Gesammelte Werke. Alfred Adler
Читать онлайн книгу.rechnen zu lassen jene sein werden, deren Gemeinschaftsgefühl am wenigsten gedrosselt ist, während es am schlechtesten mit jenen bestellt sein wird, bei denen der Hang nach oben, die Sehnsucht nach Überlegenheit einen besonders hohen Grad erreicht hat. Die Beobachtung lehrt das alle Tage. Wenn Eltern über ein Kind klagen, dann geschieht dies äußerst selten wegen blinden Gehorsams, sondern wegen Ungehorsams, und die Untersuchung solcher Kinder zeigt, daß sie in dem Streben begriffen sind, über ihre Umgebung hinauszuwachsen, daß sie bei dieser Gelegenheit die Normen ihres kleinen Lebens durchbrechen, weil sie durch eine fehlerhafte Behandlung für erzieherische Eingriffe unzugänglich gemacht worden sind. Das intensive Streben nach Macht steht somit zur Erziehbarkeit im umgekehrten Verhältnis. Trotzdem ist unsere Familienerziehung meist darauf bedacht, den Ehrgeiz des Kindes besonders aufzustacheln und in ihm Größenideen zu erwecken. Nicht etwa aus Unbesonnenheit, sondern weil unsere ganze Kultur, die selbst von einer solchen zu Größenideen hinneigenden Tendenz durchzogen ist, ihnen solche Impulse gibt, so daß es auch in der Familie, wie in unserer Kultur, in erster Linie darauf ankommt, daß der Einzelne mit besonderem Glanze im Leben dasteht und möglichst alle andern in irgendeiner Weise übertrifft. In dem Kapitel über die Eitelkeit wird weiter ausgeführt werden, wie ungeeignet diese Methode der Erziehung zum Ehrgeiz ist und an welchen Schwierigkeiten in diesem Fall die Entwicklung eines Seelenlebens scheitern kann.
In einer ähnlichen Lage wie jene, die zufolge ihrer Neigung zum unbedingten Gehorsam in weitgehender Weise auf die Forderungen der Umgebung eingehen, befindet sich auch jedes Medium. Man braucht nur den Vorsatz durchzuführen, einmal eine Zeitlang alles zu tun, was von einem verlangt wird. Ein derartiger Vorgang liegt den Vorbereitungen zur Hypnose zugrunde. Im allgemeinen ist hierzu folgendes zu bemerken: Es kann einer sagen oder glauben, er habe den Willen zur Hypnose. Trotzdem wird ihm die seelische Bereitschaft zur Unterwerfung fehlen. Und es kann einer ganz entschieden Widerspruch leisten und doch innerlich zur Unterwerfung bereit sein. In der Hypnose kommt es eben ausschließlich auf die seelische Haltung des Mediums an, nicht auf dessen Worte oder Glauben. Aus der Verkennung dieser Tatsache ist große Verwirrung entstanden, weil man in der Hypnose meist mit Menschen zu tun hat, die sich zu sträuben scheinen und schließlich doch geneigt sind, den Forderungen des Hypnotiseurs nachzugeben. Diese Bereitwilligkeit kann verschiedene Grenzen haben, so daß die Resultate der Hypnose bei jedem Menschen andere sind. In keinem Fall hängt aber die Grenze der Bereitwilligkeit zur Hypnose vom Willen des Hypnotiseurs ab, sondern von der seelischen Einstellung des Mediums.
Was das Wesen der Hypnose betrifft, so stellt sie eine Art Schlafzustand vor. Rätselhaft ist sie nur deshalb, weil dieser Schlaf erst erzeugt werden muß, sich erst im Auftrag eines andern einstellt. Der Auftrag ist nur wirksam, wenn er auf jemand trifft, der bereit ist ihn anzunehmen. Entscheidend hierfür sind, wie erwähnt, Wesen und Entwicklung der Persönlichkeit des Mediums. Nur wenn jemand so geartet ist, daß er den Einflüssen eines andern kritiklos Raum gibt, ist es möglich, diesen eigenartigen Schlafzustand bei ihm hervorzurufen, der mehr als der natürliche Schlaf, auf eine Ausschaltung der Bewegungsfähigkeit hinausläuft, soweit, bis endlich auch die Bewegungszentren vom Auftraggeber mobilisiert werden können. Vom normalen Schlaf bleibt nur eine Art Dämmerzustand übrig, der es auch ausmacht, daß das Medium nur nach dem Willen des Auftraggebers von den Vorgängen in der Hypnose Erinnerungen aufbewahren kann. Was am stärksten ausgeschaltet ist, ist die für unsere Kultur bedeutendste Errungenschaft des seelischen Organs, die Kritik. Das Medium ist nun sozusagen die verlängerte Hand, das Organ des Hypnotiseurs, und funktioniert in seinem Auftrag.
