Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein
Читать онлайн книгу.des Schlummernden – er hielt wieder den Falk von Kniphausen in seiner Hand und trank aus goldener Gluth die goldene Fluth. Aber die Rubinen brannten in seiner Hand wie Feuer. Ottoline schmiegte sich zärtlich an ihn an, ihre Kinder waren seine Kinder, sie küßte ihn und sein Herz wallte auf in namenloser Seligkeit. Da erneute der Traum die Scene des gestrigen Abends; der Erbherr stand ihm gegenüber mit der tödtlichen Waffe, und da stand auch wieder die Großmutter, als ob sie lebe, in der Glorie ihres starren Stolzes zwischen ihm und dem Erbherrn. Aber nicht Jenem galt ihr zürnendes, strafendes Wort, nicht vom Glanze ihres alten ahnenreichen Stammes sprach sie, sondern an ihn, an Ludwig richtete sie ernste Worte mit tiefer männlicher Stimme, fast dieselben, die Ludwig schon einmal vernommen hatte. »Halte, mein Kind, dein Herz frei und rein von allen unlauteren Trieben, wenn es dir auch schwer ankommt, und Neigung und Sinne sich dagegen sträuben. Auch du wirst durch die schmerzlichen Flammen der Läuterung gehen – o gehe rein aus ihnen hervor!« – Diese Traumbilder schwanden schnell hinweg, andere traten an deren Stelle; lebensvolles Gewühl der Straßen und Märkte großer Städte, Waffenlärm der Heerlager, berghohe Meereswogen – Stürme und ruhige See – hohe Burgen und Schlösser – stille Thäler – eine Siedlerklause – eine dunkelschattende Kastanienallee – ein einsames Grab, und in dieses Grab hinabgesenkt alles Ringen und Streben, alles Jubeln und Bangen, alles Hoffen und Fürchten eines langen Erdendaseins – all’ sein Glück.
Als der Erbherr mit seiner Gemahlin allein war, und das Kind zur Ruhe gebracht, blickte er Ottoline eigenthümlich forschend an, ob sie den Blick vor ihm nicht senke, ihr Auge nicht in Verwirrung niederschlage; aber sie sah ihn völlig unbefangen an, und fragte nur, da sein finsterer Blick sie erschreckte: Bist du unzufrieden, lieber Wilhelm? Bist du nicht froh?
Ottoline, sprach er dumpf: es wendet mir das Herz im Busen um, zu erleben, was ich heute und gestern erlebt, daß ich kommen muß und sehen, wie meine Gemahlin den geheiligten Pokal mit ihren Lippen einem Menschen kredenzt, der in toller knabenhafter Hitze meine Mannesehre auf das Ehrloseste beleidigt und dessen Hand und Mund jenes Geräth für immer entweiht haben. Ich will den Falk von Kniphausen niemals wiedersehen, ich trank, von dir gezwungen gleichsam, zum letztenmal daraus. Dein überspanntes Gefühl der Dankbarkeit riß dich hin; daß er die scheugewordenen Pferde aufhielt, war seine Schuldigkeit – die Dienerschaft erzählte mir bei meinem Eintritt ins Schloß schon Alles – die Pferde wären auch wohl von selbst vor der Made stehen geblieben. Ein Mann von Ehrgefühl wäre nicht mit in mein Schloß gegangen.
O Gott! so hätte ich gefehlt, daß ich wiederholt in ihn drang, da er sich doch entschieden weigerte! rief Ottoline.
So? er weigerte sich also entschieden – und doch nicht entschieden genug – sein weiches Knaben-Herz vermochte nicht, der süßen Bitte des holden Mundes meiner Gemahlin zu widerstehen?
Der Ton, mit welchem der Erbherr dies sprach, füllte Ottolinens Herz mit Weh, ihre Augen mit Thränen; sie begann leise zu zittern.
Du machtest mich machtlos gegen ihn, fuhr der Erbherr fort, ich konnte das Gastrecht nicht verletzen, konnte ihn nicht, wie er an mir verdient, aus dem Hause werfen – konnte aber auch die Größe seiner That nicht so hoch würdigen, wie du. Er ist ein Mensch ohne Geburt, ohne Ehre – wir können nicht ferner mit ihm verkehren – und da sein Dünkel und sein Bewußtsein, Schoosliebling der Großmutter zu sein, ihm jedenfalls Anlaß sein wird, die Belohnung, die ich ihm bieten könnte, zurückzuweisen, so mag er sich mit der, die du etwas vorschnell, nur von deinem Gefühl und nicht von Ueberlegung geleitet, ihm zu Theil werden ließest, genügen lassen.
Du machst mir Vorwürfe, Wilhelm? klagte mit matter, gebrochener Stimme Ottoline. O verzeihe mir, wenn ich fehlte – ich konnte ja nicht ahnen, daß –
Hätte er dir verhehlt, daß Spannung zwischen uns getreten? fragte forschend der Graf.
Nein, nicht ganz – er deutete mir an, indem er sich weigerte, mich zu begleiten und hier zu weilen, daß du ihm feindlich gesinnt seist, daß eine unbedachte Aeußerung seinerseits gegen dich, die auf Ehre nicht habe verletzen sollen, dich so sehr gegen ihn aufgebracht habe, daß du ihn haßtest, ja verachtest.
