Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
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Familienleben und teilt sich ehrlich in die Sorge der Ehe. Hier erkennen wir auch, dass die Geschlechtsliebe nicht immer ein Produkt des Zeugungsinstinktes ist. Das Zusammenwirken von Männchen und Weibchen beim Bau des Nestes ist vielmehr der Ausdruck eines Gefühles von Hilffertigkeit, und unzweifelhaft ist diese nämliche Regung im Spiele, wenn wir das Männchen der Reihe nach die Sorge des Brütens übernehmen sehen, denn vor dem Aufpicken der Eier kann doch von Elternliebe nicht die Rede sein. Und das nämliche gilt auch von vielen niederen Tierarten. Wie sorgt und müht sich z. B. das Weibchen einer Mauerbiene, eines Blattschneiders, einer Lehmwespe oder dergl. den ganzen Sommer ab, um den Brutbau herzustellen und Futter herbeizuschaffen! Selten nur, wie bei den Totengräbern, den Pillendrehern, unterzieht sich auch das Männchen diesen Arbeiten. Nur bei den Laufvögeln findet ein interessantes Gegenstück zu der sonst üblichen Vorsorge der Mutter statt. Beim Strauss und Nandu ist es nämlich das Männchen, welches die Eier bebrütet, die Jungen füttert, ausführt, verteidigt und so bei ihnen anstatt der sorglosen Ehegenossin Mutterstelle vertritt. Dies sind aber seltene Ausnahmen.
Zu diesen gehört unter den Fischen der wohlbekannte Stichling (Gasterosteus pungitus), unser kleinster Süsswasserfisch, welcher, obwohl er in Polygamie lebt, als Gatte und Vater eine solche Liebe und Sorgfalt an den Tag legt, dass Ludwig Büchner ihn gradezu als Muster eines guten Familienvaters hinstellt. Man kann sein Treiben in unseren durchsichtigen Aquarien leicht beobachten. Zuerst baut er ein wunderbares kleines Nest aus Grashalmen und andern Körpern, die er mit Schleim verkittet. Ist er damit fertig, so ladet er ein vorüberschwimmendes Weibchen ein, das Nest in Augenschein zu nehmen, das er für dieses gebaut hat, indem er fortwährend flink um dasselbe herum und zum Nest hin und zurück schiesst. Und geht sie nicht willig, so stösst er sie mit der Schnauze an und sucht sie mit den Seitenstacheln hineinzutreiben, um dort den Laich abzulegen. So führt er nach und nach eine ganze Reihe Weibchen zum Neste, die sich nach der Eierablage auf der entgegengesetzten Seite wieder hinausbohren. Nach jedem Weibchen geht der Stichling selbst hinein, um den Laich zu befruchten. Ist dies geschehen, so schliesst der vorsorgliche Vater die eine Öffnung und bleibt wochenlang vor der andern Öffnung in senkrechter Stellung stehen, indem er regelmässig die Flossen bewegt, um eine der Erhaltung und Ausbrütung der Eier günstige Wasserströmung im Innern des Nestes zu unterhalten. Jede feindliche Annäherung wird mit Wut abgewiesen. Aber die Vatersorgen beginnen erst recht, wenn die Jungen ausgeschlüpft sind. Er bewacht und behütet dieselben mit musterhafter Sorgfalt, führt sie zum Neste zurück, wenn sie sich zu weit entfernt haben, und füttert sie wie ein Vogel seine Jungen. Dank solcher Fürsorge ist der Stichling so fruchtbar, dass man die Äcker mit diesen Fischchen düngt. Auch bei andern Fischarten findet man ähnliche Vaterliebe. Bei dem brasilianischen Pater familias (Familienvater) ist dieselbe sogar derart entwickelt, dass er ein völliges „Männerkindbett“ durchmacht. Er treibt nämlich die Sorgfalt für seine Jungen so weit, dass er sie in seinen eigenen Kiemen zur Ausbrütung bringt und beherbergt. Er verschluckt anscheinend die Eier, aber nur um sie durch eine eigentümliche Atembewegung in die Kiemhöhle zu pressen. Hier durch den elastischen Druck der Kiemenblättchen festgehalten, werden die Eier ausgebrütet. Die Jungen schlüpfen aus, wachsen rasch und wandern nun, da sie in dem beengten Geburtsort nicht mehr Platz finden, in den Mund des Vaters, wo sie alle mit nach der Mundöffnung gerichtetem Kopfe verbleiben. Der gutmütige Alte bekommt dadurch ein höchst groteskes Aussehen. Mit weit aufgesperrtem Maule und dickgeschwollenen Wangen steht er im Wasser, bis er endlich seine selbständig gewordene Brut los wird.
