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Erdbeben ist gar nichts besonders, antwortete der sich nähernde Panglos, im verwichnen Jahre hatte die Stadt Lima in Amerika ein gleiches Schicksal: gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen hervor, es geht ganz gewiß kein Strich Schwefel von Lima bis nach Lissabon unter der Erde weg.

      "Höchstwahrscheinlich! aber um Gottes willen ein wenig Öl und Wein." Wahrscheinlich nur? nur wahrscheinlich wär's? erwiderte der Philosoph, erwiesen ist es, Herr, klar erwiesen, behaupt' ich. Kandide ward ohnmächtig, und Panglos brachte ihm ein wenig Wasser aus einem benachbarten Springbrunnen. Sie durchkrochen den Tag darauf die eingestürzten Gebäude, fanden da einige Lebensmittel, erquickten und stärkten sich wieder ein wenig und halfen darauf – wie andre auch taten – den dem Tode entronnenen Einwohnern retten, was sich noch retten ließ.

      Einige Bürger, denen sie beigesprungen waren, tischten ihnen ein so gutes Mahl auf, als man in der Lage nur verlangen konnte. Es war ein Mahl der Traurigkeit, jeder Bissen mit Tränen benetzt.

      Panglos tröstete die Anwesenden und gab ihnen die Versicherung; daß es gar nicht anders sein könnte, weil die Welt aufs beste eingerichtet sei. Denn, sagte er, wenn zu Lissabon ein unterirdischer Brand ist, kann keiner zu Wien und Berlin sein, sintemal es unmöglich, daß ein Ding an mehr als an einem Orte zugleich sein kann, alldieweil alles, was da ist, gut ist.

      Neben ihm saß ein schwarzröckiges Männlein, ein Familiar der heiligen Inquisition, das hub in höflichem Tone an: Vermutlich glauben der Herr keine Erbsünde, denn wenn alles, was da ist, gut ist, gibt's weder Sündenfall noch Strafe.

      Ich bitte Ew. Hochehrwürden alleruntertänigst um Verzeihung, erwiderte Panglos mit noch höflicherm Ton und Gebärden, ich glaube beides, alldieweil der Sündenfall und der über die Menschen ausgesprochne Fluch in den Plan der besten aller möglichen Welten notwendig hereingehören.

      Also statuieren der Herr keine Willensfreiheit? sagte der Familiar. "Ew. Hochehrwürden verzeihen; Willensfreiheit kann sich mit der unumschränkten Notwendigkeit gar wohl vertragen, sintemal es notwendig war, daß wir willensfrei waren, alldieweil der vorherbestimmte Wille … "

      Panglos steckte noch mitten in seiner Demonstration, als der Familiar der Inquisition seinem Untergebenen, der ihm Oporto oder Porto einschenkte, einen Wink mit dem Kopf gab.

      Kapitel 6

      Probates Mittel der hochehrwürdigen Inquisition fürs Erdbeben, bestehend in einem schönen Autodafe, wobei Kandide den Staupbesen bekommt

      Nachdem das Erdbeben drei Viertel von Lissabon verwüstet hatte, war im Rate der Wächter und Weisen des Landes beschlossen worden, dem Pöbel ein gar stattliches Autodafe zu geben. Ein kräftigers Mittel, dem gänzlichen Untergange der Stadt vorzubauen, hatten sie nicht können ausfindig machen. Auch hatte die Universität zu Coimbra den Ausspruch getan: einige Personen mit gehörigen Solennitäten und Formalitäten an langsamem Feuer gebraten, wäre das probateste Mittel, allen f ernerweitigen Erdbeben vorzubeugen.

      Sonach hatte man einen Biskajer eingezogen, der seine Gevatterin geheiratet zu haben war überführt worden, und zwei Portugiesen, die den Speck aus einem Huhn geschnitten hatten, eh' sie's gegessen. Nach dem Essen wurde Magister Panglos samt seinem Jünger Kandide in Ketten und Banden gelegt; jener wegen seiner Reden, dieser wegen der Miene des Beifalls, mit der er zugehört. Man führte jeden in ein besonders Gemach, kühl wie ein Eiskeller, wo die Sonne einem nie auf die Scheitel stach. Nachdem acht Tage verflossen waren, legte man ein Skapulier um ihre Schultern und schmückte ihre Häupter mit Papiermützen. Kandidens Mütz' und Skapulier war mit abwärtsgehenden Flammen bemalt und mit Teufeln sonder Krallen und Schwänzen, aber Panglosens Teufel hatten Krallen und Schwänze, und die Flammen stiegen aufwärts.

      So bekleidet zogen sie in feierlichster Prozession daher, hörten eine Predigt an, die durch Mark und Bein fuhr, und darnach eine gar unliebliche, disharmonische Choralmusik. Während des Gesangs ward Kandide nach Noten mit Ruten gestrichen; der Biskajer und die beiden Speckverächter verbrannt, und Panglos wider allen Schick und Brauch aufgehängt. Und unter der Erde begann von neuem ein gräßliches Gerassel und Geprassel.

