Zwei Schicksalswege. Уилки Коллинз

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Zwei Schicksalswege - Уилки Коллинз


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sich aufmerksam über ihrem Buche zusammenzogen. Da erst erhob sich das bescheidene Kind auf den Zehenspitzen, verschwand geräuschlos in der Richtung ihrer Schlafkammer und trug, zu mir zurückkehrend, etwas in der Hand, das sie vorsichtig in ihr bestes, baumwollenes Taschentuch gehüllt hatte.

      »Ist das die Überraschung?« flüsterte ich.

      Mary erwiderte ebenso: »Rate, was es ist!«

      »Etwas für mich?«

      »Ja. Rate. Was ist es?«

      Ich riet drei Mal – und jedes Mal riet ich falsch. Mary entschloss sich mir durch einen Wink zu Hilfe zu kommen.

      »Sage die Buchstaben her,« meinte sie, »und fahre fort bis ich Dich unterbreche.«

      Ich begann: »A, B, E, D, E, F« – Hier unterbrach sie mich.

      »Es ist der Name einer Sache,« sagte sie. »Er beginnt mit F.«

      Ich riet »Farnkraut«, »Feder«, »Fünf« – da war meine Weisheit zu Ende.

      Mary seufzte und schüttelte den Kopf. »Du gibst Dir keine Mühe,« sagte sie. »Du bist drei ganze Jahre älter als ich. Nach aller der Mühe, die ich mir gegeben habe Dich zu erfreuen, bist Du nun am Ende zu groß, um dir aus meinem Geschenk etwas zu machen, wenn Du es

      siehst. Rate weiter.«

      »Ich kann nicht raten.«

      »Du musst!«

      »Ich gebe es auf!«

      Mary wollte nicht, dass ich aufhörte zu raten. Sie kam mir durch einen anderen Wink zu Hilfe.

      »Was wünschtest Du neulich in Deinem Boot zu haben?« fragte sie.

      »Ist es schon lange her, als ich es wünschte?« fragte ich, verlegen um eine Antwort.

      »Lange, lange ist es her! Es war noch vor dem Winter, als im Herbst die Blätter fielen und Du mich zu einer Wasserfahrt abholtest. Oh, George, Du hast es vergessen!«

      Ihre Worte waren nur zu wahr in Bezug auf mich, wie auf alle meine alten und jungen Mitbrüder. Es ist überall seine Liebe, die vergessen kann und ihre Liebe, die alles treu im Gedächtnis bewahrt. Wir waren nur zwei Kinder und doch war der Typus von Mann und Weib schon so bezeichnend in uns ausgeprägt! Mary verlor die Geduld. Trotz der furchtbaren Gegenwart ihrer Großmutter sprang sie auf und riss das Taschentuch von dem verborgenen Gegenstande.

      »Hier!« rief sie aus, »weißt Du nun, was es ist?«

      Endlich fiel es mir ein. Der Gegenstand, den ich mir monatelang für mein Boot gewünscht hatte, war eine neue Flagge. Und nun hatte Mary eigenhändig eine neue Flagge für mich gearbeitet! Auf grünseidenem Grunde war eine weiße Taube gestickt, die den herkömmlichen Ölzweig, aus

      Goldfäden gearbeitet, im Schnabel hielt. Die Arbeit war das unsichere, zaghafte Werk kindlicher Finger. Wie treulich hatte mein kleiner Liebling meinen Wunsch behalten – wie

      geduldig hatte sie ihre Nadel auf dem aufgezeichneten Muster hin- und hergleiten lassen, – wie fleißig hatte sie in den trüben Wintertagen gearbeitet; und das Alles für mich! Wie konnte ich orte finden ihr meinen Stolz, meine Dankbarkeit, mein Glück auszusprechen? Auch ich vergaß die Anwesenheit der über ihr Buch gebeugten Sybille – ich schloss die kleine, fleißige Arbeiterin in meine Arme und küsste sie, bis ich ganz außer Atem war und nicht mehr küssen konnte.

      »Mary!« rief ich im ersten Feuer meines Enthusiasmus aus, »heute kehrt mein Vater heim. Ich will heute Abend mit ihm sprechen und morgen heirate ich Dich.«

      »Knabe!« sagte die ehrfurchtgebietende Stimme am anderen Ende des Zimmers, »komm her!«

      Dame Dermodys mystisches Buch war geschlossen und Dame Dermodys zauberische schwarze Augen beobachteten uns in unserer Ecke. Ich näherte mich ihr und Mary folgte mir schüchtern Schritt für Schritt.

