Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters. Александр Дюма
Читать онлайн книгу.einfaches sey, daß ich nur zu befehlen nöthig habe, und daß mittelst zehn Rubeln, die Besorgung mit bezahlt, er diesen Auftrag übernehmen würde. Ich hatte schon einiges Geld in Papier umgewandelt, ich gab ihm daher ein rothes Billet, und empfahl ihm, mich um neun Uhr zu wecken.
Das rothe Billet hatte seine Wirkung hervorgebracht: um neun Uhr klopfte der Aufwärter an meine Thür, und der Schiffer erwartete mich unten.
Die Nacht war nur eine sanfte und klare Dämmerung, bei der man leicht hätte lesen können, und die erlaubte, in einer beträchtlichen Ferne die Gegenstände in einem köstlichen Dunst und mit selbst unter dem Himmel. Neapels unbekannten Tönen bekleidet zu sehen. Die erstickende Hitze des Tages hatte sich in ein reizendes Lüftchen verwandelt, welches über die Inseln wehend einen vorübergehenden und lieblichen Wohlgeruch von Rosen und Orangen mit sich brachte. Die ganze, am Tage einsame und verlassene Stadt, hatte sich wieder bevölkert, und drängte sich auf ihren Spaziergängen am Meere, wohin ihre Aristokratie auf allen Zweigen der Newa zuströmte. Alle Gondeln reihten sich um eine ungeheure, der Festung gegenüber vor Anker liegende, und mit mehr als sechzig Musikern besetzte Barke. Plötzlich erhob sich eine wundervolle Harmonie, von der ich keine Ahnung gehabt hatte, von dem Flusse, und stieg majestätisch gen Himmel; ich befahl meinen beiden Ruderern mich so viel als möglich in die Nähe dieser riesenhaften und lebenden Orgel zu bringen, von der jeder Musiker so zu sagen eine Pfeife bildet, denn ich hatte jene Horn-Musik erkannt, von der man mir so viel erzählt, und bei der jeder Mitblasende nur eine Note macht, indem er auf ein Zeichen einen Ton von sich gibt, und ihn so lange hält, als der Taktstock des Kapellmeisters nach ihm ausgestreckt ist. Diese für mich so neue Instrumentierung gränzte an das Wundervolle; ich hätte nicht geglaubt, daß man mit Menschen spielen könnte, wie man Piano spielt, und ich wußte nicht, was ich mehr bewundern sollte, ob die Geduld des Anführers, oder die Gelehrsamkeit des Orchesters. Als ich späterhin Bekanntschaft mit dem russischen Volke gemacht, und seine außerordentliche Geschicklichkeit zu allen mechanischen Künsten gesehen hatte, verwunderte ich mich nicht mehr über seine Horn-Conzerte und über seine mit dem Beile gemachten Häuser. Aber für den Augenblick wurde ich, ich gestehe es, wie von Entzücken hingerissen, und der erste Theil des Conzertes war bereits beendigt, als ich noch horchte.
Dieses Conzert dauerte einen Theil der Nacht über. Bis zwei Uhr Morgens hielt ich mich in der Nähe, um zu hören und zu sehen, anstatt wie Jedermann von einem Orte zum andern zu gehen: es schien mir, daß das Conzert für mich allein gegeben wäre, und daß dergleichen Wunder der Harmonie sich nicht alle Abende erneuern könnten. Ich hatte demnach Muße, die Instrumente zu untersuchen, deren sich die Musiker bedienten, es sind nur am Mundstücke umgebogene Tuben, welche sich bis an das Ende hin, wo der Ton hinaus geht, erweitern. Diese Art von Zinken weichen von zwei Fuß bis zu dreißig Fuß Länge von einander ab. Nur vereinigen sich drei Personen, um diese letzteren zu blasen: zwei, welche das Instrument tragen, und eine die bläßt.
Ich kehrte, als der Tag zu scheinen begann, nach Hause zurück, ganz in Verwunderung gesetzt von dieser Nacht, die ich unter diesem byzantinischen Himmel, in Mitte dieser nordischen auf diesem so breiten Flusse, daß er ein See schien, und so rein, daß er wie ein Spiegel alle Sterne des Himmels und alle Lichter der Erde wiederspiegelte, zugebracht. Ich gestehe, daß mir St. Petersburg in diesem Augenblicke über alles das erhaben schien, was man mir von ihm gesagt hatte, und ich erkannte, daß, wenn es nicht das Paradies wäre, es zum mindesten etwas sey, was demselben sehr nahe käme.
Ich konnte nicht schlafen, so sehr verfolgte mich diese äolische Musik überall; obgleich ich mich demnach auch erst nach drei Uhr gelegt hatte, so war ich doch um sechs Uhr morgens schon wieder auf. Ich ordnete einige Empfehlungsbriefe, die man mir gegeben hatte, und die ich nicht eher zu überreichen gedachte, als bis ich eine öffentliche Fechtübung gegeben hätte, damit ich nicht genöthigt wäre, selbst über mich Auskunft zu ertheilen, nur einen einzigen steckte ich zu mir, den einer meiner Freunde mich beauftragt hatte, in eigene Hände zu übergeben. Dieser Brief war von seiner Maitresse, gestehen wir es, einer einfachen Grisette des Quartier latin, und an ihre Schwester adressiert, einer einfachen Modehändlerin, aber es ist nicht meine Schuld, wenn die Ereignisse alle Klassen vermengen, und wenn die Fluth der Revolutionen in unseren Tagen so oft das Volk dem Königthume gegenüber stellt.
