Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt


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Turm, an ihre übermütige zigarrenrauchende Schwester zwischen den purpurfarbenen Polstern des Ruhebettes – welch ein ungeheurer Kontrast zu diesem einfachen Genügen und Entsagen! Und wie wurde sie hier an ihr Dresdner Heim erinnert! Das Herz ging ihr auf; sie erzählte von ihrer Pflegemutter und der weisen, festen und doch so wohltuenden Art, wie sie wirke und andere beeinflusse, wie sie die fleißigen Hände rege und von der Pflegetochter dasselbe verlange.

      »Was aber sagt die Frau Präsidentin zu diesem Erziehungssystem?« fragte die Tante fein lächelnd, während ihr Blick in geheimem Wohlgefallen an der blühenden Jugendgestalt hing.

      »Ich weiß es nicht«, versetzte Käthe achselzuckend, mit mutwillig aufblitzenden Augen, »aber ich glaube, meine Bewegungen sind ihr zu rasch, meine Stimme klingt ihr zu laut, ich bin ihr zu robust und nicht blass genug. Gott mag wissen, wie viel Not man mit mir hat! – Ist dies das Portrait Ihrer Frau Schwester?« fragte sie plötzlich ablenkend und zeigte nach dem Ölbild einer hübschen Frau, das an der Wand lehnte.

      Die alte Dame bejahte die Frage. »Es macht mir Angst, bis ich es wieder an seinem sicheren Platze sehe; der Rahmen ist ein wenig hinfällig«, sagte sie. »Aber ich leide an Schwindel und darf mich nicht auf die Leiter wagen … Vor einigen Wochen habe ich das Dienstmädchen abgeschafft«, – eine zarte Röte stieg ihr in das Gesicht – »und nun muss ich warten, bis die Aufwärterin kommt und mir die letzten Bilder und meine Bettgardinen aufhängt.«

      Schon bei den ersten Worten dieser Auseinandersetzung war Käthe an den Schreibtisch getreten; sie legte den Sonnenschirm auf die Platte desselben und steckte unbedenklich den kleinen Strauß von Weidenkätzchen und Leberblümchen in ein zierliches milchweißes Trinkglas, das neben dem Schreibzeuge stand. Dann zog sie mit einem kräftigen Rucke den Arbeitstisch tiefer in das Zimmer und stellte einen Rohrstuhl an die Wand. »Darf ich?« fragte sie zutraulich und griff nach Hammer und Nägeln, die auf dem Fenstersimse bereit lagen.

      Dankbar lächelnd brachte die Tante das Bild herbei, und nach wenigen Augenblicken hing es an der Wand. Käthe bebte unwillkürlich zurück, als ihr die alte Dame nun auch Floras Photographie hinhielt. Sie sollte mit eigener Hand dem verratenen Manne das Bild vor die Augen führen, das schon nicht mehr sein Eigentum war – binnen kurzem wurde es zurückgefordert, so gut wie der Ring, den er noch am Finger trug. Welche peinvolle Lage! Und jetzt ließ die Tante auch noch liebkosend die Hand über das Portrait hingleiten. »Sie ist so wunderschön«, sagte sie zärtlich. »Ich kenne sie im Grunde wenig; sie besucht mich sehr selten; wie könnte ich alte Frau denn auch verlangen, dass sie sich bei mir langweilen soll, aber ich habe sie doch von Herzen lieb; sie liebt ihn ja und wird ihn glücklich machen.«

      Diese unbegreifliche Ahnungslosigkeit! Dem jungen Mädchen war es, als brenne der Stuhl unter ihren Füßen – sie hatte zu kopflos gehandelt. Nach allem, was sie eben noch drüben im Turme mit angehört, durfte sie hier nicht eintreten. Sie kam sich falsch und heuchlerisch vor, weil sie nicht der Frau sofort das Bild aus der Hand stieß und ihr die Schlange enthüllte, die nach ihrem Herzen zischte. Und doch durfte ihr kein Wort entschlüpfen. Sie schlug so heftig auf den Nagel, dass die Wand dröhnte, dann hing sie mit spitzen Fingern die Photographie hin und sprang vom Stuhle. Wie ein schöner, böser, triumphierender Dämon lächelte das verführerische Gesicht der Schwester auf den Schreibtisch nieder.

      Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme, um schleunigst das Zimmer zu verlassen. Über die Schwelle schreitend, sah sie durch die nächste, weitoffene Tür direkt auf das Bett der alten Dame – die Treppenleiter stand daneben. »Das hätte ich fast vergessen«, rief sie entschuldigend; sie huschte hinüber, und den buntgeblümten Vorhang vom Bette nehmend, stieg sie die Leiter hinauf. Seitwärts in der dunklen Fensterecke stand sie so hoch oben, dass sie die herabhängenden Füßchen der Engelsgestalten in der Deckenverzierung berühren konnte. Mit fliegender Hast reihte sie die Ringe der Gardine auf das Eisengestell, während die Tante an dem mitten in ihrem Zimmer befindlichen Tische stand und ein Glas Wasser mit Himbeersaft »für ihre gütige Gehilfin« mischte.

