Zwei Schicksalswege. Уилки Коллинз

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Zwei Schicksalswege - Уилки Коллинз


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Der Arzt, der die Expedition von England aus begleiten sollte, war ein alter Freund von Mr. Germaine, er suchte einen Assistenten, auf dessen Leistungen er sich verlassen konnte. Durch meines Stiefvaters Vermittelung wurde mir die Stellung angeboten. Ohne Zögern nahm ich sie an. Der einzige Stolz, der mir geblieben war, war der elende Stolz gänzlicher Blasiertheit. So lange ich meinem Berufe obliegen musste, war mir die Stellung, in der ich es tat, ganz gleichgültig.

      Um meine Mutter nur zu veranlassen meine neue Lebensaussicht in Erwägung zu ziehen, bedurfte es langer Überredung. Als sie das schließlich tat, gab sie, wenn auch ungern, nach. Ich gestehe, dass ich sie mit heißen Tränen – die ersten, die ich seit manchem, langem Jahre vergossen, verließ. Die Geschichte dieser Sendung bildet einen Teil der indischen Geschichte und gehört also nicht in diese Erzählung.

      Was mich anlangt, so habe ich nur zu berichten, dass ich kaum eine Woche, nachdem die Sendung ihr Ziel erreicht hatte, unfähig wurde meine Berufspflichten zu erfüllen. Wir hatten unser Lager außerhalb der Stadt aufgeschlagen, und die fanatischen Eingeborenen machten unter dem Deckmantel der Finsternis einen Angriff auf uns. Der Angriff wurde, mit geringer Schwierigkeit und unerheblichen Verlusten unsrerseits, zurückgeschlagen. Ich befand mich unter den Verwundeten – indem ich durch einen Wurfspieß oder Speer getroffen war, als ich von einem Zelt zum andern ging.

      Hätte eine europäische Waffe mich verletzt, so würde die Wunde ganz ohne Bedeutung gewesen sein, aber die Spitze des indischen Speeres war vergiftet. Ich entging zwar der Todesgefahr des »Kinnbackenkrampfes« – aber, durch eine eigentümliche Einwirkung des Giftes auf meinen Organismus, die mir selbst unerklärlich ist, wollte meine Wunde durchaus nicht heilen. Ich wurde als Kranker nach Kalkutta geschickt, wo mir die beste ärztliche Hilfe zur Verfügung stand. Dem Anscheine nach heilte hier die Wunde – brach aber bald wieder auf und zwar wiederholentlich; da kamen die Ärzte darin überein, dass ich nach England geschickt werden müsste. Sie rechneten auf die belebende Kraft der Seereise, und, sollte diese fehlschlagen, auf den heilsamen Einfluss der vaterländischen Luft. Im indischen Klima hielten sie mich für unheilbar.

      Zwei Tage bevor das Schiff absegelte, brachte mir ein Brief meiner Mutter sehr aufregende Nachrichten. Mein zukünftiges Leben, – wenn es noch ein solches für mich gab, – war in eine ganz neue Bahn geleitet. Mr. Germaine war plötzlich an einem Herzleiden gestorben. Sein letzter Wille, der von der Zeit meiner Abreise aus England datiert war, bestimmte für meine Mutter ein lebenslanges Einkommen und übergab mir seinen übrigen, großen Besitz unter der Bedingung, dass ich seinen Namen annahm. Natürlich ging ich auf die Bedingung ein und – wurde George Germaine.

      Drei Monate später war ich mit meiner Mutter wieder vereint.

      Abgesehen von den Leiden, die mir meine Wunde noch bereitete, war ich nun allem Anscheine nach einer der beneidenswertesten Sterblichen: zur Stellung eines reichen Mannes erhoben, Besitzer eines Hauses in London und eines Landsitzes in Pertshire! – Und dennoch war ich in der Tat mit dreiundzwanzig Jahren einer der elendesten Menschen, die da lebten!

      Und Mary!

      Was war in den letztverflossenen zehn Jahren aus ihr geworden? Ihr kennt nun meine Geschichte, lest die wenigen folgenden Seiten, um die ihrige zu erfahren.

       Sechstes Kapitel

      Ihre Geschichte

      Was ich von Marys Geschichte erzählen will, habe ich erst durch Nachforschungen zu einer viel späteren Zeit meines Lebens erfahren, viele Jahre nachdem alles bisher Geschriebene sich zutrug. Man möge das beherzigen.

      Der Vogt Dermody hatte Verwandte in London, von denen er zuweilen sprach und andere in Schottland, derer er nie erwähnte. Mein Vater hatte nämlich ein hartes Vorurteil gegen die schottische Nation. Dermody kannte seinen Herrn zu gut, um nicht zu fürchten, dass das Vorurteil sich auch auf ihn erstrecken könnte, wenn er über seine schottische Verwandtschaft sprach. Er schwieg deshalb und nannte sie nie.

      Als er den Dienst meines Vaters verließ, war er teils zu Lande teils zu Wasser, nach Glasgow gegangen, wo seine Verwandten lebten. Durch seinen Charakter und seine Erfahrungen zeichnete sich Dermody von Tausenden aus und war für jeden Herrn, der das Glück hatte ihn in seine Dienste zu nehmen, von großem Wert. Seine Freunde bemühten sich für ihn und nach sechs Wochen war er von einem Gentleman angestellt, dessen Gut an der östlichen Küste Schottlands lag. Dort hatte er nun mit Mutter und Tochter eine behagliche neue Heimat gefunden.

