaligen Hofdame. Nichtsdestoweniger verbeugte er sich tief und ritterlich vor ihr.

      »Kind«, sagte er spöttisch lächelnd zu der Kleinen, während er ihr mit seinem Taschentuch die Tränen von dem hageren Gesichtchen wischte, »wer wird Blumen begehren, die andere pflücken! Und weißt du nicht, daß Frauenhand da am liebsten verweigert, wo gewünscht wird?«

      Klaudine sah ihm, diesem verzogenen, vergötterten Liebling aller Damen, mit ungläubigem Erstaunen in das Gesicht, aber sie blieb seiner Bemerkung gegenüber vollkommen unbefangen. »Durch mich soll das Kindchen da diese erste schlimme Erfahrung gewiß nicht machen«, entgegnete sie gelassen. »Auch habe ich kaum ein Recht an diese Blumen – sie sind auf Ihrer Wiese gewachsen. Erlauben Sie jetzt —?« wandte sie sich an die Trägerin des kleinen Mädchens.

      Baron Lothar drehte sich rasch um und fixierte die stattliche Dame mit einem zornig erstaunten Blicke. »Jetzt?« wiederholte er. »Wieso?«

      »Ich fürchtete, Leonie möchte die Blumen in den Mund stecken«, antwortete die Dame stockend. Verlegenheit und Ärger stritten in ihrer Stimme.

      »Und die Wiesenblumen, die unbarmherzig zerzupft dort massenhaft neben dem Kinderwagen und auf seinen Decken liegen, wer hat ihr die gegeben, Frau von Berg?«

      Die Dame schwieg und wandte den Kopf.

      Klaudine beeilte sich, dem Kind den Strauß hinzureichen, denn die Szene wurde peinlich. In demselben Augenblick waren aber auch die zwei kleinen Fäuste dabei, die armen, gelben Dinger in Atome zu zerzupfen. Klaudine mußte unwillkürlich an die Mutter des Kindes, die Prinzessin Katharina, denken, von der man sich erzählte, daß sie in der ersten Zeit ihrer verschwiegenen Liebe alle vielblättrigen Blumen bei dem gemurmelten »Er liebt mich und so weiter« zerzupft habe.

      Baron Lothar sah mit gerunzelten Brauen auf die kleinen Vandalenhände und zuckte die Achseln. »Ich möchte Sie übrigens bitten, die Kleine wieder in gestreckte Lage zu bringen«, sagte er zu Frau von Berg. »Sie sitzt jedenfalls schon zu lange und ist ermüdet. Man sieht es an der Krümmung des Rückens.«

      Die Dame rauschte mit zurückgeworfenem Kopfe nach dem Kinderwagen, während sich Klaudine verabschiedend vor dem Herrn des Hauses neigte. Allein er blieb an ihrer Seite.

      Beim Umbiegen um die Hausecke kam ihnen ein leichter Zugwind entgegen. Er erregte ein leises Blätterrauschen in den Lindenkronen über ihnen.

      »Wie es geheimnisvoll raunt da oben!« sagte Baron Lothar. »Wissen Sie auch, von was die alten Bäume flüstern? Von den Montecchi und Capuletti des Paulinentales.«

      Die junge Dame lächelte kühl. »Im Mädcheninstitut besinnt man sich selten auf den Familienzwist daheim«, entgegnete sie gelassen. »Man hat sich gern und fragt nicht, ob man auch darf, und wenn ich heute den von den Meinen gemiedenen Boden betrete, so gilt es eben auch nur der Pensionsschwester. Ich war schon einmal während meiner letzten Institutsferien in Neuhaus. Die alten, schönen Bäume kennen mich.«

      Er verbeugte sich schweigend und ging weiter, und sie betrat den Hausflur. Sie brauchte nicht nach Beate zu fragen, denn hinter der nächsten Tür, die zu einem nach der Hofseite liegenden Gelaß führen mochte, klang in energischer Weise die gebieterische Stimme der »Pensionsschwester«.

