Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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versetzte der Hausherr. Gabriel zog ein Stück Semmel aus der Tasche, die Hunde schnappten darnach. »In dieser Weise sind sie zuverlässig,« sagte er ein wenig beruhigt. »Aber wie soll man sie in Ihrem Hause rufen?«

      »Der Bräuhahn mag bleiben, was er ist,« versetzte Herr Hummel, »aber in meiner Familie soll kein Hund Gose heißen. Ich leide dieses Getränk nicht.« Er sah feindselig auf das Nachbarhaus hinüber. »Andere Leute lassen sich das Zeug täglich über die Straße holen, das ist für mich kein Grund, ein solches Wort in meinem Haushalt zu dulden. Der Schwarze heißt von jetzt ab Bräuhahn und der Rothe Speihahn. Damit abgemacht.«

      »Aber, Herr Hummel, das sind lauter injuriöse Namen,« rief Gabriel, »damit wird das Uebel ärger.«

      »Das ist meine Sorge,« sagte Herr Hummel entschlossen. »Bei Nacht bleiben sie im Hofe, sie sollen das Haus bewachen.«

      »Wenn sie nur leibhaftig aushalten,« wandte Gabriel ein, »die Art kommt und verschwindet wie sie will und nicht wie wir wollen.«

      »Sie werden doch nicht des Teufels sein,« lachte Herr Hummel.

      »Wer spricht vom Teufel?« versetzte Gabriel schnell. »Einen Teufel gibt es nicht, das leidet der Professor nimmer, aber von Hunden hat man Beispiele.«

      Damit zog Gabriel die Thiere in den Hausflur, Herr Hummel rief in die Stube: »Guten Abend, Philippine, hier habe ich dir etwas mitgebracht.«

      Frau Hummel trat mit dem Lichte in die Thür und sah erstaunt auf das Geschenk, das zu ihren Füßen winselte. Durch diese Demuth wurde das stolze Herz der Hausfrau zum Wohlwollen gestimmt. »Aber sie sind häßlich,« sagte sie zweifelnd, als der Rothe und der Schwarze zu ihren beiden Seiten niedersaßen, das Gesäß gesenkt, mit dem Schwanze wedelnd und unter den langen Augenhaaren zu ihr aufblickend. »Und warum zwei?«

      »Sie sind nicht für die Ausstellung gearbeitet,« entgegnete Herr Hummel begütigend, »es ist Landwaare. Der eine ist nur Ersatzmann.«

      Nach dieser Vorstellung wurden sie in einen Verschlag getragen, Gabriel prüfte noch einmal ihre Fähigkeit im Fressen und Saufen, sie erwiesen sich durchaus als regelmäßige, wenn auch nicht durch Leibesschönheit ausgezeichnete Hunde, und Gabriel stieg sorglos zu seiner Kammer hinauf.

      Als die Uhr zehn schlug und das Gitterthor, welches den Hof von der Straße schied, geschlossen wurde, ging Herr Hummel selbst zum Hundezwinger hinab, um die neuen Wächter in ihren Beruf einzuweihen. Aber er erstaunte sehr, als er ihnen die Thür öffnete. Denn ohne sein ermunterndes Herrenwort abzuwarten, stürzten die beiden Creaturen zwischen seinen Füßen in den Hof hinaus. Wie von einer unsichtbaren Peitsche getrieben, fuhren sie um das Haus und die Fabrik herum, ohne Aufhören, immer neben einander. Und keineswegs stillschweigend. Sie waren bis dahin gedrückt und kleinlaut gewesen, jetzt wurden sie, entweder wegen guter Leibesnahrung oder weil ihre nächtliche Stunde gekommen war, so geräuschvoll, daß sogar Herr Hummel erstaunt zurücktrat; ihr heiseres, scharfes Gebell übertönte das Horn des Nachtwächters und die Rufe des Hausherrn, welcher ihnen Mäßigung anempfehlen wollte. Ohne Aufhören ging die wilde Jagd im Hofe herum und ein unendliches Gekläff begleitete den Sturmlauf. Die Fensterflügel des Hauses öffneten sich. »Das wird eine lebendige Nacht, Herr Hummel,« rief Gabriel hinunter.

      »Aber Heinrich, das ist ja unerträglich,« rief die Gattin aus der Schlafstube.

      »Es ist nur die erste Freude,« tröstete Herr Hummel und zog sich in das Haus zurück.

      Aber diese Ansicht erwies sich als ein Irrthum. Durch die ganze Nacht klang das Gebell der Hunde aus dem Hofe. Auch in den Häusern der Nachbarschaft wurden Läden aufgerissen und laute Scheltworte nach dem Hof des Herrn Hummel geworfen. Am nächsten Morgen stand Herr Hummel unsicher auf. Selbst ihm war sein kräftiger Bürgerschlaf durch die Vorwürfe der Gattin gestört worden, welche jetzt zornig und mit Kopfschmerzen behaftet beim Frühstück saß. Und als er in den Hof trat und die Beschwerden einsammelte, welche ihm seine Leute von der Außenwelt zutrugen, da war auch er einen Augenblick schwankend, ob er die Hunde für eine Bereicherung seines Hausstandes halten dürfe.

