Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

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Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt


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lieber Gott, wie Sie das angreift!« rief Heinemann erschrocken. »Ich alter Tapps, daß ich auch so mit der Tür ins Haus fallen muß! Aber an der Sache ist ja doch nichts mehr zu ändern«, – er schüttelte trübe den Kopf – »kein Tüttelchen! Und ist’s denn nicht doch tausendmal besser, der Geroldshof kommt in solche Hände, als daß vielleicht ein reicher Fabrikant in den Stuben und Sälen spulen und spinnen läßt? Und Ihre schöne Jugend, gnädiges Fräulein! Fragen Sie doch die da unten«, – er zeigte auf den Boden unter seinen Füßen, den ehemaligen Kirchhof der Nonnen – »ob nicht eine jede mit tausend Freuden wieder aus dem einsamen Walde entwischt wäre, wenn sich nur ein Schlupfloch in den himmelhohen Mauern gefunden hätte! Sehen Sie, das ist ja das Schöne bei der Sache, Sie kommen wieder in Ihre Gesellschaft, in Ihr richtiges Element! Eine jede Blume will ja auch ihren besonderen Boden. Der ganze Hof zieht für den Sommer auf das Altensteiner Gut. Der Herzog will eine Milchmeierei eigens für seine junge Frau einrichten, sie soll ja an der Schwindsucht leiden, das arme Frauchen, und da soll nun die Luft im Kuhstall helfen.« Er kratzte sich hinter dem Ohr.

      Die junge Dame ging langsam und schweigend tiefer in den Garten hinein. Ihre erblaßten Lippen waren wie im Krampfe geschlossen. Heinemann sah sie scheu von der Seite an. In diesem sanften, schönen Gesicht, das er kannte, seit es zum erstenmal die blauen, wundertiefen Augen aufgeschlagen hatte spiegelte sich ein Kampf ab, für welchen ihm das Verständnis fehlte.

      Er sagte deshalb auch kein Wort mehr und machte sich am nächsten Gemüsebeet zu schaffen, und erst, als sie im Begriff stand, in das Haus zu gehen, kam er ihr nach und bat um Urlaub für den nächsten Tag, »von wegen des Wachshandels«. Sie nickte ihm mit einem matten Lächeln gewährend zu und ging die Treppe hinauf.

      Droben, in ihrem stillen Zimmer, sank sie auf einen Stuhl und schlug die Hände mutlos vor das Gesicht. War alles umsonst gewesen? Durfte ihr wirklich die Versuchung nachschleichen, wohin sie auch flüchten mochte? Nein, nein, ihre Lage war nicht mehr so schutz- und hilflos, wie noch vor wenigen Wochen! Stand nicht ihr Bruder neben ihr? Und durfte sie jetzt nicht auch sagen: »Mein Haus ist meine Burg – ich kann und will es vor jedem verschließen, der meine Schwelle nicht betreten soll?«

      6

      Am anderen Morgen wanderte Hcinemann frühzeitig nach der Stadt. Neben ihm her trabte ein Dorfjunge mit einem Handwagen, den der alte Gärtner mit jungem Gemüse für seine Kunden beladen hatte, der Handelsgang nach der Stadt sollte möglichst ausgenutzt werden. Das Zinngeschirr freilich hatte zu Hause bleiben müssen und zum Ankauf neuer Vorhänge war die Erlaubnis auch entschieden verweigert worden. Nicht ohne Besorgnis sah Heinemann dann und wann nach dem Hause zurück, bis das Baumgedränge keinen Durchblick mehr gestattete. Was er ärgerlich vorausgesagt hatte, war eingetroffen – Fräulein Lindenmeyer hatte Migräne. Sie lag zu Bett und brauchte Hilfe und Pflege. Gern wäre er zu Hause geblieben, allein er hatte schon beim Morgengrauen das Gemüse abgeschnitten, und das mußte fortgeschafft werden.

      Nun war seine junge Herrin allein, denn der oben in der Glockenstube zählte nicht. Mit der Feder in der Hand war er ja nie in der wirklichen Welt. Da konnte alles um ihn her niederbrennen, wenn nur die Glockenstube stehen blieb und die Tinte nicht eintrocknete. Dieses Urteil entsprang jedoch keineswegs irgendwelcher Geringschätzung, im Gegenteil, Heinemann war voll Bewunderung, aber in seinen Augen war der gelehrte gnädige Herr einer, für den man in gewöhnlichen Dingen denken und sorgen mußte, wie für das liebe, unschuldige Ding, die kleine Elisabeth auch.

