Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt


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Und alle diese Leute waren in seinem Hause, im Hause des Kommerzienrat Römer; der rubinfunkelnde Wein in den Gläsern war aus seinem Keller, und die frischen, duftenden Erdbeeren, welche die betressten Diener in großen Kristallschalen eben herumreichten, hatte er bezahlt. Die Frau Präsidentin Urach war die Großmama seiner verstorbenen Frau; sie machte mit unumschränkter Macht über seine Kasse die Honneurs im Hause des Witwers.

      Der Kommerzienrat bog um die westliche Seite des Hauses. Hier waren nur zwei Fenster im Erdgeschoss beleuchtet; ziemlich nahe dem einen brannte eine Hängelampe und warf die helle Glut der roten Gardine so weit hinaus, dass der weiße Leib der steinernen Brunnennymphe drüben vor der Boscage in einem vollen Rosenlichte schwamm. Der Kommerzienrat schüttelte den Kopf; er trat in das Haus, ließ sich von einem herbeieilenden Diener den Überzieher abnehmen und öffnete die Tür des Zimmers, in dem sich die roten Vorhänge befanden. Der ganze Raum war rot; Tapeten, Möbelbezüge, selbst der Teppich, der sich über den Fußboden hinspannte, trug die satte, dunkle Purpurfarbe. Unter der Hängelampe stand ein Schreibtisch, ein Möbel von wunderlicher Form, in chinesischem Geschmacke schwarz lackiert, mit Goldgeäder und feinen Goldarabesken; es war ein Arbeitstisch im vollsten Sinne des Wortes; aufgeschlagene Bücher, Papierhefte und Zeitungen bedeckten seine breite Platte, auch ein dickes Manuskript mit quer darüber hingeworfenem Stifte lag da, und daneben stand auf einem kleinen, runden Silberteller ein Kelchglas, zur Hälfte mit dunklem, schwerem Rotweine gefüllt. Das war ein Zimmer, wo keine Blume gedeiht, wo kein Vogel sein störendes Lied singen darf. In den vier Ecken, auf Säulenstücken von schwarzem Marmor, standen lebensgroße Büsten aus demselben Material, das die strenggeschnittenen Köpfe noch herber und härter im Ausdrucke erscheinen ließ, und die eine lange Wand nahmen Büchergestelle ein; sie harmonierten in Farbe und Ausschmückung mit dem Schreibtische und bargen eine ansehnliche Bibliothek in ihren Fächern, schöngebundene Bücher neuesten Datums, aber auch Folianten in Schweinsleder und ganze Stöße abgegriffener Broschüren. Fast schien es, als sei hier das tiefe, gleichmäßige Rot als Grundton nur gewählt, um den Ernst des Gedankens in der Gesamteinrichtung hervorzuheben.

      Als der Kommerzienrat auf die Schwelle trat, blieb die Dame, die offenbar da auf- und abgegangen war, inmitten des Zimmers stehen. Man hätte meinen mögen, auch sie sei eben von draußen hereingekommen, direkt aus dem Schneegestöber mit überschneitem Gewande, so blendend weiß stand sie auf dem roten Teppich. Es ließ sich schwer bestimmen, ob die weichen Falten des langen Kaschmirkleides lediglich aus Bequemlichkeit so lässig um Hüften und Taille geschürzt waren, oder ob diesem außergewöhnlichen Arrangement ein sorgfältiges Toilettenstudium zugrunde liege – jedenfalls hob sich die Gestalt von dem dunkelpurpurnen Hintergrunde edel in jeder Linie und taubenhaft weiß ab wie eine Iphigenie. Die Dame war sehr schön, wenn auch nicht mehr in der ersten Jugend. Sie hatte ein feines Römerprofil und zartgefügte, jugendlich biegsame Glieder; nur das aschblonde Haar entbehrte der Fülle; es war kurz verschnitten und bauschte sich, von der Stirn zurückgestrichen, in kleinen durchsichtigen Locken um Kopf und Hals. Das war Flora Mangold, die Schwägerin des Kommerzienrats Römer, die Zwillingsschwester seiner verstorbenen Frau. Sie hatte die Arme leicht unter der Brust verschränkt und sah ihrem Schwager mit sichtlicher Spannung entgegen.

      »Nun, Flora, Du bist nicht drüben?« fragte er, mit dem Daumen die Richtung des Salons bezeichnend.

      »Was denkst Du denn? Ich werde mich wohl in Großmamas Teeklatsch setzen, zwischen Strümpfe und Wickelschnuren für arme Kinder und Altweibergeschwätz«, versetzte sie herb und geärgert.

      »Es sind auch Herren drüben, Flörchen –«

      »Als ob die sich auf den Klatsch nicht noch besser verstünden, trotz Orden und Epauletten!«

      Er lachte. »Du hast schlechte Laune, ma chère«, sagte er und ließ seine schlanke Gestalt in einen Lehnstuhl sinken.

      Sie aber warf plötzlich mit einer heftig schüttelnden Bewegung den Kopf zurück und presste die festverschlungenen Hände gegen den Busen. »Moritz«, sagte sie wie atemlos, wie nach einem augenblicklichen Ringen mit sich selbst, »sage mir die Wahrheit – ist der Schlossmüller unter Brucks Messer gestorben?«

      Er fuhr empor.

