Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein

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Der Dunkelgraf - Ludwig Bechstein


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beschrieben.

      Die Thüre ging auf, die Erbgräfin trat ein, Mariechen an der Hand und gefolgt von Dienerschaft, welche Erfrischungen trug. Ein leichtes Hauskleid umwallte die von dem Erlebten noch bleiche reizende Gestalt Ottolinens, die von zartem Bau und mittlerer Größe in ihrem ganzen Wesen die holdeste Lieblichkeit offenbarte.

      Sie betrachten den Falken von Kniphausen, begann Ottoline. Wie doch unsere Gedanken sich begegnen! In diesem Augenblick dachte auch ich an dieses kunstvolle Geräth, ein Werk des berühmten königlich sächsischen Hofjuweliers Johann Friedrich Dinglinger, das für uns gar eine hohe und wichtige Bedeutung hat. Es ist ein Versöhnungspokal, ein werthes Erbstück der Familie, gefertigt zum Andenken an eine freudige Einigung in derselben nach langem betrübenden Zwiespalt, und heißt »der Falk von Kniphausen«.

      Ottoline erfaßte das Kunstgeräth, schlug leicht den Kopf des Vogels zurück und es zeigte sich, daß das Innere von glänzendem Golde war Einen Diener herbeiwinkend, füllte die Erbgräfin den goldenen Becher mit dem edelsten Wein, während Graf Ludwig die kleine Marie, die zutraulich, als die Mutter ihre kleine Hand los ließ, zu ihm hingetrippelt war, zu sich emporhob und mit eigenthümlichen Gefühlen das schöne Kind liebkosend an sich drückte.

      Die Gräfin kredenzte nippend den köstlichen Wein im köstlichsten Trinkgeräth, und sprach, indem sie den Pokal dem Grafen darbot, von Gefühl bewegt und überglüht von einer schönen Wärme des Gemüths: Ich bringe es Ihnen, Cousin, zum Dankeszeichen für Ihre hochherzige That, die ich nie vergessen werde, die dieses, mein mitgerettetes Kind, nie vergessen soll. Sie entrissen mich dem Tode, erhielten mein Leben meinem Gemahl, meinem Mariechen und meiner kleinen erst acht Monate alten Ottoline. Ich kann Ihnen nichts bieten, als das Gefühl innigster Dankbarkeit und lebenslänglicher Freundschaft.

      Möge diese Lebensdauer eine glückliche und gesegnete sein bis zu der Tage fernster Ferne! rief Ludwig, indem er aus Ottolinens Hand den Becher ergriff, und mit gehobenem Gefühl seine Augen fest auf ihre himmelvollen Augensterne richtend, ihn zum Munde führte. Draußen im Vorsaal ein starker männlicher Tritt und Schritt, ein rasches Oeffnen der Thür, und der Erbherr stand in ihr, wie angewurzelt, seinen Augen nicht trauend, wie von Eis übergossen.

      Wilhelm, mein Wilhelm! rief Ottoline freudig überrascht aus und flog an seinen Hals, aber mit einem finstern Blick nur erwiderte der Erbherr diese Liebkosung und sprach schneidend: Ich störe hier! – indem er zurücktreten zu wollen schien. Erschrocken und ebenfalls im hohen Grade betroffen setzte Ludwig den Becher auf den Tisch und ließ das Kind auf den Boden gleiten; dieses aber wollte ferner von ihm auf dem Arm gehalten sein, und sagte: Onkel lieb! Mariechen tragen!

      Ottoline fühlte die ganze Schwere dieser Augenblicke und den ganzen Eindruck, den die lebende Bildgruppe, die sich ihrem Gemahl sichtlich darstellte, auf ihn machen mußte – sie faßte rasch alle ihre geistige Kraft zusammen, und sprach zu dem Erbherrn: Mein Wilhelm, nur jetzt um Gottes Willen keine Ungerechtigkeit! Hier steht der junge Held, dem du es dankst, daß du mich noch hast, daß unsere Kinder noch eine Mutter haben, daß unser Mariechen noch athmet. Ich habe ihm meinen Dank dargebracht nach altritterlicher Frauen Weise, wie du ihm danken wirst, muß ich deinem Gefühl überlassen. Ich weiß, du wirst so danken, wie es deiner würdig ist. – Der Erbgraf faßte sich mühsam, aber er faßte sich, und trat einige Schritte näher zu Ludwig, indem er das Wort nahm: Der Herr Vetter hört hier ein Echo der letzten guten Lehre, welche mir die Frau Großmutter gab; hätte ich doch kaum geglaubt, daß ein Schall von Varel bis zu Schloß Kniphausen reiche. Bin ich in der That so hoch verpflichteter Schuldner geworden, so will ich jetzt nicht mit Worten danken, sondern später durch Thaten. Niemand soll sagen, Schloß Kniphausen sei ein ungastliches Haus geworden, also bis auf Weiteres einstweilen zwischen uns – Waffenstillstand.