      Nun, er hatte das Seine getan, um seiner jungen Herrin die Tageslast zu erleichtern, er hatte die Ziegen gemolken, frische Eier aus den Hühnernestern genommen und Zuckererbsen zum Mittagessen gepflückt. Kleingespaltenes Holz lag neben dem Herde, das Treppenhaus war sauber gefegt, und in Fräulein Lindenmeyers Eckstube stand die homöopathische Hausapotheke mit schriftlichen Anweisungen von seiner Hand – er verstehe sich aufs Kurieren wie kein anderer, versicherte Fräulein Lindenmeyer immer. Wie er dann aber tagsüber nie die Tür im Gartenzaun einklinkte, geschweige denn verschloß, so hatte er es auch heute achtloserweise unterlassen. Der am Zaun liegende Kettenhund schlug ja pünktlich an, sobald sich die Tür von außen her in den Angeln rührte, und was hätte denn aus dem Garten entwischen sollen? Das Hühnervolk hauste hinter einem absperrenden Holzgitter und die Hauskatze bewerkstelligte ohnehin ihre Waldbesuche durch die Fensteröffnungen der Kirchenruine. An das Kind, die kleine Elisabeth, hatte der alte Mann nicht gedacht. Sie war meist seine unzertrennliche Begleiterin im Garten, sie ging auf Tritt und Schritt mit ihm und plauderte unermüdlich, und während seine großen, schwieligen Hände rüstig arbeiteten, antwortete und erzählte er unverdrossen und rieb sich nur dann und wann an der Schürze die Erde von den Fingern, um dem Kinde den verschobenen Hut in die Stirn zu rücken oder der Puppe den aufgelösten Haarzopf mühselig wieder »zusammenzuwürgen«. Aber vor seinen Augen war das kleine Mädchen noch nie bis an die Tür gelaufen, und auch Klaudine wußte, daß es sich vor dem Kettenhund fürchtete. Deshalb war sie unbesorgt ihren Hausgeschäften nachgegangen, während das Kind im Garten spielte.

      So war es gegen Mittag geworden. Die Tageshitze stieg. Nur selten zog eine vereinzelte segelnde Wolke träge über die Sonnenscheibe hin und warf auf den Garten einen kurzen Schatten, wohltuend und verdunkelnd, als ob ein riesiger Vogel seine Schwingen mitleidig über alle die hängenden und schmachtenden Blumenköpfchen breite Klaudine trat an ein Fenster und rief nach dem Kinde; aber sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme, so lautlos still war es draußen. Nur der Hund kroch mit rasselnder Kette aus seiner schwülen Hütte und sah mit gespitzten Ohren nach dem Fenster hinauf, wo gerufen wurde. Das Kind antwortete nicht, und auch sein helles Kleidchen war weder zwischen dem Gebüsch, noch in der Laube zu entdecken.

      Noch kam kein beängstigender Gedanke in Klaudines Seele. Die Kleine stieg ja oft direkt vom Garten aus hinauf in die Glockenstube, um dem Papa ein paar Blumen oder das Schürzchen voll »wunderschöner Steinchen« zu bringen. Klaudine eilte hinauf, aber in dem kühlen und durch die zugezogenen grünen Gardinen verdunkelten Turmgelaß saß ihr Bruder allein am nördlichen Fenster, so vertieft in seine Arbeit, daß er auf ihre Frage hin nur mit einem zerstreuten Blick aufsah, lächelnd den Kopf schüttelte und emsig weiter schrieb. Auch bei Fräulein Lindenmeyer war das Kind nicht, und nun flog die junge Dame angsterfüllt hinaus in den Garten.

      In der Laube stand der Puppenwagen mit dem geliebten Wickelkind, das Wachsgesicht der Puppe mit der abgenommenen Kinderschürze fürsorglich zugedeckt, aber die kleine Pflegemutter war nicht da. Sie war auch nicht im Kreuzgangwinkel bei den Ziegen und Hühnern, nicht in der Kirchenruine, wo sie sich gern auf dem grünen Rasenboden tummelte und Grasblumen suchte. Alles angstvolle Rufen und Suchen war vergeblich.

      Da sah sie über die Zauntür hinweg drüben auf der Fahrstraße eine rotglühende Pfingstrose liegen, und jetzt wußte sie, daß das Kind, einen Strauß in der Hand, aus dem Garten gelaufen war. Ohne sich zu besinnen, eilte sie hinaus, die Straße entlang.

      Öde, totenstill streckte sich die weiße Weglinie vor ihr hin. Seit die Eisenbahnschienen in ziemlicher Nähe vorüberliefen, war diese Verkehrsader fast ganz unterbunden, nur selten unterbrach Rädergeroll die Waldstille – ein Überfahren des Kindes war mithin nicht zu befürchten. Die Kleine mochte übrigens Heinemanns Beete arg geplündert haben, jedenfalls konnte das Händchen die Blumen auf die Dauer nicht fassen, denn da und dort bezeichnete eine verstreute Nachtviole oder ein Jasminzweig den Weg, den sie genommen hatte.

      Sie mußte schon seit geraumer Zeit ausmarschiert sein, wenigstens erschien Klaudine die Strecke schier endlos, die sie bereits zurückgelegt hatte, Angsttränen füllten ihre Augen und das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Zuletzt fand sie den Hut des geliebten Puppenlenchen, und zwar nahe dem Dickicht, das die Fahrstraße begrenzte. Ihr Puls stockte bei dem Gedanken, daß das Kind in den Wald eingedrungen sei und angstvoll umherirre, und schon wollte sie die Stimme zu lautem Rufen erheben, als Kindergeschwätz, in das sich eine männliche Stimme mischte, zu ihr drang. Unwillkürlich preßte sie die Hände gegen die fliegende Brust und horchte. Ja, das war Baron Lothar, der eben sprach, und das Kind war bei ihm und schon nach wenigen eilenden Schritten weiter taten sich die grünen Wände vor ihr auf und sie sah die Sprechenden herankommen.

      Baron Lothar führte mit der Linken sein Pferd am Zügel, und auf dem rechten Arm trug er die kleine Entlaufene. Der runde Hut hing ihr im Nacken, und das dichte Blondhaar fiel wirr und tief in die Stirn und


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