Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada


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verstehe, daß ein junges Mädchen an so was hängt … Aber du mußt mir auch mehr erzählen, Evchen. Ich seh ja doch, was los ist, und paß bloß auf, daß er dich heiratet, eh was passiert ist. Mit so was versteht Vater keinen Spaß …«

      »Ach, Mutter …«

      »Ich weiß ja, so was erzählt eine Tochter lieber allen anderen Leuten, nur nicht der Mutter. Aber du wirst schon kommen, du wirst mir schon kommen. – Und meine Ohrringe gebe ich auch nicht, die wiegen nichts, da merkt Vater auch nichts davon … Und dann paß auf, aber du mußt mir heilig versprechen, Vater nichts zu sagen, dann nehme ich mir hier von den Goldstücken, dreie von den großen und dreie von den kleinen …«

      »Ach, Mutter …«

      »Das ist kein Schmu, Evchen. Die will ich nicht für mich, die will ich aufheben. Jetzt reden sie immer abliefern! Aber man weiß doch nicht, wie die Zeiten noch werden. Wo wir jetzt schon Brotkarten haben, wer weiß, was das alles noch gibt. Abliefern müssen doch nur wir Kleinen – aber wie es die Großen halten, davon hört man nichts, man denkt es sich bloß. Dem Kaiser werden sie keine Brotkarte geben, und ob er all das Gold-und Silbergeschirr aus dem Schloß abliefert … Nee, du hast recht, Kind, nu geh lieber los. Und wenn du zurückkommst, paßt du gut auf, daß du Vater nicht grade in die Arme läufst, nicht wahr?«

      18 Hackendahl freut sich

      Viele Hufe klapperten über das Steinpflaster des Hofes, die Mutter fuhr neugierig mit dem Kopf aus dem Fenster, trotzdem sie es gar nicht durfte. Denn Eva war noch nicht zurück von der Reichsbank.

      Aber der Vater dachte jetzt nicht an Gold und Reichsbank. Fröhlich winkte er der Mutter.

      »Wir haben wieder Pferde, Mutter!« rief er. »Jetzt kommt Leben in den Betrieb.«

      Die Mutter schaute. Sie hatte viele Pferde erlebt auf dem Hofe; auf allen Gängen in die Stadt mit Vater hatte sie auf Pferde achten müssen. Mutter kannte Pferde. »Sind sie nicht sehr klein?« rief sie aus dem Fenster.

      »Klein …?« rief Vater zurück und ärgerte sich gewaltig. »Klein …?! Kleiner als du sind sie auch nicht! – Komm, Rabause! Hilf die Pferde in den Stall bringen. Jetzt gibt’s Arbeit! Klein – die denkt, im Kriege spannen wir Elefanten vor die Droschken. – Klein …«

      Er schluckte, mit neuem Zorn rief er zum Fenster hinauf: »Ich komm nicht zum Abendessen. Eßt ihr alleine – ich habe zu tun.«

      »Siebzehn Stück«, sagte Rabause. »Da können wir wieder zwanzig Droschken fahren lassen – und den Schimmel und den Braunen lassen wir ein bißchen stehen, lange hätten die es nicht mehr gemacht.«

      »Richtig«, lobte Hackendahl. »So habe ich es mir auch gedacht – und so ’ne Frau sagt klein!«

      »Ganz so groß wie unsere alten sind sie ja wohl nicht«, meinte Rabause vorsichtig.

      »Ganz so groß …«, sagte Hackendahl vorwurfsvoll. »Quatsch doch keinen Quatsch, Rabause! Richtige Ponys sind das! Russenpferde sind’s, Panjepferdchen nennt man so was! Klein? Natürlich sind sie klein. Die müssen ja klein sein, sonst kriegen wir sie nämlich nicht, sonst nimmt sie nämlich die Militärverwaltung für sich.«

      »Richtig«, sagte Rabause. »Ponys. Solche hab ich früher schon mal gesehen, Herr Chef, bei Renzen im Zirkus …«

      »Zirkus! Das hättste nun auch nich sagen müssen, Rabause! Zirkus, das klingt, wie wenn meine Frau ›klein‹ sagt. Wir haben hier keinen Zirkus!«

      »Weiß ich, Herr Chef. Ich mein ja auch nur: als ob Zirkus!«

      »Na schön, ich dachte, du wolltest auf demselben Horn wie meine Frau tuten. Nun habe ich gedacht, Rabause: Das Geschirr werden wir ändern lassen müssen. So paßt das den Katzen nicht. Ich bestell gleich nachher den Sattler. Und der Schmied muß auch her, die Beschläge an den Gabeln müssen versetzt werden …«

      »Das kostet einen Haufen Geld, Herr Chef, und wenn mal wieder Frieden ist, und wir haben wieder richtige Pferde …«

