Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд

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Weihnachtsgeschichten, Märchen  & Sagen (Über 100 Titel  in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд


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Anfall von Zorn geschlagen hätte! Oh nein! Sein Trost war: »Sie liebte es immer!«

      Sie klagte niemand ihre Not und ging den Tag über weg, um nicht von ihrer einzigen Freundin gefragt zu werden. Denn jede Hilfe, die sie aus ihrer Hand empfing, verursachte nur Streit zwischen der guten Frau und ihrem Mann, und es war ein neues Leid für sie, täglich die Veranlassung zu Streit und Zwietracht zu sein in einem Hause, dem sie so viel verdankte.

      Sie liebte das Kind noch, sie liebte es immer mehr. Doch ihre Liebe nahm eine andere Gestalt an.

      In einer Nacht ging sie in der Stube auf und nieder, um es zu beruhigen, und sang leise, um es einzuschläfern. Da wurde die Tür leise geöffnet, und ein Mann sah herein.

      »Zum letztenmal!« sagte er.

      »William Fern!«

      »Zum letztenmal!«

      Er horchte, wie einer, der verfolgt wird, und sprach im Flüsterton:

      »Meg, meine Zeit ist beinahe abgelaufen. Ich konnte nicht enden, ohne dir ein Abschiedswort zu sagen, ohne dir zu danken.«

      »Was habt Ihr getan?« fragte sie und sah ihn entsetzt an.

      Er blickte auf sie nieder, antwortete aber nicht.

      Nach kurzem Schweigen machte er eine Bewegung mit der Hand, als wenn er ihre Frage beiseite schieben, als wenn er sie verlöschen wollte, und sagte: »Es ist schon lange her, Meg, aber jene Nacht ist mir noch so frisch in der Erinnerung, wie jemals. Da dachten wir nicht‹, fügte er um sich blickend hinzu: »daß wir uns so wiedersehen würden. Dein Kind, Meg? Laß es mich auf den Arm nehmen. Laß mich dein Kind halten.«

      Er stellte seinen Hut auf den Boden und nahm es und zitterte, als er es nahm, von Kopf bis zu den Füßen.

      »Ist es ein Mädchen?«

      »Ja.«

      Er hielt seine Hand vor ihr kleines Gesicht.

      »Siehe, wie schwach ich geworden bin, Meg, da es mir an Mut fehlt, es anzusehen. Laß es mir einen Augenblick. Ich tue ihm nichts. Es ist schon lange her – doch wie heißt sie?«

      »Margarete«, antwortete sie schnell.

      »Das freut mich«, sagte er, »das freut mich!«

      Er schien freier zu atmen und nachdem er einen Augenblick innegehalten, nahm er seine Hand weg und sah dem Kinde ins Gesicht. Doch sogleich deckte er es wieder zu.

      »Es ist Lilly!«

      »Lilly!«

      »Ich hielt dasselbe Gesichtchen in meinen Armen, als Lillys Mutter starb und sie mir zurückließ!«

      »Als Lillys Mutter starb und sie zurückließ!« wiederholte Meg mit aufgeregter Stimme.

      »Wie schrill Ihr sprecht. Warum hebt Ihr Eure Augen so auf mich, Meg?«

      Sie sank auf einen Stuhl nieder, drückte das Kind an ihre Brust und weinte. Bisweilen ließ sie es aus ihren Armen los, um ängstlich das Gesichtchen zu beobachten. Dann preßte sie es wieder an ihre Brust. Wenn sie es anblickte, dann mischte sich etwas Wildes, Schreckliches in ihre Liebe. Dann weinte ihr alter Vater.

      »Folg’ ihr!« klang es durch das Haus, »lerne es von dem Wesen, das deinem Herzen am teuersten ist!«

      »Meg«, sagte Fern, beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn. »Ich danke Euch zum letztenmal. Gute Nacht! Lebt wohl! Legt Eure Hand in die meine und sagt mir, daß Ihr mich von dieser Stunde an vergessen und denken wollt, es habe mit mir ein Ende genommen.«

      »Was habt Ihr getan?« fragte sie wiederum.

      »Es wird heute nacht ein Feuer sein«, sagte er, sich von ihr entfernend, »es wird diesen Winter viele Feuer geben, um die dunklen Nächte zu erhellen – im Osten, Westen, Norden und Süden. Wenn Ihr den Himmel in der Ferne gerötet seht, dann flammen sie auf. Wenn Ihr den Himmel in der Ferne gerötet seht, dann denkt nicht mehr an mich. Oder wenn Ihr es tut, dann denkt daran, was für eine Hölle in meiner Seele brennt, und denkt, Ihr seht ihre Flammen in den Wolken sich spiegeln. Gute Nacht! Lebt wohl!«

      Sie rief ihm nach. Doch er war fort. Sie saß erstarrt da, bis ihr Kind sie zu dem Gefühl des Hungers, der Kälte und der Dunkelheit erweckte. Sie schritt die liebe, lange Nacht mit demselben im Zimmer auf und nieder, um es zu beruhigen, und sagte mitunter: »Wie Lilly, als ihre Mutter starb und sie zurückließ!«

      Warum war ihr Schritt so schnell, ihr Auge so wild, ihre Liebe so heiß und schrecklich, wenn sie diese Worte wiederholte?