      Das Unglück wollte, daß gerade in dieser Stunde der Markthelfer des Herrn Hahn mit herausfordernder Miene in den Hof trat und meldete: Herr Hahn müsse darauf bestehen, daß Herr Hummel das unerhörte Gebell abschaffe, er werde sich sonst genöthigt sehen, sein Recht bei der Polizei zu suchen.

      Dieser Angriff des Gegners entschied den innern Kampf des Herrn Hummel. »Wenn ich das Bellen meiner Hunde ertrage, so können’s andere Leute auch ertragen. Dort spielen die Glocken, hier singen die Hunde, und wenn Jemand vor der Polizei meine Ansicht hören will, so soll er genug zu hören bekommen.« Er ging in das Haus zurück und trat würdig vor seine leidende Hausfrau. »Du bist meine Frau, Philippine, du bist eine kluge Frau und ich gebe dir nach in jedem Dinge, worin du mir einen verständigen Willen zeigst.«

      »Sollen zwei Hunde zwischen dich und mich treten?« frug mit schwacher Stimme die Gattin.

      »Niemals,« versetzte Hummel, »Hausfriede muß sein, und dein Kopfschmerz ist mir nicht recht. Und ich wollte dir zu Gefallen die Biester schon wieder abschaffen. Da begegnet mir dies mit diesen Phantasten. Zum zweiten Mal bedrohen sie mich mit Justiz und Polizei. Jetzt steht meine Ehre auf dem Spiel und ich kann nicht mehr nachgeben. Sei mein gutes Weib, Philippine, versuch’s einige Nächte mit Baumwolle in den Ohren, bis sich die Hunde an ihre Arbeit gewöhnt haben.«

      »Heinrich,« versetzte die Gattin matt, »ich habe nie an deinem Herzen gezweifelt, aber dein Charakter ist rauh. Und die Hunde haben eine zu häßliche Stimme. Willst du, um deinen Willen durchzusetzen, deine Frau durch Schlaflosigkeit leiden sehen und immer kränker werden sehen, so sag’s. Willst du, um deinen Charakter zu behaupten, den Frieden mit der Nachbarschaft opfern, so sag’s.«

      »Ich will nicht, daß du krank wirst, und ich will die Hunde nicht weggeben,« versetzte Herr Hummel, ergriff seinen Filzhut und ging mit starken Schritten nach der Fabrik.

      Wenn sich aber Herr Hummel der Hoffnung hingab, den schwersten Hauskampf als Sieger beendet zu haben, so wandelte er in großem Irrthum. Noch war eine andere Macht innerhalb seiner Grenzen übrig, und diese eröffnete den Feldzug auf ihre Weise. Als Hummel in seinem kleinen Comtoir an das Pult trat, sah er neben dem Tintenfaß einen Blumenstrauß. An dem rosa Seidenband hing ein kleiner Brief, gesiegelt mit der Oblate Vergißmeinnicht, überschrieben: »Meinem lieben Papa.« »Das ist mein Blitzmädel,« murmelte er, öffnete das Billet und las folgende Zeilen: »Lieber Papa, guten Morgen, die Hunde machen uns große Sorgen, sie sind gar zu häßlich, und ihr Gebell ist gräßlich. Was den Unfrieden mehrt und die Nachbarn stört, behalte nicht in Hof und Hut. Sei edel, Vater, hilfreich und gut.«

      Hummel lachte kräftig, daß die Arbeit in der Fabrik stockte und Jedermann über die gute Laune verwundert war. Dann bezeichnete er den Zettel mit dem Datum des Empfanges, steckte ihn in die Brieftasche und begab sich nach Durchsicht der eingelaufenen Briefe in den Garten. Er sah seine kleine Hummel mit der Gießkanne über die Beete fahren und Vaterstolz schwellte ihm das Herz. Wie behend sie sich drehte und beugte, wie ihr die dunkeln Löckchen um das blühende Antlitz hingen, wie geschäftig sie die Kanne hob und schwenkte! Und als sie ihn erblickte, das Gefäß hinsetzte und ihm mit dem Finger drohte, da wurde er vollends bezaubert. »Wieder Verse,« rief er ihr entgegen, »es ist Numro neun, die ich kriege.«

      »Und du wirst mein guter Papa sein,« rief Laura auf ihn zueilend und streichelte sein Kinn. »Schaffe sie ab.«

      »Siehst du, Kind,« sagte der Vater behaglich, »ich habe schon mit deiner Mutter darüber gesprochen, und ich habe ihr auseinandergesetzt, weshalb ich sie nicht abschaffen kann. Jetzt darf ich doch nicht dir zu Gefallen thun, was ich deiner Mutter nicht zugeben konnte. Das wäre gegen die Hausordnung. Respectire deine Mutter, kleine Hummel.«

      »Du bist hartherzig, Vater,« versetzte die Tochter schmollend. »Und sieh, du hast in dieser Sache Unrecht.«

      »Oho,« rief der Vater, »kommst du mir so?«

      »Was that uns das Glockenspiel drüben zu Leid? Das Häuschen ist hübsch, und wenn wir Abends im Garten sitzen und der Wind geht und die Glocken leise bimmeln, das hört sich gut an, es ist wie in der Zauberflöte.«

      »Hier ist keine Oper,«


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