Gesammelte Werke. Odon von Horvath

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Gesammelte Werke - Odon von  Horvath


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Jahre lang die Gültigkeit des Geschlechtstriebes bezweifelt.

      Einmal verbot dieser fromme Religionslehrer einem achtjährigen Mädchen, mit nackten Oberarmen in der Schulbank zu sitzen, denn das sei verderblich. Aber am nächsten Sonntag in der Sakristei setze ihm deren Vater, ein Feinmechaniker aus der Schellingstraße, auseinander, daß er doch nicht hinschauen soll, wenn er eine solche Sau sei und daß er durch einen überaus glücklichen Zufall erfahren habe, daß Hochwürden gern gar oft ein sauberes »Antiquariat« in der Schellingstraße besuche, um sich dort an den Fotografien nackter Weiber zu ergötzen. Und der hochwürdige Herr erwiderte, das sei eine gewaltige Verleumdung; wohl besuche er des öfteren jenes »Antiquariat« in der Schellingstraße, aber nur, um sich Heiligenbildchen zu kaufen, die dort sehr preiswert wären und die er dann unter seine Lieblingsschülerinnen verteile. Und er lächelte scheinheilig und meinte noch, der Herr Feinmechaniker solle nur ja nicht verleumden, denn das wäre keine läßliche Sünde. Aber der Herr Feinmechaniker sagte, er scheiße auf alle läßlichen und unerläßlichen Sünden, und er wiederholte, daß jenes »Antiquariat« Hochwürden allerdings leicht verderblich werden könnte, falls sich Hochwürden nur noch einmal erfrechen sollte, sich über die nackten Oberarme seiner achtjährigen Tochter aufzuregen. »Nun, nun, nun« antwortete Hochwürden gekränkt, nämlich er begann jeden Satz mit dem Wörtchen »nun« und diesmal fiel ihm kein Satz ein, denn der Feinmechaniker hatte recht und Hochwürden ließ ihn entrüstet stehen. –

      Seit dieser Unterredung besuchte dieser heilige Geselle nur ab und zu die Tante, denn er war nicht nur schlau, sondern auch feig. Die Tante hatte ihn bereits drei Wochen lang nicht gesehen und als er jetzt den Laden betrat, hub er gleich an zu lügen:

      »Nun, ich habe es Euch doch schon des öfteren aufgetragen, gute Frau, daß Ihr in die Auslage nicht diese obszönen Nuditäten hängen sollt, wie dieses ›Vor dem Spiegel‹ oder jenes schamlose ›Weib auf dem Pantherfell‹. Welchen Samen streuen solche Schandbilder in die Seele unserer heranreifenden Jugend!«

      »Das sind doch keine Schandbilder, das sind doch nur Fotografien!« ärgerte sich die Tante. »Das kauft sich keine heranreifende Jugend nicht, das kaufn sich nur die heranreifendn Kunstmaler, das habn die nämlich zur Kunst nötig.«

      Hochwürden trat an den Bücherständer, durchstöberte den verstaubten Kram, und die Tante knurrte bloß: »Nun, ich kenn schon deine Irrlehren, alter Sünder, ganz ausgschamter!«

      »Nun, gute Frau, die Kunst ist göttlichen Ursprungs, aber heute fotografiert der Satan. Nun, wollen wir mal sehen, ob Ihr etwas Neues bekommen habt, oder? Nun, habt Ihr noch das Büchlein über die gnostischen Irrlehren? Nun, Ihr wißt doch, wie sehr wir uns für Irrlehren interessieren.«

      Sie haßte ihn nämlich, denn auch er gehörte zu jenen Kunden, die sich alle Wochen tausend Weiber »auf dem Pantherfell, vor dem Spiegel« betrachten und sich dann keine einzige kaufen, sondern sich nur höflich bedanken und sagen: »Ja, wissen Sie, das ist doch nicht das, was ich zur Kunst benötige. Ich benötige eine große schlanke Blondine, aber die hier sind schwarz, braun, rot, zu blond und entweder zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn oder zu teuer. Die können wir armen heranreifenden Künstler uns nicht leisten.« –

      Und während die Krumbier leise der Tante von den abscheulichen Verbrechen der Jesuiten in Mexiko, Bolivien und Peru erzählte, entzifferte Hochwürden Buchtitel: »Aus dem Liebesleben der Sizilianerinnen. – Sind Brünette grausam? – Selbstbekenntnisse einer Dirne. – Selbstbekenntnisse zweier Dirnen. – Selbstbekenntnisse dreier Dirnen. – Fort mit den lästigen Sommersprossen! – Die unerbittliche Jungfrau. – Gibt es semitische Huren? – Sadismus, Masochismus und Hypnose. – Marianischer Kalender. – Unser Österreich-ungarischer Bundesgenosse. – Abtreibung und Talmud. – Wie bist Du, Weib? – Quo vadis, Weib? – Sphinx Weib. – Wer bist Du, Weib? – Wer seid Ihr, Weiber?«

      Und Hochwürden seufzte wie ein alter Hirsch und blätterte benommen in dem Werke »Tugend oder Laster?« und sein Blick blieb an der Stelle kleben: »Der Coitus interruptus ist auf dem Seewege von den Griechen zu den Juden gekommen.« Erschüttert über solch unzüchtige Erforschung des antiken Transportwesens, legte er behutsam das Buch auf eine Darstellung der Leda, schwitzte wie ein Bär und starrte sinnierend vor sich hin.

