Jane Eyre. Шарлотта Бронте
Читать онлайн книгу.Und diese Strafe ließen Sie mich erdulden, weil Ihr boshafter, schlechter Sohn mich schlug – mich ohne Grund und Ursache zu Boden schlug. Und diese Geschichte – gerade so, wie ich sie jetzt erzähle – werde ich jedem erzählen, der mich fragt. Die Leute glauben, dass Sie eine gute Frau sind, aber Sie sind schlecht! Sie sind hartherzig! Sie sind lügnerisch und falsch!«
Ehe ich noch mit dieser Antwort zu Ende war, begann ein seltsam glückseliges Gefühl der Freiheit, des Triumphes sich meiner Seele zu bemächtigen. So hatte ich noch niemals empfunden. Es war als wenn unsichtbare Fesseln und Bande plötzlich zerrissen wären, und ich mir endlich den Weg zur unverhofften Freiheit erkämpft hätte. Und dieses Gefühl kam nicht ohne Veranlassung über mich, denn – Mrs. Reed schien erschrocken und furchtsam; die Arbeit war von ihrem Schoße gefallen, sie erhob die Hände und wiegte sich hin und her, ihr Gesicht verzerrte sich, als wolle sie anfangen zu weinen.
»Jane, du irrst, du irrst dich, Kind! Was ist mit dir vorgegangen? Weshalb zitterst du so heftig? Möchtest du einen Schluck Wasser trinken?«
»Nein, Mrs. Reed.«
»Möchtest du irgend etwas anderes, Jane? Du kannst mir glauben, ich wünsche nichts anderes, als dir eine Freundin zu sein.«
»Nein, das ist nicht wahr. Sie haben Mr. Brocklehurst gesagt, dass ich einen lügnerischen, bösen und falschen Charakter habe. Aber ich werde jedem Menschen in Lowood erzählen, was Sie sind, und was Sie getan haben! Das schwöre ich Ihnen.«
»Jane, du verstehst solche Dinge nicht. Kinder müssen von ihren Fehlern geheilt werden.«
»Falschheit ist aber nicht mein Fehler!« schrie ich mit lauter, wilder, gellender Stimme.
»Aber du bist leidenschaftlich und heftig, Jane, das musst du zugeben. Und jetzt geh wieder in die Kinderstube – so – das ist ein gutes, liebes Kind! – Geh und ruh dich ein wenig aus.«
»Ich bin nicht Ihr gutes, liebes Kind! Ich kann mich nicht ausruhen! Schicken Sie mich bald in die Erziehungsanstalt, Mrs. Reed, denn das Leben hier ist mir unerträglich und verhasst geworden.«
»Wahrhaftig, ich will sie bald in die Schule schicken«, murmelte Mrs. Reed, sotto voce. Dann raffte sie ihre Arbeit zusammen und verließ hastig das Zimmer.
Ich blieb nun allein, ich behauptete das Schlachtfeld. Es war der erbittertste Kampf, den ich jemals gekämpft, und der erste Sieg, den ich je errungen. Einige Augenblicke stand ich vor dem Kamin auf derselben Stelle, wo Mr. Brocklehurst gestanden, und genoss die Einsamkeit des Sieges! Zuerst lächelte ich still vor mich hin und fühlte mich gehoben; aber diese trotzige Freude schwand dahin in demselben Maße, wie das beschleunigte Tempo meines Pulsschlags nachließ. Ein Kind kann nicht mit älteren Leuten streiten, wie ich es getan – kann seinen unbemeisterten Gefühlen nicht ungehindert Ausdruck verleihen, wie es soeben von mir geschehen – ohne dass es nachher die Qualen der Gewissensbisse, den Schauder der Reaktion empfindet. Ein Streifen brennenden Heidelandes, glühend, tobend, verzehrend – das wäre eine passende Verbildlichung meines Gemüts gewesen als ich Mrs. Reed anklagte und bedrohte. Und dasselbe Heideland, schwarz und versengt, nachdem die Flammen erloschen, würde ebenso treffend meinen späteren Gemütszustand versinnlicht haben, nachdem die Ruhe und das Nachdenken einer halben Stunde mir den Wahnsinn meines Vorgehens und die Trübseligkeit meiner verhassten Lage und hassenden Stimmung vor Augen geführt hatte.