Und das Alles hielt dich doch nicht ab, ihn einzuladen? murrte Wilhelm. Es freut mich, daß er dir ehrlich die Wahrheit sagte, wie er es gewesen, der zuerst mich reizte. Wenn er dies fühlte, war es an ihm, zu widerrufen, aber was that er, als ich ihm heftig entgegnete? In wahnsinniger Wuth fluchte er mir, und mit mir dir, unsern Kindern, unserm ganzen Geschlecht. Ewigen Hader, ewige Verwirrung wünschte er auf uns herab! In seinen blindwüthenden Fluch wob er, da er doch wissen mußte, wie sehr ich dich liebe, Trennung ein zwischen dir und mir – zu einer Leibeigenen soll ich herabsteigen, Bastarde, wie er einer ist, soll ich mit ihr zeugen, die ganze Verwandtschaft soll mich hassen und verabscheuen, und in steigender Verarmung soll ich untergehen.
Das war zu viel für ein zartes, noch von keinem unreinen Gedanken beflecktes Herz. O Gott! o Gott! zu viel, zu viel! rief Ottoline, stieß einen leisen Schrei aus, fuhr mit beiden Händen nach ihrem Herzen, in dem sie einen Schmerz fühlte, als wenn Dolche darin wühlten. Ihr vorhiniges Zittern ging in Zuckungen über, sie fiel in heftige Krämpfe – entsetzt sprang der Graf vom Stuhl auf und bog sich über sein schönes leidendes Weib. Mit stieren Zügen, die sich verzerrten, stieß Ottoline den Gemahl von sich, und er eilte außer sich vor Schmerz und neuerregter Wuth zur Klingel, welche die Kammerfrau herbeirief. – Es war sein Werk, Alles was vorging und folgte. –
Am andern Morgen, als Graf Ludwig sich erhoben, trat Jacob, des Erbherrn Jäger, bei ihm ein und meldete, daß sein Gebieter bedauere, das Frühstück nicht mit dem Gast theilen zu können, die Frau Erbherrin sei in der Nacht wahrscheinlich in Folge der gestrigen Aufregung und des Unfalles, tödtlich erkrankt.
Ludwig’s Herzblut stockte bei dieser Nachricht – er vermochte den nichtssagenden Wunsch baldiger Besserung kaum zu stammeln und den Auftrag, daß er sich der regierenden Herrschaft empfehlen lasse. Philipp wurde sofort mit dem Befehle entsendet, zu satteln.
In Gedanken der schmerzlichsten, schwermuthvollsten Art setzte Ludwig seine Reise fort; der Morgen war heute himmlischschön, nebelfrei – ein seltener Tag in dieser Küstengegend – aber Ludwig’s Gemüth erfreute sich heute nicht am schönen Himmel. Mancher Blick flog noch zum Schlosse Kniphausen zurück, dessen hoher Thurm erst dann den Blicken sich entzog, als Ostringfelde fast erreicht ward. Eine Welt voll Schmerz lastete auf des Jünglings Herzen. Das Dörfchen und Gut Ostringfelde liegt am Wege von Jever nach Varel, und der Weg von Kniphausen über Accum stößt dort auf den ersteren. Aus den malerischen Baumgruppen des gutsherrlichen Gartens erhob sich weit sichtbar und die Umgegend weit überschauend eine alte Warte, ein hoher viereckter Thurm, in jener Gegend ein seltener Anblick, denn der burgähnlichen größern Schlösser sind nur wenige im Lande, dessen Charakter so gänzlich abweicht von den an alten Burgen von malerischer Schönheit reichern Gegenden des mittleren Deutschlands.
Ha! der Marienthurm! – unterbrach in der Nähe dieser Warte Ludwig sein bisheriges Schweigen, indem er stillhielt und sich vom Pferde schwang. Halte die Isabella, Philipp! fuhr er fort, indem er den Zügel seines Rosses dem Diener zuwarf. Ich will noch einmal von da droben das Heimathland überschauen, das ich verlasse. Dieser Ort ist mir lieb und wohlbekannt, hier in der Nähe ließ die Großmutter nach Münzen der alten Römer suchen, ich war dabei und es wurden deren auch wirklich gefunden.
Graf Ludwig betrat den Garten; es war ungewehrt, den alten Thurm zu besteigen, die Treppe war noch wohlerhalten, und die Zinne, damals noch nicht, wie in späterer Zeit, von neuerwachter Pietät mit einem Schieferdach gesichert, gestattete dem, welcher Lust hatte, von ihr einen Blick auf die Gefilde Ostfrieslands zu werfen, diesen Genuß in vollem Maaße.
Auch eine versunkene Herrlichkeit! sprach Ludwig zu sich selbst, indem er zunächst hinabblickte in des Thurmes nächste Umgebung: übergrüntes, von Schutt und Erde bedecktes Gemäuer in weiter Ausdehnung und verwilderte Gärten. Hier stand das bewunderte Schloß der Erbtochter Maria, der schönen Gemahlin Edo Wimmekens, wie die Großmutter mir erzählte. Und dieser Thurm ist der einzige sichtbare Rest jenes stolzen Baues, an dessen Stelle und aus dessen Steinen unten das niedrige Herrenhaus, einstockig und einförmig wie alle die Häuser der hiesigen Landgüterbesitzer, erbaut wurde, niederländisch reinlich, wohnlich und bequem