Kosmos. Alexander von Humboldt

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Kosmos - Alexander von  Humboldt


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wird fortgeschritten zum Experimentiren: zum Hervorrufen der Erscheinungen unter bestimmten Bedingnissen, nach leitenden Hypothesen, d. h. nach dem Vorgefühl von dem inneren Zusammenhange der Natur-Dinge und Natur-Kräfte. Was durch Beobachtung und Experiment erlangt ist, führt, auf Analogien und Induction gegründet, zur Erkenntniß empirischer Gesetze. Das sind die Phasen, gleichsam die Momente, welche der beobachtende Verstand durchläuft und die in der Geschichte des Naturwissens der Völker besondere Epochen bezeichnen.

      Zwei Formen der Abstraction beherrschen die ganze Masse der Erkenntniß: quantitative, Verhältniß-Bestimmungen nach Zahl und Größe; und qualitative, stoffartige Beschaffenheiten. Die erstere, zugänglichere Form gehört dem mathematischen, die zweite dem chemischen Wissen an. Um die Erscheinungen dem Calcül zu unterwerfen, wird die Materie aus Atomen (Moleculen) construirt, deren Zahl, Form, Lage und Polarität die Erscheinungen bedingen soll. Die Mythen von imponderablen Stoffen und von eigenen Lebenskräften in jeglichem Organismus verwickeln und trüben die Ansicht der Natur. Unter so verschiedenartigen Bedingnissen und Formen des Erkennens bewegt sich träge die schwere Last unseres angehäuften und jetzt so schnell anwachsenden empirischen Wissens. Die grübelnde Vernunft versucht muthvoll und mit wechselndem Glücke die alten Formen zu zerbrechen, durch welche man den widerstrebenden Stoff, wie durch mechanische Constructionen und Sinnbilder, zu beherrschen gewohnt ist.

      Wir sind noch weit von dem Zeitpunkte entfernt, wo es möglich sein könnte alle unsere sinnlichen Anschauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu concentriren. Es darf zweifelhaft genannt werden, ob dieser Zeitpunkt je herannahen wird. Die Complication des Problems und die Unermeßlichkeit des Kosmos vereiteln fast die Hoffnung dazu. Wenn uns aber auch das Ganze unerreichbar ist, so bleibt doch die theilweise Lösung des Problems, das Streben nach dem Verstehen der Welterscheinungen, der höchste und ewige Zweck aller Naturforschung. Dem Charakter meiner früheren Schriften, wie der Art meiner Beschäftigungen treu, welche Versuchen, Messungen, Ergründung von Thatsachen gewidmet waren: beschränke ich mich auch in diesem Werke auf eine empirische Betrachtung. Sie ist der alleinige Boden, auf dem ich mich weniger unsicher zu bewegen verstehe. Diese Behandlung einer empirischen Wissenschaft, oder vielmehr eines Aggregats von Kenntnissen, schließt nicht aus die Anordnung des Aufgefundenen nach leitenden Ideen, die Verallgemeinerung des Besonderen, das stete Forschen nach empirischen Naturgesetzen. Ein denkendes Erkennen, ein vernunftmäßiges Begreifen des Universums würden allerdings ein noch erhabneres Ziel darbieten. Ich bin weit davon entfernt Bestrebungen, in denen ich mich nicht versucht habe, darum zu tadeln, weil ihr Erfolg bisher sehr zweifelhaft geblieben ist. Mannigfaltig mißverstanden, und ganz gegen die Absicht und den Rath der tiefsinnigen und mächtigen Denker, welche diese schon dem Alterthum eigenthümlichen Bestrebungen wiederum angeregt: haben naturphilosophische Systeme, eine kurze Zeit über, in unserem Vaterlande, von den ernsten und mit dem materiellen Wohlstande der Staaten so nahe verwandten Studien mathematischer und physikalischer Wissenschaften abzulenken gedroht. Der berauschende Wahn des errungenen Besitzes; eine eigene, abenteuerlich-symbolisirende Sprache; ein Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt: haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungs-Kenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Speculation oder in der Anmaßung der Empirie, welche mehr durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet ward.

