Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein
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Der Mond war prachtvoll in das Meer hinabgesunken, das seine scheidenden Strahlen noch magisch versilberten; kühler wehte die Nachtluft und unruhiger schlugen die Wellen an die Flanken der »vergulden Rose.« Dunkler und tiefer senkte der Fittich der Nacht sich über das Schiff.
Ich denke, es wird Zeit, meine Herren, die Ruhe zu suchen, unterbrach Leonardus seine Erzählung, indem er sein Glas leerte, und obschon seine beiden Zuhörer noch keinesweges ermüdet waren und gern noch länger dem Weitergange der Erzählung mit lauschenden Ohren gefolgt wären, so wollten sie ihm doch nicht durch die Bitte beschwerlich fallen, sie ferner zu unterhalten, und verließen, obschon nur halb befriedigt und auf den Fortgang gespannt, das Verdeck, um sich in ihre Schlafkojen zu begeben.
Lebhaft beschäftigte das Gehörte Ludwig’s Phantasie; sein ganzer Antheil an dem ferneren Ergehen seines neuen Freundes war rege gemacht, und da er sich wohl denken konnte, daß dessen Verhältniß bei der Heimkehr sich sehr eigenthümlich gestalten könne, sann er darüber nach, wie wohl Leonardus handeln müsse und handeln werde, um die Pflicht des Sohnes mit jener des Freundes einer von ihrem Gatten verstoßenen und im Zorn verlassenen jungen und gewiß auch schönen Frau zu vereinen.
Ueber diesem Nachsinnen beschlich den Jüngling sanfter Schlummer, und das Schiff glitt fort und fort, sicher bewacht und richtig gesteuert, in tiefer Stille durch die schweigende Sternennacht.
Als der Morgen klar und schön wie der gestrige Tag anbrach, war vom Bord der »vergulden Rose« aus kein Land mehr zu erblicken. Das Schiff war schon auf der Höhe des Juister Riffs und mußte in einem großen Bogen das nordwestwärts weit in die See vorspringende Borkumer Riff umsegeln, um dann zu wenden und südwestwärts zu steuern. In der Ferne, wo die Küste gedacht werden mußte, stiegen leichte Nebel empor, und als die Sonne aus dem Schooße des ewigen Meeres hehr und groß sich heraufhob, traten nach und nach die größeren Inseln Schirmonikoog und Ameland in Sicht.
Nach einigen abgethanen Geschäften und nachdem auch der junge Graf nicht versäumt hatte, sich von dem Befinden seiner Isabella und Philipp’s Braunen zu überzeugen, die im Packraum der »vergulden Rose« zwar enge aber sicher eingestellt waren, fanden sich die drei Gefährten in der Kajüte des Kapitäns beim Morgentrunke wieder zusammen, und Leonardus ließ sich nicht lange um die Fortsetzung seiner in der Nacht abgebrochenen Erzählung bitten.
Angés, fuhr er fort: war noch von so lieblicher Blüthe, wie ich sie als Jungfrau gesehen, und der Schmerz gab ihrer Schönheit etwas so Rührendes, Heiliges und Verklärtes, daß ich mich mit Zaubergewalt aufs Neue zu ihr hingezogen fühlte. Da, wo ich sie jetzt sprach, konnten wir nicht bleiben, es war in der Flurthüre ihrer Wohnung; Angés versprach mir, nach kurzer Frist wieder herab auf den Spaziergang zu kommen, und bald hing die zarte, bebende Gestalt tief verhüllt an meinem Arme und erzählte mir Alles.
Ihr Mann hatte, von loyalem Gefühl beseelt, die kaufmännische Feder mit den Waffen des Kriegers vertauscht, er war Bürger-Soldat und hatte, vorher ein glatter, gewandter, ja selbst liebenswürdiger junger Mann, sein Wesen schnell in Rauheit umgewandelt, in die er die Eigenschaften eines tüchtigen Soldaten setzte. Mit dem Wachsen seines Bartes wuchs auch sein verändertes Benehmen gegen die junge, zarte Frau, selbst gegen seine Eltern, deren Bildungsgrad, wie auch der seinige, ein hoher nicht war. Dabei vernachlässigte er sein Geschäft und kam schnell zurück. Daß das Kind, die liebe kleine Sophie, das eigene von Angés sei, ließen weder Berthelmy noch dessen Eltern sich ausreden, und die arme Kleine sah sich unzart behandelt, was wiederum dazu beitrug, Angé’s reines Gemüth zu verletzen und zu verbittern. Dabei quälte den Mann eine maßlose Eifersucht, und Angés wurde von ihm und seinen Eltern mit Argusaugen bewacht, jeder Tritt und Schritt beargwohnt, kaum konnte sie sich einen Spaziergang mit dem Kinde vergönnen. Tausendmal bereute Angés ihren ohnehin durch Ueberredung weit mehr als aus Liebe gethanen Schritt, und wünschte die Fessel gebrochen, die sie an ungeliebte Menschen, an eine freudlose Umgebung und in eine Stadt bannte, die noch, wie die ganze Vendée, niedergehalten im dumpfen Glaubensdruck, ihr, der Deutschen, der Protestantin zumal, durchaus keine gemüthliche Ansprache bot.