      Die Sybille fasste mich in einer so milden, liebkosenden Weise bei der Hand, wie sie mir ganz neu an ihr war.«

      »Ist Dir dieses Spielzeug teuer?« fragte sie, auf die Flagge deutend. »Verbirg es!« rief sie, ehe ich ihr antworten konnte, »verbirg es oder es wird dir genommen werden!«

      »Warum soll ich es verbergen?« fragte ich. »Es soll eben am Maste meines Bootes wehen.«

      »Nimmer wird das geschehen!« Bei diesen Worten nahm sie die Flagge aus meiner Hand und steckte sie ungeduldig in die Brusttasche meiner Jacke.

      »Zerknittere sie nicht, Großmutter!« rief Mary bittend.

      Ich wiederholte meine Frage:

      »Warum soll sie nie an dem Maste meines Bootes wehen?«

      Dame Dermody legte ihre Hand auf das geschlossene Buch von Swedenborg, das in ihrem Schoße lag.

      »Seit diesem Morgen habe ich das Buch drei Mal aufgeschlagen,« sagte sie. »Dreimal verkünden mir die Worte des Propheten, dass Sorgen heranziehen. Kinder! Diese Sorgen werden über Euch kommen! Wenn ich dorthin blicke,« fuhr sie fort, indem sie auf eine Stelle im Zimmer wies, die ein Sonnenstrahl beschien, »so sehe ich meinen Gatten im himmlischen Licht. Er beugt kummervoll sein Haupt und weist mit seiner nimmerirrenden Hand auf Euch. George

      und Mary, Ihr seid einander geweiht; bleibt immer dieser Weihe, bleibt Eurer selbst würdig.« Sie schwieg. Ihre Stimme bebte. Ihre Augen ruhten mit jenem sanften, trüben Blick auf uns, der von einer nahen Trennungsstunde sprach. »Kniet nieder!« sagte sie im leisen Tone der Furcht

      und des Kummers. »Zum letzten Male segne ich Euch! Zum letzten Male bete ich für Euch in diesem Hause. Kniet nieder!«

      Wir knieten noch beieinander zu ihren Füßen. Ich fühlte Marys erregten Herzschlag, als sie sich enger und enger an mich schmiegte. Ich fühlte die Schläge meines eigenen Herzens sich unter dem Einflusse einer Furcht verdoppeln, die mir unerklärlich war.

      »Gott segne und behüte George und Mary jetzt und immerdar. Gott fördre in Zukunft ihre Vereinigung, die seine Weisheit ja beschlossen hat. Amen. So sei es. Amen.«

      Als e die letzten Worte ausgesprochen hatte, wurde die Haustür aufgerissen. Mein Vater, – von dem Vogt gefolgt – trat ins Zimmer. Dame Dermody erhob sich langsam und musterte ihn mit strengen Blicken.

      »Das Verhängnis bricht herein,« sagte sie zu sich selbst, »es blickt mit den Augen – es spricht mit der Stimme dieses Mannes.«

      Sich zu dem Vogte wendend, brach mein Vater das Schweigen.

      »Ich finde meinen Sohn in Eurem Zimmer, Dermody«, sagte er, »wie Ihr seht, statt dass er in meinem Hause ist.« Geduldig aus die Gelegenheit zum Sprechen wartend, stand ich und hatte meine Arme um die kleine Mary geschlungen, als er sich zu mir wendete. »George,« sagte er, mit dem herben Lachen, welches ihm eigentümlich war, wenn er seinen Zorn verbergen wollte, »du machst Dich zum Narren. Lass das Kind und komme zu mir.«

      Jetzt oder niemals musste ich mich erklären. Dem Anscheine nach war ich noch ein Knabe. Meinem eigenen Gefühl nach bedurfte es eines Augenblicks, um mich zum Manne

      zu entwickeln.

      »Papa,« sagte ich, »ich freue mich, dass Du heimgekehrt bist. Dies ist Mary Dermody, die ich liebe und die mich wieder liebt. Ich möchte sie heiraten sobald als Du und meine Mutter es gestatten.« Mein Vater brach in lautes Gelächter aus, doch bevor ich weiter sprechen konnte, wechselte seine Stimmung. Er hatte beobachtet, dass Dermody sich anschickte, die Sache auch scherzhaft aufzufassen. Im nächsten Augenblick schien er wild vor Wut zu werden. »Man hat

      mich von diesem höllischen Narrenspiel in Kenntnis gesetzt,« sagte er, »aber ich habe bis jetzt nicht daran glauben wollen. Wer hat des Knaben schwachen Kopf verdreht? Wer hat ihn ermutigt, dieses Mädchen zu umarmen? Wenn Ihr es waret, Dermody, so war das die schlechteste Tagearbeit, die Ihr in Eurem Leben getan habt.« Er wandte sich wieder zu mir, ehe der Vogt sich verteidigen konnte. »Hörst Du was ich sage? Ich befehle Dir Dermodys Tochter zu verlassen und mit mir nach Hause zu kommen.«

      »Jawohl, Papa,« sagte ich, »aber wenn ich bei Dir gewesen bin, gestattest Du doch, dass ich zu Mary zurückkehre.«

      Trotz seines


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