Die meisten Menschen, die einen Hang haben auf andere einzuwirken, schreiben diese Fähigkeit, wie überhaupt jede Möglichkeit des Einwirkens, einem geheimnisvollen Fluidum, einer besonderen Kraft zu, die ihnen eigen sein soll. Das führt zu einem ungeheuren Unfug, zu Ausartungen, insbesondere zu den abstoßenden Exzessen von Telepathen und Hypnotiseuren. Von ihnen müßte man eigentlich behaupten, daß sie die Menschenwürde in einem solchen Grade verletzen, daß jedes Mittel gerecht wäre, um ihnen das Handwerk zu legen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Erscheinungen, die sie vorführen, auf Schwindel beruhen. Nein, die menschliche Kreatur ist eben derart zur Unterwerfung geneigt, daß sie einem Menschen, der mit der Pose der Plusmacherei auftritt, zum Opfer fallen kann, nur weil die Menschen in ihrer Mehrzahl so oft in einer Stimmung dahingelebt haben, sich ohne Prüfung zu unterwerfen, Autorität anzuerkennen, sich bluffen und hinreißen zu lassen, sich kritiklos unterzuordnen, was alles natürlich nie eine Ordnung in das menschliche Zusammenleben bringen konnte, sondern immer wieder zu nachträglichen Revolten der Unterworfenen geführt hat. Noch kein Telepath oder Hypnotiseur hat mit seinen Experimenten auf längere Zeit Glück gehabt. Sehr oft war es so, daß er auf einen Menschen stieß, auf ein sogenanntes Medium, das ihn einfach »hineingelegt« hat. Dies ist schon bedeutenden Männern der Wissenschaft widerfahren, die ihre Kraft auf Medien einwirken lassen wollten. Manchmal gibt es auch Mischfälle, wo das Medium sozusagen ein betrogener Betrüger ist, zum Teil betrügt, zum Teil sich unterwirft. Aber die Kraft, die wir hier scheinbar am Werke sehen, ist nie die des Hypnotiseurs, sondern immer die Geneigtheit des Mediums, sich zu unterwerfen, keine Zauberkraft, die auf das Medium einwirkt, sondern höchstens die Kunst des Hypnotiseurs, zu bluffen. Ist aber jemand gewohnt, ein Leben zu führen, in dem er sich selbst alles überlegt und seine Entschlüsse nicht ohne weiteres von einem andern entgegennimmt, dann ist er natürlich nicht zu hypnotisieren und wird auch nie die sonderbaren Erscheinungen der Telepathie aufweisen. Denn all diese Erscheinungen sind nur Erscheinungen des blinden Gehorsams.
In diesem Zusammenhang ist auch die Suggestion zu erwähnen. Ihr Wesen kann man erst verstehen, wenn man sie im weitesten Sinn unter die Eindrücke einreiht. Es ist selbstverständlich, daß der Mensch nicht nur jeweils Eindrücke aufnimmt, sondern stets auch unter ihrer Wirkung steht. Das Aufnehmen der Eindrücke ist nicht ganz belanglos, sie wirken weiter. Und wenn sie Anforderungen eines anderen Menschen sind, Versuche, zu überzeugen, zu überreden, dann können wir von Suggestionen sprechen. Dann betrifft es die Umänderung oder Festigung einer wirkenden Anschauung, die bei ihrem Träger deutlich hervortritt. Das schwierigere Problem beginnt eigentlich bei dem Umstand, daß Menschen auf von außen kommende Eindrücke verschieden reagieren. Auch diese Einwirkung hängt mit dem Grad der Selbständigkeit des betreffenden Menschen zusammen. Zwei Typen sind da besonders ins Auge zu fassen. Die einen sind die, welche die Meinung des andern gern überschätzen, also von der Richtigkeit ihrer eigenen Anschauungen wenig halten, ob sie nun richtig oder falsch sind. Sie überwerten die Bedeutung anderer Personen, so daß sie sich leicht der Meinung derselben anpassen. Sie sind für Wachsuggestionen und Hypnose außerordentlich geeignet. — Der andere Typus wird alles, was von außen kommt, wie eine Beleidigung aufnehmen, nur seine eigene Meinung für richtig halten und, unbekümmert um Richtigkeit oder Unrichtigkeit, alles verwerfen, was ein anderer bringt. Beide Typen haben ein Schwächegefühl in sich, der zweite Typus ein solches, das nicht duldet, vom andern etwas anzunehmen. Meist treffen wir da Menschen an, die leicht in Konflikt kommen und sehr oft die Auffassung in sich nähren, als ob sie der Suggestion eines andern besonders leicht zugänglich wären. Sie verstärken aber diese Auffassung nur, um nicht zugänglich zu werden, so daß mit ihnen auch sonst schwer etwas anzufangen ist.
V. Kapitel:
Minderwertigkeitsgefühl und Geltungsstreben
1. Die frühkindliche Situation
2. Ausgleich des Minderwertigkeitsgefühls, Streben nach Geltung und Überlegenheit
1. Die frühkindliche Situation
Wir sind bereits so weit um zu wissen, daß Kinder, die von