Im Hause des Commerzienrates. Eugenie Marlitt
Читать онлайн книгу.der Commerzienrath schaudernd die Veränderung in seinem Gesichte verfolgte. So aschfarben malt nur die Hand des Todes.
Jungfer Suse hatte die Lampe hereingebracht; sie war wiederholt vor das Thor gelaufen, um nach Doctor Bruck auszuschauen, und nun stand sie zu Häupten des Bettes und schüttelte sich stumm vor Entsetzen bei dem Anblicke, den das weiße Lampenlicht schreckhaft hervortreten ließ. Wenige Minuten darauf sanken die Augen des Schloßmüllers zu, und der Schlüssel, den er bis dahin krampfhaft festgehalten, fiel auf die Bettdecke; eine Ohnmacht trat ein. Unwillkürlich griff der Commerzienrath nach dem Schlüssel, um ihn wegzulegen, aber in den Moment, wo er das verhängnißvolle Stückchen Eisen mit den Fingern berührte, kam ihm ein Gedanke, der ihn traf, wie ein unvermutheter Schlag: welche Physiognomie erhielt wohl der unglückselige Vorfall in den Augen der Welt? Er kannte es nur zu gut, das zischelnde, flüsternde Weib, die Lästersucht; sie schlich ja auch durch seine Salons, und das starke Geschlecht am Spieltische amüsirte sich genau mit demselben Behagen bei ihren versteckten, boshaften Fingerzeigen, ihrem zweideutigen Lächeln, wie die theetrinkenden Damen. Und wenn nur ein Einziger achselzuckend mit bedenklichem Augenzwinkern sagte: „Ei, was hatte denn auch der Commerzienrath Römer im Geldschranke des Schloßmüllers zu suchen?“ so genügte das, um sein Blut sieden zu machen. Es blieb aber nicht bei diesem Einzigen; er hatte Feinde und Widersacher genug, wie Alle, die das Glück bevorzugt; er wußte, daß man sich morgen in der Stadt erzählen werde, die Operation sei gelungen gewesen, aber die Aufregung darüber, daß der Pfleger heimlich über seinen Geldschrank gegangen, habe eine Verblutung des Patienten herbeigeführt. Und da war ein schmutziges Mal auf dem Namen des beneideten Römer, das selbst keine gerichtliche Untersuchung wegwaschen konnte; wo waren denn die entlastenden Zeugen? Etwa seine bisher anerkannte Ehrenhaftigkeit? Er lachte bitter in sich hinein, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Niemand wußte besser als er, daß sich die Mitwelt in nichts rascher findet, als eine anerkannte Ehrenhaftigkeit für Schein zu halten, sobald der Schein gegen sie auftritt. Er bückte sich über den Ohnmächtigen, dem Jungfer Susanne die Schläfe mit Essenzen wusch, und beobachtete ihn plötzlich mit verändertem Blicke; wenn dieser Mann da nicht selbst so viel Kraft wieder erlangte, um den Vorgang zu erzählen, dann wurde das Ereigniß mit ihm begraben – über die Lippen des Anderen kam kein Wort.
Endlich schlugen draußen die Hofhunde an, und rasche Schritte kamen über das Steinpflaster und die Treppe herauf. Doctor Bruck blieb einen Moment wie versteinert in der Stubenthüre stehen, dann legte er schweigend seinen Hut auf den Tisch und trat an das Bett. Welche athemlose Stille bei einem solchen Erscheinen! Sie breitet gleichsam die Schwingen aus, um feierlich den Ausspruch über Leben und Tod zu empfangen.
„Wenn er doch nur erst wieder zu sich käme, Herr Doctor!“ flüsterte endlich die Haushälterin beklommen.
„Das wird er schwerlich,“ versetzte Doctor Bruck von seiner Untersuchung aufblickend – jede Spur von Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. „Mäßigen Sie sich!“ gebot er ernst, als Jungfer Suse in ein Klagelied ausbrechen wollte.„Sagen Sie mir lieber, weshalb der Kranke das Bett verlassen hat!“ Er hatte die Lampe vom Tisch genommen und beleuchtete den Fußboden – die Dielen vor dem Bette waren mit Blut bespritzt.
„Das rührt von den vollgesogenen Tüchern her,“ erklärte der Commerzienrath mit blassem Gesicht, aber großer Bestimmtheit, während die Haushälterin heilig und theuer versicherte, daß der Schloßmüller bei ihrem Wiedereintreten noch genau so im Bett gelegen, wie es der Herr Doctor angeordnet habe.
Doctor Bruck schüttelte den Kopf. „Die Blutung ist nicht ohne alle äußere Veranlassung eingetreten; es muß eine heftige Erschütterung eingewirkt haben –“
„Daß ich nicht wüßte – ich versichere Dir, nein!“ sagte der Commerzienrath, ziemlich fest dem ausdrucksvollen Blick des Arztes begegnend. „Uebrigens, was soll dieser Inquisitorenblick? Ich sehe nicht ein, weshalb ich es Dir verheimlichen sollte, wenn der Kranke wirklich in einem Fieberanfall aus dem Bette gesprungen wäre.“ Er bliebe unbeirrt auf dem Wege, den er eingeschlagen. Fast wollte es ihm die Kehle zusammenschnüren bei seinen letzten Worten. Um den äußeren Ehrenschein zu retten, gab er die wahre innere Ehre hin – er leugnete mit eherner Stirne, aber er war ja auch in Wirklichkeit ohne alle Schuld; er war der an Leben und Gesundheit Schwerbedrohte gewesen. Nicht ein einziges Motiv lag nahe, welches das Bekennen des wahren Sachverhaltes zur Gewissenspflicht gemacht hätte.