      »Welche Idee! Nun wahrhaftig, Euch Frauen ist doch nie ein Unglück schwarz genug –«

      »Moritz, ich bitte mir’s aus«, unterbrach sie ihn mit einer stolzen Kopfbewegung.

      »Nun ja, allen Respekt vor Deiner Begabung und Deinem ungewöhnlichem Verstande, aber machst Du es denn besser als die anderen?« Er durchmaß aufgeregt das Zimmer – diese ungeahnte Auffassung des Ereignisses traf ihn wie vernichtend. »Unter Brucks Messer gestorben!« wiederholte er mit tief erregter Stimme. »Ich sage Dir, gegen zwei Uhr hat die Operation stattgefunden, und vor kaum zwei Stunden ist der Tod eingetreten. Übrigens fasse ich nicht, wie gerade Du den Mut findest, einen solchen Gedanken so kurz und bündig, fast möchte ich sagen, so mitleidslos auszusprechen.«

      »Gerade ich!« betonte sie. Bei diesen energischen Worten drückte sie den vorgestreckten Fuß sichtlich tiefer in den Teppich. »Gerade ich, weil ich nichts Totgeschwiegenes in meiner Seele dulde – das solltest Du wissen. Ich bin zu stolz, zu wenig hingebend, um die dunkle Verschuldung eines anderen mitzuwissen und zu verhehlen – sei dieser andere, wer er wolle! Glaube ja nicht, dass ich dabei nicht leide! Mir geht ein Schwert durchs Herz, aber Du hast das Wort ›mitleidslos‹ gebraucht – verdächtiger konntest Du Dich nicht ausdrücken. Mitleid haben mit der Stümperei in der Wissenschaft, das ist absurd, geradezu unmöglich. Darüber aber bist Du doch, so gut wie ich, im Klaren, dass Brucks Ruf als Arzt bereits stark gelitten hat durch die gänzlich missratene Kur der Gräfin Wallendorf.«

      »Ja, ja, die gute Frau hat ihrer Liebhaberei für Gänseleberpastete und Champagner um keinen Preis entsagt.«

      »Das behauptet Bruck – die Verwandten haben es widerlegt.« Sie presste die Handfläche an die Schläfen, als schmerze ihr der Kopf heftig. »Weißt Du, Moritz, als die Nachricht von dem Unglück in der Mühle herübergebracht wurde, da bin ich wie sinnlos draußen im Freien auf- und abgestürmt. In allen Schichten der Bevölkerung war der alte Sommer gekannt, alle Welt interessierte sich für die Operation. Sei es denn, wie Du sagst, dass er nicht sofort unter Brucks Händen den Geist aufgegeben hat – die Sachverständigen werden mit Recht behaupten, er habe eben nur, vermöge seiner robusten Natur, einen verlängerten Kampf gekämpft. Willst Du als Laie das besser wissen? Leugne doch nur nicht, dass Du dieselbe Überzeugung hegest! Du solltest Dich nur sehen, wie blass Du bist vor innerer Bewegung.«

      In diesem Augenblick tat sich eine Seitentür auf, und die Präsidentin Urach erschien auf der Schwelle. Trotz ihrer siebenzig Jahre konnte man wohl von ihr sagen: sie kam schwebenden Schrittes näher; trotz ihrer siebenzig Jahre war sie eine wunderlich jugendliche Großmama. Sie trug nicht einmal die wohltätig verhüllende Mantille des Alters; ein weißer, auf den Rücken geknüpfter Spitzenfichu legte sich knapp um Brust und Taille, und auf der perlgrauen Seidenschleppe bauschte ein reichgarniertes Überkleid. Ihr ergrautes, aber noch von glänzenden Streifen der ehemaligen Goldfarbe durchzogenes Haar war in dicken Puffen um die Stirn gesteckt, und über dieser Haarkrone lag schleierartig weißer Blondentüll, dessen lange Enden den Hals und die untere Kinnpartie, diese unerbittlichen Verräter des vorgerückten Alters, zugleich verhüllten.

      Sie kam nicht allein. Neben ihr schlüpfte ein wunderliches Wesen herein, eine im Wachstum sehr unterdrückte Gestalt, nicht gerade unproportioniert in den Gliedern, aber doch auffallend klein und erschreckend mager, und auf diesem dürftigen Körper saß der starkentwickelte Kopf einer jungen Dame von vielleicht vierundzwanzig Jahren. Die drei im Zimmer anwesenden Frauenköpfe trugen ein und denselben Familienzug – man erkannte sofort die enge Beziehung zwischen der Großmutter und den Enkelinnen; nur bei der Jüngsten erschien das edle, ebenmäßige Profil zu sehr in die Länge gezogen; auch trat das Kinn breiter und energischer hervor. Sie hatte einen kränklichen Teint und seltsam bläuliche Lippen. Durch ihr blondes Haar schlangen sich feuerfarbene Sammetbänder – sie war überhaupt in eleganter Gesellschaftstoilette; nur hing origineller Weise da, wo andere Damen ein Margarethentäschchen tragen, ein ovales Weidenkörbchen, weich gefüttert mit blauen Atlaskisschen, zwischen denen ein Kanarienvogel saß.

      »Nein, Henriette!« rief Flora ungeduldig und heftig, als das


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