Kandide oder Die beste aller Welten. Вольтер
Читать онлайн книгу.er, du bist mit dem Großinquisitor und mit mir nicht zufrieden? Mußt noch einen Schlafgesellen haben, du Galiläische Petze! Wart du! und auch du, du Hurenschelm!
Mit diesen Worten zuckte er ein Stilett, das er stets bei sich trug, und fiel auf seinen Gegner ein, den er wehrlos glaubte. Allein dieser wackre Westfale hatte von der Alten samt dem vollständigsten Anzuge einen schönen Degen bekommen. Den zog er, so kindfromm er auch war, und mausetot lag der Israelit zu den Füßen der schönen Kunegunde.
Jesus Maria! rief sie. Nun ist alles aus. Ein Toter bei mir im Hause! Wenn nun die Wache kommt! Oh, wir sind verloren! Was fangen wir an! Hinge der gute Panglos nur nicht, sagte Kandide, er sollte alles in's reine bringen, denn er war ein großer Philosoph. In Ermanglung seiner müssen wir schon die Alte um Rat fragen.
Sie war ein gar kluges Weib, und eben begann sie ihre Meinung zu sagen, als sich ein andres Türlein öffnete. Es war eine Stunde nach Mitternacht, der Sonntag brach an. Dieser Tag gehörte dem Herrn Inquisitor. Ihro Hochwürden Gnaden traten herein, sahen den gestäupten Kandide mit dem Degen in der Hand, den toten Hebräer auf der Erde liegen, Kunegunden totenblaß und bebend und die Alte mit ihrem guten Rat herausrückend; und blieben starr angewurzelt stehn an der Türschwelle, ohne alle Besinnung; um so mehr Besonnenheit und Überlegungskraft hatte Kandide.
Ha! dacht' er, ruft der heilige Mann Hilfe, so werd' ich ganz unfehlbar verbrannt und auch Kunegunde. Er hat mich unbarmherzig geißeln lassen, ist mein Nebenbuhler; im Morden bin ich einmal, und jetzt gilt's.
Wie beschlossen, so getan. Der Inquisitor lag, den Degen bis ans Heft in der Brust, neben dem Juden, eh' er sich hatte besinnen können. Immer besser, rief Kunegunde. Nun sind wir unwiederbringlich verloren! Bannfluch und Tod schweben über uns. Kandide, wie haben Sie, die Sanftmut selbst, in zwei Minuten einen Juden und einen Prälaten umbringen können? Lieb' und Eifersucht und die Rutenstreiche der Inquisition können das Lamm wohl zum Tiger machen, erwiderte Kandide.
Wissen Sie was? sagte die Alte. Wir haben drei tüchtige andalusische Gäule im Stall und auch Sattel und Zeug. Unser tapfrer Herr Kandide zäumt sie auf und sattelt sie; derweile stecken die gnädge Baroneß ihre Dublonen und ihre Diamanten zu sich, und dann husch! auf und davon und nach Cadix. Ich kann zwar nur meinen halben Hintern brauchen, das tut aber weiter nichts. Es ist ganz allerliebst Wetter, und in der Kühle beim Mondenschein läßt sich's des Nachts ganz scharmant reisen. Kandide sattelte sogleich die Pferde und machte mit Kunegunden und der Alten einen Ritt von fünfzehn Meilen in einem Striche. Indes daß die fortjagten, kam die heilige Brüderschaft ins Haus. Der Herr Inquisitor ward in der Domkirche mit allem Gepränge beigesetzt, Isaschar aber auf den Schindanger geworfen.
Kandide, Kunegunde und die Alte befanden sich nunmehr in einem Wirtshause in dem Städtchen Avacena, das mitten in der Sierra Morena lag. Hieselbst hielten sie folgendes Gespräch.
Kapitel 10
Kandide, Kunegunde und die Alte kommen in einer gar schlimmen Lage zu Cadix an und schiffen sich ein
Kunegunde (schluchzend): Alle meine Dublonen und Diamanten sind fort! Wer muß mir die gestohlen haben! wovon wollen wir nun leben? Wo Inquisitoren und Juden finden, die mir andre geben?
Die Alte. Was ich glaube, aber Gott verzeihe mir die schwere Sünde, wenn ich ihm zu viel tue; ich denke aber immer, ich denke, der ehrwürdige Pater Graurock, der mit uns zu Badajos sein Nachtquartier hatte, hat sie heißen mitgehn; er kam zweimal zu uns in die Stube und war schon lang' über alle Berge, eh' wir an die Abreise dachten.
Kandide. Der wackre Panglos hat mir oft bewiesen, daß alle Güter hienieden gemeinschaftlich sind, Hinz daran so gut Anteil hat als Kunz. Vermöge dieser Grundsätze hätte uns jener Barfüßermönch wenigstens so viel Geld lassen sollen, um unsre Reise bestreiten zu können. Haben Sie denn gar nichts behalten, gnädige Baroneß?
Kunegunde. Keinen Maravedi!
Kandide. Was nun tun?
Die Alte. Ein Pferd verkaufen, da ist kein andrer Rat. Ich setze midi hinter die gnädge Baroneß so gut es mit meinem halben Hintern angeht, und damit immerzu nach Cadix.
