Aus der Jugendzeit & Historie von der schönen Lau. Eduard Morike
Читать онлайн книгу.ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
Seh' ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
zur Pforte meines Herzens hergeladen,
die glänzend sich in diesem Busen baden,
goldfarb'gen Fischlein gleich im Gartenteiche?
Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
wie um die Krippe jener Wundernacht,
bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
wer hat das friedenselige Gedränge
in meine traurigen Wände hergebracht?
Und welch Gefühl entzückter Stärke,
indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heut'gen Tags getränkt,
fühl' ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
— Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!
Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
die Purpurlippe, die geschlossen lag,
haucht, halb geöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag
beginnt im Sprung die königlichen Flüge!
Erinnerung.
Jenes war zum letzten Male,
daß ich mit dir ging, o Klärchen!
Ja, das war das letztemal,
daß wir uns wie Kinder freuten.
Als wir eines Tages eilig
durch die breiten, sonnenhellen,
regnerischen Straßen, unter
einem Schirm geborgen, liefen;
beide heimlich eingeschlossen
wie in einem Feenstübchen,
endlich einmal Arm in Arme!
Wenig wagten wir zu reden,
denn das Herz schlug zu gewaltig;
beide merkten wir es schweigend,
und ein jedes schob im stillen
des Gesichtes glüh'nde Röte
auf den Widerschein des Schirmes.
Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
blicktest und die blonden Locken
um den hellen Nacken fielen!
„Jetzt ist wohl ein Regenbogen
hinter uns am Himmel,“ sagt' ich,
„und die Wachtel dort im Fenster,
deucht mir, schlägt noch eins so froh!“
Und im Weitergehen dacht' ich
unsrer ersten Jugendspiele,
dachte an dein heimatliches
Dorf und seine tausend Freuden.
— „Weißt du auch noch,“ frug ich dich,
„Nachbar Büttnermeisters Höfchen,
wo die großen Kufen lagen,
drin wir Sonntags nach Mittag uns
immer häuslich niederließen,
plauderten, Geschichten lasen,
während drüben in der Kirche
Kinderlehre war — (ich höre
heute noch den Ton der Orgel
durch die Stille ringsumher):
sage, lesen wir nicht einmal
wieder wie zu jenen Zeiten
— just nicht in der Kufe, mein' ich —
den beliebten Robinson?“
Und du lächeltest und bogest
mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Röschen,
das du an der Brust getragen,
und mit scheuen Augen schnelle
reichtest du mir's hin im Gehen:
zitternd hob ich's an die Lippen,
küßt' es brünstig zwei- und dreimal;
niemand konnte dessen spotten,
keine Seele hat's gesehen,
und du selber sahst es nicht.
An dem fremden Haus, wohin
ich dich zu begleiten hatte,
standen wir nun, weißt, ich drückte
dir die Hand und —
Dieses war zum letzten Male,
daß ich mit dir ging, o Klärchen!
Ja, das war das letztemal,
daß wir uns wie Kinder freuten.
Lied vom Winde.
Sausewind, Brausewind,
dort und hier!
Deine Heimat sage mir!
„Kindlein, wir fahren
seit viel vielen Jahren
durch die weit weite Welt,
und möchten's erfragen,
die Antwort erjagen,
bei den Bergen, den Meeren,
bei des Himmels klingenden Heeren:
die wissen es nie.
Bist du klüger als sie,
magst du es sagen.
—