      Man mag nun die Natur dem Bereich des Geistigen entgegensetzen, als wäre das Geistige nicht auch in dem Naturganzen enthalten: oder man mag die Natur der Kunst entgegenstellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geistigen Productionskraft der Menschheit betrachtet; so müssen diese Gegensätze doch nicht auf eine solche Trennung des Physischen vom Intellectuellen führen, daß die Physik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empirisch gesammelter Einzelheiten herabsinke. Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird die Masse der Erfahrungen einer Vernunft-Erkenntniß zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt existirt aber nur für uns, indem wir sie in uns aufnehmen, indem sie sich in uns zu einer Naturanschauung gestaltet. So geheimnißvoll unzertrennlich als Geist und Sprache, der Gedanke und das befruchtende Wort sind: eben so schmilzt, uns selbst gleichsam unbewußt, die Außenwelt mit dem Innersten im Menschen, mit dem Gedanken und der Empfindung zusammen. »Die äußerlichen Erscheinungen werden so«, wie Hegel sich in der Philosophie der Geschichte ausdrückt, »in die innerliche Vorstellung übersetzt«. Die objective Welt, von uns gedacht, in uns reflectirt, wird den ewigen, nothwendigen, alles bedingenden Formen unserer geistigen Existenz unterworfen. Die intellectuelle Thätigkeit übt sich dann an dem durch die sinnliche Wahrnehmung überkommenen Stoffe. Es ist daher schon im Jugendalter der Menschheit, in der einfachsten Betrachtung der Natur, in dem ersten Erkennen und Auffassen eine Anregung zu naturphilosophischen Ansichten. Diese Anregung ist verschieden, mehr oder minder lebhaft, nach der Gemüthsstimmung, der nationalen Individualität und dem Culturzustande der Völker. Eine Geistesarbeit beginnt, sobald, von innerer Nothwendigkeit getrieben, das Denken den Stoff sinnlicher Wahrnehmungen aufnimmt.

      Die Geschichte hat uns die vielfach gewagten Versuche aufbewahrt, die Welt der physischen Erscheinungen in ihrer Vielheit zu begreifen; eine einige, das ganze Universum durchdringende, bewegende, entmischende Weltkraft zu erkennen. Diese Versuche steigen in der classischen Vorzeit zu den Physiologien und Urstoff-Lehren der ionischen Schule hinauf: wo bei wenig ausgedehnter Empirie (bei einem dürftigen Material von Thatsachen) das ideelle Bestreben, die Natur-Erklärungen aus reiner Vernunft-Erkenntniß, vorherrschten. Je mehr aber während einer glänzenden Erweiterung aller Naturwissenschaften das Material des sicheren empirischen Wissens anwuchs, desto mehr erkaltete allmälig der Trieb, das Wesen der Erscheinungen und ihre Einheit, als ein Naturganzes, durch Construction der Begriffe aus der Vernunft-Erkenntniß abzuleiten. In der uns nahen Zeit hat der mathematische Theil der Naturphilosophie sich einer großen und herrlichen Ausbildung zu erfreuen gehabt. Die Methoden und das Instrument (die Analyse) sind gleichzeitig vervollkommnet worden. Was so auf vielfachen Wegen durch sinnige Anwendung atomistischer Prämissen, durch allgemeineren und unmittelbareren Contact mit der Natur, durch das Hervorrufen und Ausbilden neuer Organe errungen worden ist; soll: wie im Alterthume, so auch jetzt, ein gemeinsames Gut der Menschheit, der freiesten Bearbeitung der Philosophie in ihren wechselnden Gestaltungen nicht entzogen werden. Bisweilen ist freilich die Unversehrtheit des Stoffes in dieser Bearbeitung einige Gefahr gelaufen; und in dem steten Wechsel ideeller Ansichten ist es wenig zu verwundern, wenn, wie so schön im Bruno Schelling’s Bruno über das göttliche und natürliche Princip der Dinge S. 181. gesagt wird, »viele die Philosophie nur meteorischer Erscheinungen fähig halten und daher auch die größeren Formen, in denen sie sich geoffenbart hat, das Schicksal der Cometen bei dem Volke theilen: das sie nicht zu den bleibenden und ewigen Werken der Natur, sondern zu den vergänglichen Erscheinungen feuriger Dünste zählt.«

      Mißbrauch oder irrige Richtungen der Geistesarbeit müssen aber nicht zu der, die Intelligenz entehrenden Ansicht führen, als sei die Gedankenwelt, ihrer Natur nach, die Region phantastischer Truggebilde; als sei der so viele Jahrhunderte hindurch gesammelte überreiche Schatz empirischer Anschauung von der Philosophie, wie von einer feindlichen Macht, bedroht. Es geziemt nicht dem Geiste unserer Zeit, jede Verallgemeinerung der Begriffe, jeden, auf Induction und Analogien gegründeten Versuch, tiefer in die Verkettung der Naturerscheinungen einzudringen, als bodenlose Hypothese zu verwerfen; und unter den edeln Anlagen, mit denen die Natur den Menschen ausgestattet hat, bald die nach einem Causalzusammenhang grübelnde Vernunft, bald die regsame, zu allem Entdecken und Schaffen nothwendige und anregende Einbildungskraft zu verdammen.

      Naturgemälde. Uebersicht der Erscheinungen

      


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