      »Es ist aber nicht Frieden, es ist Krieg, Rabause! Und ich richte mich jetzt auf den Krieg ein. Immer habe ich gelauert und gelauert, es muß doch Frieden werden, jetzt lauer ich nicht mehr. Bei mir ist jetzt Krieg, und ich will auch im Krieg was anderes zu tun haben, als bloß warten. – Nee, ich freu mich, daß es nun wieder Arbeit gibt. Und du freust dich doch auch, Rabause? Das war doch kein Leben nicht, mit fünf Schindern …?«

      »Ich freue mich auch. Versteht sich. Satt werden wir die Katzen ja kriegen, wenn’s Hafer auch bloß auf Bezugschein gibt …«

      »Stimmt, Rabause! Und wenn der Hafer mal knapp ist, frißt so ’ne Katze auch bloß Heu, und in Rußland sollen sie sogar nur Stroh zu fressen kriegen, sagt Eggebrecht. Das mach ich aber nicht, denn wer arbeitet, der soll auch essen.«

      »Billig werden sie sein im Futter, und wenn sie nu auch billig im Preis gewesen sind, weil se doch man klein sind, Herr Chef …«

      »Klein! Nun sagst du auch klein, genau wie meine Frau, Rabause. Ich versteh dich nicht! Wie können sie denn billig sein, wo’s keine Pferde gibt?! Da können sie doch gar nicht billig sein! Denk doch mal selber nach, Rabause …«

      »Nee, billig können se wohl nich sein, Herr Chef, da haben Sie recht.«

      »Teuer sind sie! So teuer, daß ich erst weggehen wollte von Eggebrecht. Aber dann habe ich mir’s überlegt, Rabause. Arbeit muß ich haben, und wenn ich sie nicht kaufe, kauft sie ein anderer …«

      »Da haben Sie recht …«

      »Unter uns, Rabause, aber du darfst es meiner Frau nicht sagen. Ich habe dem Eggebrecht für die siebzehn Katzen mehr zahlen müssen, als ich für meine siebenundzwanzig guten Pferde bekommen habe!«

      »Herr Hackendahl …!«

      »Reden wir nicht davon! Ich habe dir nischt gesagt! Aber wenn erst meine zwanzig Droschken wieder vom Hof rollen, dann denke ich nicht mehr an das Geld. Dann freue ich mich. Dann denke ich, was die Leute kucken werden: zwanzig Droschken! Und dann werden sie sagen: ›Ja, der Gustav, der is eisern. Der läßt sich nicht unterkriegen, genau nicht wie der Hindenburg. Der ist eisern!‹ – Und dann freue ich mich …«

      Drittes Kapitel: Die lange schwere Zeit

      1 Nacht einer Kriegerfrau

      In der Nacht fuhr die Schneiderin Gertrud Gudde hoch aus dem Schlaf. Sie hatte den Winterwind sausen hören, schneidend, erbarmungslos gegen Leute, die nicht genug Feuerung haben und unzureichend ernährt sind. Sie schauderte zusammen, dann hatte sie die müden Glieder fester in das warme Bett geschmiegt.

      Aber gleich war sie wieder hochgefahren und hatte Licht gemacht. War sie denn nicht aufgewacht, weil Gustäving gerufen hatte? Sie war aus der Wärme gestiegen, hinein in die eisige Kälte des Zimmers, an sein Bett getreten: Aber Gustäving schlief ruhig. Er lag auf der Seite. Eine knochige, bläuliche Schulter sah aus dem Hemd. Sacht zog sie die Decke darüber. Die Nase war viel zu scharf und spitz in dem Kindergesicht, die Ärmchen waren dürr wie Stecken, kein Gramm Fleisch schien auf ihnen zu sein.

      Sie sah das alles, wie sie es hundertmal in der letzten Zeit gesehen hatte, wie sie Monat für Monat, Woche für Woche ihr Kind so hatte werden sehen. Sie seufzte, stopfte die Decke noch einmal fest um den mageren Kinderkörper, mit einem Gefühl hilfloser Ergebenheit. Dann kehrte sie in die Bettwärme zurück.

      Sie versuchte wieder einzuschlafen. Es war erst zwei Uhr nachts. Sie lag und lauschte auf den Wind, der an den Fenstern im fünften Stock so heulte und rüttelte, als wohne sie nicht in der großen Steinstadt Berlin, sondern weit draußen auf dem flachen Lande, wo die Häuser ungeschützt den Stürmen preisgegeben sind.

      Sie erinnerte sich genau, wie der Wind heulte und rüttelte an dem kleinen Elternhaus auf Hiddensee. Wie sie als Kinder wach lagen und lauschten, wie sich das Donnern der Brandung am nahen Westrand der Insel in den Sturmlärm mischte, und wie sie immer daran dachten, daß jetzt der Vater draußen war in seinem Boot, auf Heringsfang vor Arkona oder nach Schollen im Achterwasser. Sie erinnerte sich, wie sie flüsternd in ihren Betten miteinander von ihren großen kleinen Kindergeschehnissen gesprochen hatten,


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