      Vor ihm lagen zwei Weiber auf je einem Pantherfell. »Apropos, wie geht es der lieben Nichte?« wandte er sich an die Tante. »Nun, das ist ein hübsches Kind, das sich hoffentlich niemals auf einem Pantherfell fotografieren lassen wird; die Welt ist unsittlich, gute Frau, und ich las jetzt soeben im Marianischen Kalender, daß der Agnestag am 21. Januar ist. Nun, die Geschichte der heiligen Agnes ist erbaulich, ihr Sinnbild ist das Lamm. Nun, die heilige Agnes war eine schöne römische Christin und weil sie die Ehe mit einem vornehmen heidnischen Jüngling ausschlug, wurde sie in ein öffentliches Haus gebracht, blieb aber auch da mit einem Heiligenschein versehen, unversehrt auf ihrem Lotterbett. Nun, als endlich aber ihr Bräutigam ihr Gewalt antun wollte, erblindete er, wurde aber auf ihre Fürbitte hin wieder sehend. Nun, dennoch wurde sie zum Feuertod verurteilt, und weil sie die Flammen nicht verbrennen konnten, hat man sie enthauptet. Nun, das von dem Blindwerden fällt mir ein, wenn ich diese Schamlosigkeit auf den Pantherfellen hier erblicke. Nun, übrigens ich muß nun gehen. Nun, also behüt Euch Gott, liebe Frau, – die Welt ist verroht, aber Gottes Mühlen mahlen langsam.«

      Er ging.

      Und die Tante sagte: »Nun, das ist ein ganz hintervotziger Hund. Jedesmal bevor er rausgeht, erzählt er irgend so ein Schmarrn, damits nicht so auffällt, daß er sich nie was kauft.«

      Und die Krumbier meinte, auch ihre Schutzheilige, die heilige Afra, sei seinerzeit dem Venusdienst geweiht worden auf der Insel Zypern, aber eines Tages sei der heilige Bischof Narzissus in jenes Freudenhaus gekommen und hätte dort die heilige Afra und ihre Mutter samt deren Dienerinnen getauft und jetzt ruhe Afras heiliger Leib in der Kirche von St. Ulrich in Augsburg.

      Die Tante brummte nur, es sei schon merkwürdig, daß so viele Heilige aus Freudenhäusern stammen.

      Aber die Krumbier meinte, man könne auch die Freudenmädchen nicht so ohne weiteres verdammen. So habe sie eine Bekannte gehabt, bei der hätten nur Huren gewohnt, doch die wären peinlich pünktlich mit der Miete gewesen und hätten die Möbel schon sehr geschont, sauber und akkurat. Sie hätten sich ihre Zimmer direkt mit Liebe eingerichtet und nie ein unfeines Wort gebraucht. –

       Inhaltsverzeichnis

      Als jener gesalbte Lüstling im Antiquariat über die heilige Agnes sprach, betrat Agnes Pollinger den fünften Stock des Hauses Schellingstraße 104 und stand nun vor dem Atelier Arthur Maria Lachners. »Akademischer Kunstmaler« las sie auf dem Schilde unter seinem schönen Namen.

      Und darunter hing ein Zettel mit der Überschrift: »Raum für Mitteilungen, falls nicht zuhause« und da stand: »Wir sind um zwo im Stefani. Schachmatt. – Sie kommt, ich erscheine um achtzehn Uhr. Kastner. – War gestern Abend da, Blödian. Erwarte mich. Rembrandt. – –Was macht mein Edgar Allan Poe III. Band? Du weißt schon. – Kann Dir mitteilen, daß ich nicht kann. Elly. – Bin Mittwoch fünf Uhr Nachmittag da. Gruß Priegler.« Und diese Mitteilungen umgaben auf dem Rande des Zettels lauter einzelne Worte, wie eine Girlande. Es waren meist Schmähworte, wie: »Bruch, Aff, Mist, Trottel, Arsch, Rindvieh, Gauner, Hund« usw.

      Neben dem Zettel erblickte Agnes eine kurze Schnur, an deren Ende ursprünglich ein Bleistift befestigt worden war, aber dieser Bleistift ist wieder mal geklaut worden, und nun hing die arme Schnur nur so irgendwie herunter, mürrisch, einsam und erniedrigt, ohne Zweck und ohne Sinn. Sie hatte ihre Daseinsberechtigung verloren und ihre einzige Hoffnung war ein neuer Bleistift. Sie wußte ja noch nicht, daß ihr Herr, der Lachner, bereits beschlossen hatte, nie wieder einen Bleistift vor seine Tür zu hängen. Die Schnur kannte den Dieb, sie wußte, daß er Kastner hieß, und es quasselte die Schnur, daß keine Behörde ihre Anklagen zu Protokoll nahm. –

      Agnes wollte läuten, aber neben der Klingel hing ebenfalls ein Zettel: »Glocke ruiniert, bitte sehr stark gen die Pforte zu pochen. AML.«

      Und


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