      Kandide, ganz ein Raub der Angst und des Schreckens, an jedem Gliede zitternd und blutrünstig, sagte bei sich selbst: Ist das die beste aller möglichen Welten, nun so möcht' ich die übrigen sehn! Daß ich mit Ruten gestrichen werde, möchte noch hingehn, wurd' ich's doch auch bei den Bulgaren; aber daß ich dich muß hängen sehn, trauter Panglos, größter aller Philosophen, ohne zu wissen warum; daß ich dich, bester aller Menschen, trauter Jakob, vor meinen Augen im Hafen mußte ertrinken sehn, daß ich hören muß, wie Ihnen, Baroneß Gundchen, der Kron' aller Mädchen, der Bauch ist aufgeschlitzt worden, das, das kann ich nicht verschmerzen, das verleitet mich zu murren.

      Mit jedem Schritt einknickend, schwankte Kandide zur Stadt hinaus; war durch Prediger und Büttel wohl gestäupt worden, hatte Absolution und Segen erhalten. Ein altes Mütterchen näherte sich ihm und sagte: Seid getrost und unverzagt, mein Sohn, und kommt mit.

      Kapitel 7

      Kandide wird von der Alten wohl gepflegt und findet unverhofft seine Geliebte

      Getrost und unverzagt ward Kandide nun zwar nicht, aber mit ging er. Sein Führer brachte ihn in ein altes, ganz verfallnes Gebäude, gab ihm ein Krügelchen Pomade, sich damit zu salben, setzte ihm zu essen und zu trinken hin, zeigte ihm ein ganz sauber Bettchen und daneben einen ganz vollständigen Anzug. "So wünsch' ich Ihnen denn gesegnete Mahlzeit und auch angenehme Ruh! Und empfehle Sie der gnädgen Obhut Unsrer Lieben Frauen im Busche und des heiligen Antonius von Padua und des heiligen Jakobs von Compostel, unsrer allergnädigsten Schutzpatrone. Morgen früh mach' ich Ihnen wieder meine Aufwartung."

      Kandide durch alles, was er gesehn, durch alles, was er erlitten, am meisten aber durch das liebreiche Betragen der Alten in die heftigste Rührung versetzt, ergriff mit Wärme ihre Hand und wollte sie zum Munde führen. "Nein, das wollte ich mir sehr verbeten haben; das gebührt mir nicht. Morgen bin ich ja wieder da. Brauchen Sie nur die Pomade recht hübsch, lieber junger Herr, und speisen Sie und ruhen Sie fein wohl." Das tat denn Kandide; aß und schlief sich gründlich aus, so hart ihn auch so vielerlei Ungemach zu Boden drückte. Den folgenden Morgen brachte ihm die Matrone zu frühstücken, besichtigte seinen Rücken und salbte ihn mit einer andern Salbe; gegen Mittag brachte sie ihm zu essen und gegen Abend gleichfalls. Grade so machte sie's auch folgenden Tages. Wer ist Sie, gute Alte? fragte Kandide jedesmal. Was bewegt Sie zu dem liebreichen Betragen? Sag Sie, wie kann ich dafür erkenntlich sein? Kein stummes Wörtchen war von der Alten herauszubringen. Gegen Abend kam sie wieder, aber ganz leer. Kommen Sie mit, sagte sie, aber mäuschenstill!

      Sie nimmt ihn beim Arm und führt ihn wohl eine Viertelmeile weit über Feld. Nunmehr befanden sie sich bei einem freiliegenden Hause, mit Gärten und Kanälen umgeben. Die Alte pocht an ein Pförtchen. Es wird aufgetan, und Kandide von seiner Führerin eine Winkeltreppe heraufgeführt in ein vergoldetes Kabinett; hier muß er sich auf ein brokatnes Sofa niederlassen. Sie machte die Tür zu und ging fort. Kandide glaubte zu träumen, hielt sein ganzes Leben für einen widrigen Traum und den jetzigen Augenblick für einen glücklichen.

      Die Alte kam bald wieder und führte eine verschleierte Dame herein von majestätischem Wuchs und schimmerndem Anzug, die an jedem Gliede bebte und mit genauer Not konnte von der Alten aufrecht erhalten werden. Nehmen Sie den Schleier ab, sagte das Mütterchen zum Kandide. Er nahte sich und hob mit blöder Hand den Schleier auf.

      Wie dem jungen Mann in dem Augenblick zu Mute ward! Ihm däuchte, seine Baroneß Gundchen vor sich zu sehn, und sie stand in der Tat vor ihm. Dieser so überraschende Anblick fiel mit aller Macht über ihn; das Übermaß seines Glücks berauschte ihn so, daß er sprachlos und ohne Bewegung zu ihren Füßen hinsank, Gundchen fiel ohne Sinne aufs Sofa.

      Die Alte bestrich sie mit allerhand Stärkungswässern. Ihre Sinne sammelten sich wieder, die Sprache fand sich wieder ein. Unzusammenhängende Laute rissen sich anfänglich von ihrem gepreßten Herzen los; und dann durchkreuzten sich Frag' und Antwort, Seufzer und Tränen, und Schreie der Freud' und des Erstaunens. Die Alte riet ihnen, nicht zu laut zu werden, und ließ sie in völliger Freiheit.

      "Ha! so leben Sie wirklich noch, Baroneß? So find' ich Sie in Portugal wieder! So


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