      Froh bewegt, Thränen der Rührung und Freude in den Augen, eilte Ottoline zum Tische und ergriff den kunstvollen Becher, füllte ihn auf’s Neue, hob ihn gegen den Gemahl und sprach: Ich habe den Pokal dem Retter meines Lebens, dem theuern Gaste, kredenzt. Jetzt trinke auch du mit uns, mein Wilhelm, und sei eingedenk, daß dieser Pokal ein Denkmal ist erneuter Eintracht, die auf Zwietracht folgte, ein Symbol für friedliche und wohlwollende Gesinnung, daß die Stunde, die sein Entstehen aus Künstlerhand hervorrief, eine wichtigere, feierlichere nicht sein konnte, als diese, die wir so eben feiern – denn jene Versöhnung streitender Glieder einer getrennten Familie, die wieder zu einer einzigen werden wollten, galt doch nur dem Mein und Dein des irdischen Besitzthums, während wir ungleich inniger danken sollten für ein höheres neugeschenktes Besitzthum. Darum nicht Waffenstillstand, sondern – Versöhnung!

      Hochgnädige Frau Gräfin, nahm Ludwig das Wort: Ihre Güte beschämt mich zu tief. Lassen Sie mich scheiden mit der Versicherung, daß Sie mir mehr als verdient, ja überschwänglich gedankt!

      Die junge, im Jahre 1773 geborene, mithin erst im 21sten Lebensjahre stehende liebliche und anmuthvolle Frau, erst seit dem Monat October 1791 mit dem Erbgrafen vermählt, hatte keine Ahnung davon, wie sehr und wie tief sie den Stolz ihres Gemahls durch ihre Worte und ihre Aufforderung verletzte. Sie glaubte, ihr liebevoll bittendes Wort und die Großthat des jungen Verwandten würden schwer genug wiegen, um allen Groll aus ihres Gemahls Gemüth hinweg zu bannen, denn noch nie hatte er ihr eine Bitte versagt, nie sie unfreundlich angeblickt, und es fiel ihm schwer genug, durch die politischen Verhältnisse und die Verpflichtungen, die er übernommen hatte, oft auf längere Zeit von ihr und seinen zarten Kindern getrennt zu sein. Mühsam rang der Graf nach Fassung, bewältigte sein inneres Widerstreben und sprach: Der junge Herr – kennt meine Gesinnung. Sollte noch irgend etwas auszugleichen sein, so stehe ich zu Diensten. Ich gehorche meiner romantischen Gemahlin und trinke aus diesem Falken von Kniphausen. Möge sein Wein nicht die Eigenschaft jenes Getränkes haben, das die Zauberjungfrau im berühmten Oldenburger Horn unserm Ahnherrn, dem Grafen Otto darbot. – Der Erbherr trank und reichte den Pokal an Ludwig.

      Dieser hob erheitert und das Herz geschwellt von einer namenlos seligen Empfindung, wie er sie noch nie gekannt, das köstliche Trinkgefäß und sprach: Von ganzem Herzen trinke ich auf das Wohlgedeihen dieses hohen und edeln Hauses!

      »Drink al ut!« sprach mit dem sanften Lächeln der schuldlosesten Heiterkeit Ottoline, jenen guten und schönen Spruch, den das Jungfrauenbild am Oldenburger Horne auf einem Zettel emporhält, und begeistert von so liebevollem Wort leerte der junge Graf den Goldpokal bis zur Nagelprobe. Sein Herz war viel zu unbefangen, ebenso wie das Ottolinens, völlig die doppelsinnige Schärfe der Anspielung des Erbgrafen zu verstehen; er gefiel sich in den Banden, welche hier Lieblichkeit und Anmuth mit Dankbarkeit und der seelenvollsten Güte eines jungen weiblichen Herzens um ihn schlangen, und hielt die Versöhnung für vollkommen.

      Anderes ging im Gemüthe des Erbherrn vor; sein menschenkundigerer Blick sah eine drohende Doppelgefahr, welche schon, wie er wahrzunehmen glaubte, im Beginn schien, zwei ahnungslose Herzen zu umgarnen: der Scharfblick erwachender Eifersucht glaubte bereits Entdeckungen zu machen, welche die Anspielung auf jenes Wunderhorn der heimathlichen Sage rechtfertigten. Daher blieb Graf Wilhelm den Rest des Abends beim Thee ruhig und kalt-höflich, und sah es nicht ungern, daß Ottoline, indem sie vom Schrecken der überstandenen Gefahr sich doch angegriffen fühlte, sich zeitig zurückzog. Scheidend gute Nacht wünschend, sprach sie noch zu dem Gaste: Morgen beim Frühstück, hoffe ich, wollen wir uns alle frisch und heiter zusammen finden; da soll noch einmal der Falk von Kniphausen kreisen, und dann sollen Sie auch unsere kleine liebe Ottoline sehen. Träumen Sie angenehm in unserm Schlosse! Gute Nacht!

      Der Erbherr fand nicht für angemessen, allein bei seinem Gaste zu weilen – er gebot einem Diener, Ludwig nach dessen Zimmer zu bringen, und schied mit höflichem Wunsche.

      Das von der jungen Erbherrin erwähnte Frühstück fand nicht Statt. Das von beiden Seiten erhoffte Wiedersehen unterblieb.

      Die Erbherrin sah ihren Lebensretter nicht wieder. Ludwig begab sich in seinem Zimmer zur Ruhe. Holde Bilder der Schönheit und Anmuth umgaukelten ihn; das Feuer des alten auserlesenen Weines erregte ihm mächtig die Gluth der Sinne. Wie hätte er sogleich schlafen können nach Allem, was er vom gestrigen bis zum heutigen Abend erlebt! Fort mußte er doch; das fühlte er und wußte es gewiß, daß der Erbherr ihn nicht halten werde, aber wie ungern schied er nun!

      Endlich


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