Dieser Brief trug die Aufschrift: An Mademoiselle Louise Dupuy, bei Madame Xavier, Modehändlerin, Newskische Perspective, neben der armenischen Kirche, dem Bazar gegenüber.
Das alles mit dieser Schrift und mit dieser Orthographie geschrieben, die Sie kennen.
Nichts desto weniger machte ich mir ein Fest daraus, den Brief selbst zu übergeben. Acht Hundert Stunden weit von Frankreich ist es immer angenehm, eine junge und hübsche Landsmänninn zu sehen, und ich wußte, daß Louise jung und hübsch wäre. Außerdem würde sie, die St. Petersburg kannte, weil sie es seit vier Jahren bewohnte, mir Rathschläge über die Art, mich daselbst zu benehmen, ertheilen.
Da ich mich inzwischen schicklicher Weise nicht um sieben Uhr Morgens bei ihr vorstellen konnte, so entschloß ich mich, eine Tour durch die Stadt zu machen, und zu der Newskischen Perspective erst gegen fünf Uhr zurückzukehren.
Ich rief den Aufwärter; dieses Mal war es ein Lohnbedienter, der sich an seiner Statt anbot. Die Lohnbedienten sind zu gleicher Zeit die Bedienten und die Cicerones; sie wichen die Stiefeln, und zeigen die Paläste. Ich nahm ihn an, besonders für die erste dieser Verrichtungen; was die zweite anbelangt, so hatte ich im Voraus mein Sanct Petersburg der Art studiert, um darüber eben so viel, als er zu wissen.
III
Ich hatte mir nicht die Mühe genommen, mich um einen Wagen zu bekümmern, wie ich es am Abende vorher mit einer Barke gemacht; denn, so wenig ich auch noch in den Straßen von St. Petersburg herum gekommen war, so hatte ich doch an allen Querstraßen Kibitken und Droschken halten sehen. Kaum war ich demnach auch über den Admiralitäts-Platz gegangen, um die Alexander-Säule zu erreichen, als ich mich auf das erste gegebene Zeichen von I v o s c h i k s umringt sah, die mir zu herabgesetzten Preisen die verführerischten Anerbietungen machten. Da es keinen Tarif gibt, so wollte ich sehen, wie weit die Ermäßigung gehen würde: sie ging bis auf fünf Rubel; für fünf Rubel schloß ich mit dem Führer einer Droschke für den ganzen Tag ab, und bezeichnete ihm sogleich den Taurischen Palast.
Diese I v o s c h i k s, oder Kutscher sind im Allgemeinen Leibeigene, die mittelst eines gewissen Zinses, den man Abrock nennt, von ihren Herrn die Erlaubniß erkauft haben, nach St. Petersburg zu gehen, um dort für ihre eigne Rechnung. Fortuna aufzusuchen. Das Geschirr, dessen sie sich dieser Göttin nachzurennen bedienen, ist eine Art von Schlitten mit vier Rädern, in welchem der Sitz, anstatt der quere zu sein, der Länge nach angebracht ist, so, daß man darin nicht wie in unseren Tilburys sitzt, sondern zu Pferde, wie auf den Velocipeden.2 deren sich die Kinder in den Elisäischen Feldern bedienen. Diese Maschine ist mit einem nicht minder wilden Pferde, als sein Herr, bespannt, das wie er die heimathlichen Steppen verlassen hat, um die Straßen von St. Petersburg nach allen Richtungen auszumessen. Der Ivoschik hat für sein Pferd eine ganz natürliche Liebe, und anstatt es zu schlagen, wie unsere französischen Kutscher thun, redet er ihm noch liebevoller zu, als die spanischen Maulthiertreiber ihrem Hauptmaulthiere. Es ist ein Vater, sein Oheim, sein Täubchen, er dichtet für dasselbe Gesänge, zu welchen er die Melodie zu gleicher Zeit mit den Worten erfindet, und in welchen er ihm für das andere Leben zum Ersatz der Mühseligkeiten, welche es in diesem erleidet, tausend Glückseligkeiten verspricht, mit denen der ungenügsamste Mensch sich gern zufrieden stellen würde. Demnach geht auch das unglückliche Thier, sey es nun, daß es empfänglich für die Schmeicheleien, oder vertrauungsvoll auf die Versprechungen ist, ohne Unterlaß im starken Trabe, indem es fast niemals ausgespannt wird, und zum Fressen nur an den in allen Straßen zu diesem Zwecke angebrachten Trögen anhält. Das in Bezug auf die Droschke und das Pferd.
Was den Kutscher anbelangt, so hat er einen Zug von Aehnlichkeit mit dem Neapolitanischen Lazaroni, das ist, daß man nicht nöthig hat, seine Sprache zu kennen, um sich ihm verständlich zu machen, so sehr durchdringt sein schlauer Scharfsinn die Gedanken dessen, welcher spricht. Er sitzt auf einem kleinen Bocke zwischen demjenigen, welchen er fährt und feinem Pferde, indem er seine Ordnungsnummer am Halse hängend, und zwischen seinen Schultern herabfallend trägt,
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Draisinen.