      Da sah Käthe draußen am Fenster einen Mann rasch vorübergehen, einen Mann von strenger Haltung und auffallend stattlicher Gestalt. Sie erkannte ihn sofort und erschrak; ehe sie sich aber klar wurde, ob sie bleiben oder schleunigst herabsteigen sollte, hatte er schon den Flur durchschritten und öffnete die Tür im Zimmer der Tante. Die alte Dame drehte sich um, und mit dem Ausrufe: »Ach, Leo, da bist Du ja schon!« eilte sie auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Vergessen war die Himbeerlimonade, vergessen »die gütige Gehilfin«, welche sie trinken sollte, und die sich nun in namenloser Verlegenheit halb und halb hinter dem Kattunvorhange zu verbergen suchte – jetzt musste sie sich still verhalten, wenn sie nicht plump störend zwischen die Wiedersehensszene treten wollte.

      Sie sah, wie sich das schöne, bärtige Gesicht des Doktors liebevoll über die treue, mütterliche Pflegerin neigte, wie er sie fest an sich zog und ihre Hand von seiner Schulter nahm, um sie ehrerbietig zu küssen. Und nun überblickten seine Augen das Zimmer.

      »Nun, Leo, was sagst Du, dass ich ohne Dein Vorwissen ausgeflogen bin?« fragte die alte Dame, den Blick auffangend.

      »Ich sollte das eigentlich nicht billigen. Du hast Dir in den wenigen Tagen zu viel zugemutet, und wir wissen, dass Dir häusliche Unruhe und Überstürzung stets feindlich sind; übrigens siehst Du wohl und frisch aus.«

      »Du aber nicht, Leo«, unterbrach ihn die Tante bekümmert. »Du hast nicht die kräftige Farbe wie sonst, und hier« – sie strich leicht mit der Hand über seine Stirn – »liegt etwas Fremdes, etwas wie ein finsterer, quälender Gedanke. Hast Du Verdruss gehabt auf Deiner Berufsreise?«

      »Nein, Tante!« Das klang aufrichtig und beruhigend, aber auch kurz abbrechend – der Kommerzienrat hatte es ja gesagt, Bruck sprach nie über seinen Beruf und dessen Vorkommnisse. »Wie mich dieses Zimmer anheimelt, trotz seiner verdunkelten Wände!« sagte er, und die Hände auf dem Rücken gekreuzt, wandelte er mit musterndem Blicke langsam nur den Tisch. »Der Friede der selbstlosen Frauenseele weht einen an – das ist’s auch, weshalb ich so gern heimgehe in unser Stillleben mit den einfachen Möbeln und Deinem geräuschlosen Walten, Tante. Ich werde viel hier sein –«

      Die alte Frau lachte. »Ja, ja, bis zu einem gewissen Junitage«, versetzte sie schelmisch. »Zu Pfingsten wird Deine Hochzeit sein.«

      »Am zweiten Pfingsttage.« Wie seltsam er das aussprach, so kalt und fest, so unerbittlich – der ließ sich nicht eine Sekunde von der festgesetzten Stunde abdingen. Käthe fühlte etwas, wie einen Angstschauer. Sie hielt den Atem zurück; nun durfte sie sich gar nicht sehen lassen. Von Minute zu Minute hoffte sie, dass der Doktor in sein Zimmer gehen werde, dann konnte sie leicht ihren hohen Standpunkt verlassen und hinausschlüpfen, ohne ihm begegnen zu müssen. Ihre ganze Natur empörte sich gegen dieses unfreiwillige Lauschen. Aber statt zu gehen, blieb er plötzlich am Tische stehen und nahm einen Brief zur Hand, der zwischen verschiedenen, noch nicht geordneten Bücherstößen lag.

      Die Tante machte eine unwillkürliche Bewegung, als wolle sie ihn verhindern, zu lesen; ihr zartes Gesicht war sehr rot geworden. »Ach Gott, wie vergesslich wird doch so ein alter Kopf!« klagte sie. »Der Brief wurde vor einigen Stunden aus der Stadt mitgebracht. Er ist vom Kaufmanne Lenz; heute sollte er gar nicht in Deine Hände kommen, und nun habe ich ihn doch liegen lassen. Ich glaube, er enthält das Honorar – zu so ungewöhnlicher Zeit, Leo – ich fürchte –«

      Der Doktor hatte das Couvert bereits erbrochen und überflog die Zeilen. »Ja, auch er lohnt mich ab«, sagte er ruhig und warf den Brief und etwas Papiergeld auf den Tisch. »Grämst Du Dich darüber, Tante?«

      »Ich? Nicht einen Augenblick, Leo, wenn ich weiß, dass Du Dir die Undankbarkeit dieser urteilslosen Menschen nicht zu Herzen nimmst. … Ich glaube unerschütterlich an Dich und Deine Kunst und – an Deinen Stern«, sagte die sanfte Frauenstimme warm und überzeugungsfroh. »Die Steine, die Missgeschick und Übelwollen Dir zeitweilig unter die Füße werfen, beirren mich nicht – Du machst Deinen Weg.« Sie zeigte in die offene Tür des Eckzimmers. »Sieh’ Dir Dein Stübchen an! Wie ungestört und unbehelligt wirst Du hier denken und arbeiten können! Ach, und wie freue ich mich der Zeit, die wir noch traulich zusammenleben werden, wo ich noch für Dich sorgen darf –«

      »Ja, Tante –


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