Und da war ich nun der erste, und wie sie mir unter Zittern gestand, der einzige, mit aller Jugendglut noch immer umfaßte Geliebte, und sie, zurückgestoßen, gemartert, mißhandelt, auf dem Wege zur Verzweiflung. Wohl war mein Brief aus ihrer Heimath an sie gelangt, aber die eifersüchtige Wuth des Mannes ahnete etwas von diesem Briefwechsel; mit der rohen und frechen Hand eines gänzlich bildungslosen Menschen griff er in ihr Allerheiligstes, erbrach das Fach ihres Schreibtisches, fand und las Tagebücher, kleine zärtliche Herzensergießungen, auch meine, nach ihrer Verheirathung mit Berthelmy empfangenen Briefe und tobte, wie ein unsinniger Wüthrich, gebot Angés, sein Haus mit sammt ihrem Kinde zu verlassen und in ihre ferne Heimath zurückzukehren. Wie hätte sie dies selbst mit allen Mitteln jetzt vermocht, wo das ganze Land unter Waffen stand, alle Tage blutige Scharmützel vorfielen und es eine Sache der Unmöglichkeit war, daß ein zartes, schönes und junges Weib mit einem kleinen Kinde durch die von allen Seiten sich nach der Vendée zuwälzenden Heeresmassen gelangen konnte? Und doch wollte Angés fort um jeden Preis.
Schmerzlich bewegte mich ihre rührende Klage, ihr trostloser Zustand und die heftige Bewegung ihres zartbesaiteten Gemüthes, als Angés dies alles mir mittheilte. Ich sann und sann, wie hier zu helfen sei; daß geholfen werden müsse und daß niemand helfen könne und werde als ich, stand klar vor meiner Seele. Nur das wie? der Hülfe war noch die große und verhängnißvolle Frage. Leicht wäre mit ihr allein mir rasche Entfernung möglich gewesen, denn ich konnte mich schnell reisefertig machen, aber das Kind – von dem Kinde wollte und konnte Angés, wie sie so heilig betheuerte, nicht lassen.
Es dunkelte mehr und mehr, wohl nie wandelte auf dem schönen belebten Spaziergang ein Paar, das Andere für ein glückliches Liebespaar halten mochten, in so ernsten, sorgenschweren Gedanken als ich jetzt mit Angés. Die Viertelstunden verrannen, bis Nachts eilf Uhr mußte alles geschehen sein, was geschehen sollte, denn da wurden die Thore geschlossen, die Straßen durch Patrouillen gesäubert, und niemand durfte ohne wichtige Gründe das Haus und noch weniger die Stadt verlassen.
Mir blieb gar keine Wahl, gar kein langes Besinnen; entweder ich liebte Angés noch, blieb ihr ein treuer Freund, bot die Hand zu ihrer Rettung aus wachsender Pein und Verzweiflung ohne zögerndes Bedenken, oder ich war ein unritterlicher Feigling, nicht werth, daß ein so holdes gequältes Geschöpf mich Freund nenne, nicht werth eines so hohen unbegrenzten Vertrauens; daher sprach ich, wieder mit Angés nach ihrem Wohnhause zugehend: Hole das Kind, nimm was du an Schmuck und Baarschaft besitzest mit, und außerdem belade dich mit nichts. Ich bleibe hier und harre deiner, dann folgst du mir auf gutes Glück.
Es ging alles gut; die Eltern Berthelmy’s, betagte Leute, hatten sich bereits zur Ruhe begeben; er blieb diese Nacht auf Wache; Angés nahm, was sie ihr Eigenthum nennen konnte, that als wolle sie das Kind, das schon schläfrig war, zur Ruhe bringen, kleidete dasselbe aber recht warm an, anstatt es auszukleiden, und kam nach Verlauf einer Viertelstunde mit ihm zu mir herab, der ich in peinlichen und angstvollen Gefühlen ihrer auf der Straße harrte. Die Kleine war still, die süße Stimme ihrer vermeinten Mutter hatte sie leicht beschwichtigt, ich nahm die leichte Last auf meine Arme, und so schritten wir nach meinem Gasthaus, das nicht fern vom le Greffier gelegen war. Meine Pferde hatten geruht, die Nacht war mondhell, ich ließ den Kutscher anspannen, und sagte dem Wirth, daß eine nahe Verwandte von mir mich begleiten werde. Einige Goldstücke über den Betrag meiner Rechnung bewogen meinen gefälligen Wirth, sich zur Mairie zu begeben, um für seine Verwandte, welche mit ihrem Bruder, der aus Amsterdam gekommen sei, sie abzuholen, und mit ihrem Kinde nach Holland zu reisen gedenke, einen Paß zu erbitten, und unser Abenteuer lief ganz glücklich ab; wir waren, als die Mitternachtglocken in le Mans anschlugen, schon weit aus dem Weichbild der uralten Bischofstadt und Angés pries den Himmel und mich unter Freudenthränen für ihre Rettung. Ich hätte unter keiner Bedingung eine solche That, als die meine war, die förmliche Entführung einer verheiratheten Frau, unter andern Verhältnissen begehen mögen, aber hier entschuldigte mich mein Gewissen, denn sie war aufgegeben und hatte gegen das Kind Pflichten übernommen, die ihr geboten, es nicht in der bisherigen Umgebung zu lassen.