Zum ersten Mal hatte ich die Süßigkeit der Rache empfunden; aromatischer Wein dünkte sie mich, der während des Trinkens süße und feurig ist; sein Nachgeschmack aber ist herbe und metallisch – so hatte ich das Gefühl, als ob ich vergiftet sei. Gern wäre ich gegangen, um Mrs. Reeds Verzeihung zu erbitten, aber ich wusste, teils aus Erfahrung, teils aus Instinkt, dass sie mich dann nur mit doppelter Verachtung zurückstoßen und dadurch jedes meiner Natur innewohnende heftige Gefühl aufs neue erwecken würde.
Gern hätte ich eine andere mir innewohnende Fähigkeit geübt als die des heftigen, trotzigen Sprechens; gern hätte ich Nahrung für ein sanfteres Gefühl gefunden, als das der finsteren Empörung. Ich nahm ein Buch – es waren arabische Erzählungen; ich setzte mich und war bemüht zu lesen. Ich konnte den Sinn des Ganzen nicht verstehen; meine eigenen Gedanken schwebten fortwährend zwischen mir und den Zeilen, die mich sonst stets gefesselt hatten. Ich öffnete die Glastür, welche aus dem Frühstückszimmer in den Garten führte; die jungen Anpflanzungen lagen so still da; der düstere Frost, weder durch Sonne noch Wind gestört, hatte sein Reich im Garten aufgeschlagen. Ich bedeckte meinen Kopf und meine Arme mit dem Rock meines Kleides und ging hinaus, um in einem abgeschiedenen Teil des Parks zu spazieren – aber ich fand keine Freude an den stillen, bewegungslosen Bäumen, den herabfallenden Tannenzapfen, den erstarrten Reliquien des Herbstes, den braunen, welken Blättern, welche der Wind in Haufen zusammen gefegt und der Frost bewegungslos gemacht hatte. Ich lehnte mich gegen eine Pforte und blickte auf eine einsame Weide, auf welcher keine Schafe mehr grasten, wo das kurze Gras geschwärzt und welk und traurig aussah. Es war ein sehr grauer Tag; ein matter Himmel, der voll Schneewolken hing, wölbte sich über die Landschaft; dann und wann fielen einige Schneeflocken, die auf den hartgefrorenen Wegen und Büschen und Bäumen liegen blieben, ohne zu schmelzen.
Da stand ich, ein unglückliches Kind und flüsterte immer wieder: »Was soll ich tun? – Was soll ich tun?«
Plötzlich hörte ich eine helle Stimme rufen: »Miss Jane! Wo sind Sie? Kommen Sie zum Gabelfrühstück herein!«
Ich wusste sehr wohl, dass es Bessie sei, aber ich rührte mich nicht von der Stelle; dann ertönte ihr leichter Schritt auf dem Gartenwege.
»Sie unartiges, kleines Ding!« sagte sie. »Weshalb kommen Sie nicht, wenn man Sie ruft?«
Bessies Gegenwart war erheiternd im Vergleich zu den düsteren Gedanken, die meine Gesellschaft gewesen, selbst dann, wenn sie, wie gewöhnlich, etwas zornig war. Die Sache war nämlich die, dass ich mir nach meinem Konflikte mit Mrs. Reed und meinem Sieg über dieselbe nur noch sehr wenig aus dem vorübergehenden Zorn des Kindermädchens machte. Ich war vielmehr geneigt, mich in ihrer jugendlichen, beneidenswerten Leichtherzigkeit zu sonnen. So schlang ich denn meine beiden Arme um ihren Hals und sagte schmeichelnd: »Komm Bessie, schilt mich nicht!«
Diese Bewegung war natürlicher und furchtloser als irgend eine, die ich mir bis jetzt erlaubt hatte; sie musste auch dem Mädchen gefallen.
»Sie sind ein sonderbares Kind, Miss Jane«, sagte sie, indem sie zu mir herabblickte, »ein kleines ruheloses,