In eben dem Wirtshause befand sich ein Benediktinerprior, der kaufte ihnen das Pferd um einen Pappenstiel ab. Kandide, Kunegunde und die Alte nahmen ihren Weg über Lucena, Chillas, Lebrixa nach Cadix. Hier ward eine Flotte ausgerüstet, die Truppen mußten sich hier stellen, welche die ehrwürdigen Paters des Jesuiterordens zu Paraguay zu Paaren treiben sollten. Selbige hatten, gab man ihnen wenigstens Schuld, eine ihrer indischen Horden bei der Stadt San Sakramento gegen die Könige von Spanien und Portugal aufgewiegelt.
Kandide machte dem General dieser kleinen Armee die bulgarischen Kriegsexerzitien vor, und das so flink, so dreist, mit solchem soldatischen Anstande, daß der General ihm augenblicklich eine Kompanie bei der Infanterie gab. Der neugebackne Herr Hauptmann nebst Baroneß Kunegunden und der Alten schifften sich ein, nahmen noch zwei Bediente mit und die beiden andalusischen Pferde, die weiland dem Herrn Großinquisitor von Portugal gehört hatten.
Während der Überfahrt unterhielten sie sich beständig von der Philosophie des armen Panglos. Wir kommen nun in eine andre Welt, sagte Kandide, und unstreitig ist diese die beste. Denn man muß gestehn, man hat wohl Ursach, über den physischen und moralischen Zustand unsrer Welt ein wenig zu seufzen.
Kunegunde. Ich liebe Sie von ganzem Herzen, Kandide, doch alles das, was ich gesehn, was ich erlitten habe, hat mich ganz scheu und verzagt gemacht; mir ahnet nichts Guts. Lassen Sie sich ums Himmels willen nicht blessieren oder totschießen!
Kandide. Es wird alles gut gehn. Schon das Meer in dieser neuen Welt ist besser als in unsrer europäischen; ist weit ruhiger; die Winde weit beständiger. Wahrlich, die neue Welt ist die beste unter allen möglichen Welten.
Kunegunde. Das gebe Gott! nur wahren Sie sich, daß man Sie nicht blessiert oder totschießt, und wir beide unglücklich werden. Ich kann mich gar nicht beruhigen, denn ich habe in unsrer Welt schon so gräßliches Elend ausgestanden, daß kein Strahl der Hoffnung mehr in meine Seele sich hineinstiehlt. Die Alte. Was das für ein Getue, für ein Geklage ist! Wären Sie an meiner Stelle gewesen, Sie sollten auf einem gar andern Loche pfeifen. Ich kann noch ein Liedchen von Unglücksfällen singen.
Kunegundens Mund zog sich ein wenig zum Lächeln; es kam ihr drollig vor, daß die alte Mutter behauptete, sie sei unglücklicher als sie. Haben Euch, sagte sie, nicht zwei Bulgaren geschändet, habt Ihr nicht zwei Degenstiche in den Leib bekommen, sind nicht zwei von Euren Schlössern verwüstet worden, hat man nicht vor Euren Augen zwei Väter und zwei Mütter ermordet, und habt Ihr nicht zwei von Euren Liebhabern im Autodafe stäupen sehn, so seh' ich nicht ab, wie Ihr Euch unglücklicher nennen könnt als ich. Erwägt noch überdem, daß ich Baroneß bin, meine einundsiebzig Ahnen aufweisen kann, und daß ich gleichwohl habe müssen aschenbrödeln.
Meine Geburt ist Ihnen unbekannt, gnädige Baroneß, antwortete die Alte. Ich dürfte Ihnen nur mein Hinterkastei zeigen, Sie würden gewiß ganz andre Saiten aufziehn. Diese Rede erregte bei Kunegunden und Kandiden eine ganz außerordentliche Neugier, welche die Alte auf folgende Art befriedigte.
Kapitel 11
Geschichte der Alten
Mein Auge war nicht immer so verzerrt, hatte nicht immer den Pupursaum, meine Nase stieß nicht immer ans Kinn, auch bin ich nicht immer Magd gewesen.
Mein Vater war Papst Urban der Zehnte, und die Fürstin von Palestrina meine Mutter. Bis ins vierzehnte Jahr wurd' ich in einem Palaste erzogen, wogegen die Schlösser Eurer westfälischen Barone gar klägliche Figur machen; das geringste von meinen Kleidern wog alle Herrlichkeiten von ganz Westfalen auf. Ich wuchs an Schönheit und Grazie und Talenten mitten in dem bunten Zirkel von Ergötzlichkeiten. Was für Erwartungen machte man sich nicht von mir; was für Ehrerbietung erwies man mir; was für Liebe flößt' ich nicht schon ein.
Mein Busen wölbte sich bereits. Es war ein Busen, der an Weiße und Festigkeit und Rundung dem Busen der Mediceischen Venus glich! Das Aug, wie zaubrisch! die Wimpern, wie meisterhaft! die Augenbrauen rabenschwarz! und die Glut, die in meinen Augäpfeln lag, überstrahlte das ganze Sternenheer, wie die Poeten aus dem Stadtviertel sangen. Meine Kammerfrauen,