      Die beleidigenden Worte, welche mein Vater zuletzt an ihn gerichtet hatte, waren tief in Dermodys Gemüt gedrungen. Er schrieb seinen Verwandten in London im geheimen, dass er eine neue, vorteilhafte Stellung gefunden hätte, vorläufig aber Gründe habe seine Adresse zu verschweigen. So vereitelte er die Nachfragen, welche die Anwälte meiner Mutter bei seinen Londoner Verwandten anstellten, nachdem sie seine Spur anderswo nicht hatten auffinden können. Teils gereizt durch die Vorwürfe seines früheren Herrn – teils aus einem Gefühl der Selbstachtung – opferte er Mary und mich; andererseits hielt er es auch für seine Pflicht bei der Verschiedenheit unserer Lebensstellungen, jeden Verkehr zwischen uns abzubrechen, ehe es zu spät war.

      In einem entlegenen Teile von Schottland, mir und der Welt verloren, lebte nun die kleine Familie in Zurückgezogenheit begraben.

      In meinen Träumen hatte ich Mary gesehen und gehört. Sie sah und hörte mich in den Ihrigen. Das unschuldige Sehnen und Verlangen meines Herzens wurde ihr in geheimnisvollem Schlummer offenbar, so lange ich noch ein Knabe war. Ihre Großmutter, welche den Glauben an unsere vorausbestimmte Vereinigung festhielt, stärkte ihr Herz und erhob ihren Mut. Wenn sie ihren Vater auch sagen hörte, was der meine gesagt hatte, dass wir getrennt wären, um uns nie wiederzusehen, so gedachte sie im Stillen ihrer glückverheißenden Träume und hielt diese für sichere Bürgschaften einer anderen Zukunft als die, die Dermody im Auge hatte. So lebte sie doch im Geiste mit mir – und hoffte.

      Der Tod der Großmutter, die in sehr hohem Alter der natürlichen Schwäche erlag, war die erste Trübsal die über die kleine Familie kam. Im letzten Augenblick, als sie noch bei Bewusstsein war, sagte sie zu Mary: »Vergiss nie, dass Du und George für einander bestimmte Geister seid. Warte geduldig – in der festen Überzeugung, dass keine Macht der Erde Eure Verbindung verhindern kann, wenn Eure Zeit gekommen ist.

      Obgleich diese Worte in Mary unauslöschlich fortlebten, wurde unsere geistige Gemeinschaft in Träumen plötzlich ihrerseits unterbrochen, wie es mir ja ebenfalls geschehen war. Von den ersten Tagen meiner Selbsterniedrigung an war mir Mary nicht mehr erschienen – genau zur selben Zeit sah sie mich auch nicht mehr.

      Des Mädchens gefühlvolle Natur brach unter diesem Schlage zusammen. Sie hatte nun keine ältere Frau mehr, die ihr Trost und Rat gab; sie lebte mit ihrem Vater allein und dieser wechselte jedes Mal den Gegenstand der Unterhaltung, wenn von den alten Zeiten die Rede war. Der geheime Kummer, der Leib und Seele verzehrt, nagte auch an ihr. Eine Erkältung, die sie sich in der rauhen Jahreszeit zugezogen hatte, artete in ein Fieber aus. Wochenlang war sie in Lebensgefahr. Als sie genas, war ihr Kopf, auf Wunsch des Arztes, seines schönen Haarschmuckes beraubt. Das Opfer war nötig, um ihr Leben zu retten. In einer Hinsicht war dieses Opfer sehr groß gewesen – denn ihr Haar wuchs nie wieder so üppig. Das neue Haar hatte keine Spur von dem reizvollen, rotbraunen Schimmer des früheren; es war nun einförmig lichtbraun geworden, so dass Marys schottische Verwandte sie zuerst kaum wieder erkannten.

      Aber die Natur glich reichlich den Verlust des schönen Haares durch den größeren Reiz aus, den sie dem Gesicht und der Gestalt verlieh.

      In einem Jahre war nach der Krankheit das zarte kleine Kind aus der alten Zeit der Grünwasserfläche in der stählenden schottischen Luft und durch ihre gesunde Lebensweise zur hübschen, stattlichen Jungfrau herangereift. Ihre Züge waren, wie in ihren früheren Jahren, durchaus nicht regelmäßig schön und doch war die Veränderung eine sehr merkliche. Das hagere Gesicht war ausgefüllt und der bleiche Teint hatte nun seinen Farbenschmuck erhalten. Die wunderbare Veränderung ihrer Gestalt fiel selbst den rohen Leuten um sie her auf. Höchst unbedeutend, als sie ein Kind war, hatte sie sich nun zu jungfräulicher Fülle, zu Ebenmaß und Anmut entwickelt – sie hatte im wahren Sinne des Wortes eine überraschend schöne Gestalt.

      Es gab zu jener Zeit Augenblicke, wo selbst der eigene Vater seine


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