      »Doch es ist Liebe«, sagte Trotty, »es ist Liebe. Sie wird nie aufhören, es zu lieben. Meine arme Meg!«

      Sie kleidete am nächsten Morgen das Kind mit ungewöhnlicher Sorgfalt an – vergebliche Mühe, auf solche Lumpen Sorgfalt zu verwenden! – und wollte noch einmal versuchen, nach Mitteln zum bloßen Leben sich zu bemühen. Es war der letzte Tag des alten Jahres. Sie ging bis zum Abend umher, ohne einen Bissen gegessen zu haben. Alles war vergeblich!

      Sie mischte sich unter einen elenden Haufen, der im Schnee stand, bis ein Beamter, der die öffentlichen Almosen verteilen sollte – das gesetzliche Almosen, nicht das, welches einst auf dem Berge gepredigt wurde – so gnädig sein würde, sie hereinzurufen und sie auszufragen, und dem einen zu sagen: »Gehe da und da hin«; dem andern: »Komme nächste Woche wieder«; und aus einem dritten einen Ball zu machen und ihn hierhin und dorthin von Hand zu Hand, von Haus zu Haus zu werfen, bis er müde ward und sich niederlegte, um zu sterben, oder sich Mut faßte und einen Diebstahl beging und auf solche Weise eine höhere Art von Verbrecher wurde, dessen Ansprüche keinen Verzug vertrugen.

      Auch hier war sie vergebens. Sie liebte ihr Kind und wünschte es an ihrer Brust zu hegen. Das hätte ihr genügt.

      Es war Nacht, eine unwirtliche, finstere, schneidend kalte Nacht. Da gelangte sie, indem sie ihr Kind fest an sich drückte, um ihm ein wenig von ihrer eigenen Wärme zu geben, an das Haus, welches sie ihre Heimat nannte. Sie war so schwach und ihr schwindelte, daß sie niemand an der Tür stehen sah, bis sie dicht daran war und hineintreten wollte. Da erkannte sie den Hausherrn, der sich so gestellt hatte – mit seiner Persönlichkeit war das nicht schwer – daß er den ganzen Eingang ausfüllte.

      »O«, sagte er leise, »Ihr seid zurückgekommen?«

      Sie sah nach ihrem Kinde und schüttelte den Kopf.

      »Findet Ihr nicht, daß Ihr lange genug hier gewohnt habt, ohne Miete zu zahlen? Findet Ihr nicht, daß Ihr, ohne einen Pfennig Geld zu bezahlen, ein recht fleißiger Kunde in diesem Laden gewesen seid?« sagte Mr. Tugby.

      Sie wiederholte dieselbe stumme Bewegung.

      »Wie wäre es, wenn Ihr es versuchet und wo anders kauftet, und wie wäre es, wenn Ihr Euch nach einer anderen Wohnung umsähet? Wie, glaubt Ihr nicht, daß dies möglich wäre?«

      Sie sagte mit leiser Stimme, es sei sehr spät. Morgen.

      »Ich sehe schon, was Ihr wollt«, sagte Tugby, »und was Ihr vorhabt. Ihr wißt, es sind wegen Euch zwei Parteien in diesem Hause, und es ist eine Freude für Euch, wenn sie sich zanken. Das ist für Euch eine Lust. Aber ich will keinen Streit im Hause haben und ich spreche ganz ruhig, um Zank zu vermeiden. Aber wenn Ihr Euch nicht schert, dann will ich laut sprechen, und Ihr sollt Worte hören, laut genug, bis sie Euch gefallen. Aber herein lasse ich Euch nicht, das habe ich mir vorgenommen.«

      Sie strich ihre Haare mit der Hand zurück und warf plötzlich einen Blick nach dem Himmel und auf die dunklen, drohenden Wolken.

      »Es ist der letzte Abend eines alten Jahres, und ich mag kein böses Blut und Zank und Streit ins neue mit hinübernehmen, weder Euch noch sonst jemandem zu Gefallen«, sagte Tugby, der ein »Freund und Vater« im kleinen war. »Ich wundere mich, daß Ihr Euch nicht schämt, solche Intrigen ins neue Jahr mit hinübernehmen zu wollen. Wenn Ihr weiter nichts in der Welt zu tun habt, als immer umherzulaufen und zwischen Mann und Frau Zwietracht zu stiften, denn wäre es besser, Ihr machtet Euch auf die Beine. Schert Euch Eurer Wege!«


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