      »Geh, sperre dich nicht, kindisches Ding!« schalt sie drin. »Ich habe keine Zeit zu vertrödeln – die Hand her!« Eine momentane Pause. »Sieh, sieh, wie schön die Schnittwunde heilt! Nun können wir auch den Nähfaden wieder herausziehen!« Der leise Aufschrei einer jugendlichen Stimme erfolgte, dann war es still.

      Klaudine öffnete geräuschlos die Tür. Dicker Plättdunst quoll ihr entgegen. An einer langen Tafel standen drei weibliche Personen und bügelten im Schweiß ihres Angesichts, während Beate am Fenster einer jungen Magd die Binde wieder um die verletzte Hand wickelte.

      Sie sah die Eintretende nicht, wohl aber fuhr ihr scharfer Blick sofort von der geknüpften Verbandschleife über den Plättisch hin. »Luise, Naseweis, was machst du denn da?« rief sie. »Herrgott, meine allerbeste Kragengarnitur unter den unglücklichen Fäusten! Hör mal, das ist mehr als dreist von solch einem Kiekindiewelt, wie du bist!« Sie nahm dem Mädchen die Stickerei weg, besprengte sie mit Wasser und rollte sie zusammen. »Ich werde das Unheil später selbst gutmachen.« sagte sie zu den anderen, auf das kleine Bündel deutend. Dabei ging sie nach der Tür und stand überrascht vor Klaudine; und das war wirkliche, herzliche Freude, die sich plötzlich verklärend über ihre strengen Züge verbreitete. »Heißes Wasser in die Kaffeemaschine!« befahl sie kurz und bündig in die Plättstube zurück, legte ihren Arm um die Schultern der jungen Dame und führte sie in die Wohnstube, in das schöne, weite Eckzimmer mit seinen tiefgebräunten, altmodischen Mahagonimöbeln, seinen weißen, tannenen Dielen und den zierlich gefältelten Vorhangbogen.

      Vor den drei Fenstern an der Südseite waren die Rollvorhänge niedergelassen, die zwei nach Osten sehenden dagegen brauchten keinen Schutz gegen das grelle Nachmittagslicht. Da dunkelten die Linden, und unter ihrem herrlichen, undurchdringlichen Schirmdach hinweg sah man ungeblendet hinaus in das blühende, sonnenglänzende Land.

      »Nun mache dir’s bequem, alter, lieber Pensionskamerad!« sagte Beate und führte die Angekommene zum Niedersitzen an eines dieser Fenster. Sie nahm ihr den Hut ab und strich leicht mit der Hand über die köstliche Haarfülle. »Da ist’s ja noch, was wir alle so gern hatten, das wellige Gelock über der Stirn und im Nacken! Falsche Wülste trägst du auch nicht, und dem ›Goldschnitt‹ hat der Hoffriseur mit seinem Brenneisen auch nichts anhaben können – na, du kommst ja ziemlich heil aus – dem Babel!«

      Klaudine lächelte leise und setzte sich an Beates Nähtisch. Da lag neben feiner Flickwäsche, sauber eingebunden, Scheffels »Ekkehard«.

      »Ja, siehst du, Schatz«, sagte Beate, die verschiedenes zusammentrug, um den Kaffeetisch herzurichten, mit einem Blick auf das Buch gleichsam entschuldigend, »ein Menschenwesen wie ich, das täglich wie ein Gendarm hinter Trägheit und Indolenz her und dabei selbst meist ein richtiger Arbeitsbär sein muß, hält dann auch um so zäher auf seine seltene, schöne Erholungstunde, und für den Zweck trage ich mir nach und nach das Beste, was die deutsche Literatur hat, in meinem Lesewinkel zusammen.«

      Dabei räumte sie das Buch und die Flickwäsche in den Nähkorb und legte eine Serviette auf den Tisch. Dann brachte sie die Zuckerdose, ein altmodisches, lackiertes Blechkästchen mit festem Verschluß. Sie schloß es auf und machte ein ärgerliches Gesicht. »Nun ja, da hat man’s! Ein Wunder ist’s freilich nicht bei dem Drunter und Drüber! Wirtschaftszucker in der guten Dose! Das ist mir auch noch nicht passiert! Aber Lothar hat mir auch einen Streich gespielt, einen Streich! Da schreibt mir der Mann als Antwort auf meinen Brief, worin ich ihm


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