Der Arzt wandte sich schweigend von ihm ab. Unter seinen Bemühungen schlug zwar der Schloßmüller die Augen wieder auf, aber er stierte mit wirrem, erloschenem Blick in’s Leere, und der Versuch, zu sprechen, erstarb in einem schwachen Gurgeln und Lallen.
Mehrere Stunden später verließ der Commerzienrath Römer die Schloßmühle – es war Alles vorüber. Ueber die Thüren des Sterbezimmers und des Alkovens spannten sich bereits breite Papierstreifen. Der Commerzienrath hatte sofort nach dem letzten Athemzuge des Schloßmüllers bei den Gerichten Anzeige gemacht und als vorsichtiger und gewissenhafter Mann vor seinen Augen versiegeln lassen.
2
Er schritt jetzt durch den Park nach Hause. Die Lichter der Mühle, die noch eine kleine Strecke weit einen schwachen Schein auf seinen Weg herausgeworfen, verschwanden hinter ihm; er wandelte nun allein mit sich selbst in tiefster Finsterniß, und nicht der scharfe Windhauch, der ihn anblies, nicht die vereinzelten Schneeflocken, die wie flatterndes Nachtgevögel eisigkalt an seiner Wange niederstrichen, nein, seine aufgeregten Gedanken und die Erinnerung an den Anblick, den er stundenlang hatte ertragen müssen, sie waren es, die einen Schüttelfrost durch seine Glieder jagten. Auf demselben Wege, dessen Kieselgeröll jetzt mißtönend unter seinen Füßen rasselte, war er heute Nachmittag gekommen, eben aufgestanden vom reichbesetzten Mittagstisch, sorglos, seinen vielberufenen Glücksstern über sich wähnend – und nun, nach wenigen Stunden, wollte es fast scheinen, als trage er Mitschuld am Tode eines Menschen, er, der Commerzienrath Römer, der um seiner empfindlichen Nerven willen nicht einmal ein Thier leiden sehen mochte! Bah, das war der Neid der Götter, der kein ungetrübtes Menschenloos duldet, der dem Glücklichen gern Steine auf die glatte Bahn wirft, und welcher jetzt auch bemüht war, ihm einen Nagel in das Gewissen zu drücken; der heitere Lebensgenuß sollte ihm vergällt werden – mit nichten! Ihn traf nur ein Vorwurf, der des Verschweigens, aber wem schadete er denn damit? Niemand, Niemand auf Gottes weiter Erde! Basta – er war mit sich fertig. Eben bog er in die breite Lindenallee ein, welche direct auf die Villa zulief. Ströme silberweißen Lichtes flossen durch Fenster und Glasthüren des unteren Balkonzimmers. Von dort her griff das üppige Leben voll Genuß mit weißen, schwellenden Armen nach ihm und zog ihn an sich aus Nachtdunkel und innerer Bedrängniß. Er athmete befreit auf; er warf die schlimmen Eindrücke der letzten Stunden weit hinter sich und ließ sie gleichsam verfließen mit dem Rauschen des Mühlwassers, das in der Ferne allmählich erstarb.
In dem Salon dort, am Thee- und Whisttische der verwittweten Frau Präsidentin Urach, hatte sich eine zahlreiche Abendgesellschaft eingefunden. Die sehr tiefgehenden mächtigen Glasscheiben und das klar durchsichtige Bronzegeflecht des niedrigen Balkongeländers gestatteten einen vollkommenen Einblick in den Salon. Seine farbenglänzenden Wandgemälde, die faltenschweren Thürbehänge von veilchenblauem Sammet, der schwebende Kettenleuchter von Goldbronze, den die mit dem Silberlichte des Gases gefüllten Milchglaskugeln wie riesige Perlen umkreisten, ließen ihn feenhaft, aber auch herausfordernd wie eine Schaubühne aus dem intensiven Dunkel des Winterabends treten. … Ein Windstoß pfiff durch die Allee und schüttete ein Gemisch von Schneeflocken und dürren Lindenblättern wie toll über den Balkon her; die vornehme Ruhe hinter den Scheiben ließ sich nicht alteriren durch den groben Gesellen; nicht einmal das luftige Gewebe der Spitzengardinen bewegte sich – höchstens, daß der Feuerkern im Eckkamin unter seinem grimmigen Athem für einen Moment höher aufglühte.
Und der immer rascher daherschreitende Mann draußen überblickte mit einer Art von innerlich zitterndem Wonnegefühl die Gruppen der Versammelten – nicht daß blonde und dunkle Locken, weiche, schlanke Frauen- und Mädchengestalten sein Auge entzückt hätten, die Frühlingsgenieen des Deckengemäldes streckten vielmehr ihre mit Anemonen und Maiblumen gefüllten Händchen über Matronenhäubchen, über gebleichte Scheitel und Glatzköpfe hin – aber welche Namen waren da vertreten! Officiere von hohem Range, pensionirte