Im allgemeinen wird man behaupten dürfen, dass die Fürsorge für die Brut bei den Tiergeschlechtern wie beim Menschen zuerst beim Weibchen erwacht, und dass die Zärtlichkeit der weiblichen Individuen auch bei den wildesten Tieren noch mehr als gegen den Gatten sich im Benehmen gegen die Jungen ausspricht, welche die Mutter oft sogar gegen die Wildheit des eigenen Vaters verteidigen muss. Bei den Säugern ist es immer das Weibchen, welchem das Aufbringen der Nachkommenschaft obliegt und das dieses Geschäft mit Hingebung und Liebe besorgt. Die Liebe der Affenmutter ist geradezu sprichwörtlich geworden. Allein selbst da ist die Familie keine dauernde, sondern bloss eine vorübergehende, zeitweilige, insofern als sogar bei den am höchsten entwickelten Arten die mütterlichen Gefühle erlöschen, sobald die Jungen herangewachsen sind. Allerdings ist bei manchen Tieren das Bedürfnis der Mutterliebe so gross, dass wenn sie selbst keine Jungen haben, sie andere übernehmen, sogar sich solcher zu bemächtigen suchen. Dies ist dann sicherlich der Ausfluss einer edleren Empfindung, welche mit dem Instinkt nichts mehr zu schaffen hat. Die Henne kennt ihre Küchlein und verjagt die fremden, die sich etwa unter ihre Schar mischen wollten. Ein Überrest dieser Exklusivität tritt auch bei den Menschen und zwar in jenen Fällen zu Tage, wo die Stiefmutter die Kinder aus erster Ehe lieblos behandelt. Gleichwohl nimmt diese Eigenschaft an Härte ab, je höher man die Stufenleiter der Säugetiere emporsteigt: die Kuh verstösst das Kalb einer andern, das Elefantenweibchen hingegen lässt willig was immer für ein Junges aus dem Trupp an sich saugen. Wenn eine Katze beim Wurfe zu Grunde geht, fällt es nicht schwer, ihre verwaisten Jungen von einer noch säugenden Hündin ernähren und aufziehen zu lassen und umgekehrt. Houzeau berichtet diesbezüglich einen, seiner eigenen Erfahrung entnommenen Fall, der deutlich darthut, dass bei der Katze sowohl wie bei der Frau die Liebe zu den Jungen nicht von der Thatsache des Gebärens abhängt und folglich nicht schlechtweg die Konsequenz eines physiologischen Zustandes ist. Vater- und Kindesliebe haben gleichfalls mit dem Instinkt der Fortpflanzung nichts gemein, trotzdem findet man von beiden, wenn auch nicht so häufig, Beispiele im Tierreiche, zumal unter den Vögeln. Unter den Säugern ist Kindesliebe eine seltene Ausnahme. Doch erzählt Harris von einem jungen, kaum meterhohen afrikanischen Elefanten, der die tiefste Trauer an den Tag legte, als seine Mutter, von einem Schusse getroffen, niedergestürzt war; er lief beständig jammernd um sie herum und versuchte, obgleich vergebens, ihren schweren Körper mit seinem kleinen Rüssel wiederaufzurichten.[29] Ebenso wenig macht sich die Vaterliebe bei den Säugern bemerklich und auch die Völkerkunde versieht uns, wie ich später ausführlicher darthun werde, mit einer genügenden Menge von Beispielen, welche beweisen, dass das Gefühl der Vaterliebe dem Menschen keineswegs angeboren ist. Bei den Tieren ist dasselbe so rudimentär, dass oft der Vater die eigenen Kinder verspeist. Immer wiederkehrt die fast die Regel bildende Erscheinung ärgster Belastung des Weibchens und gänzlicher Sorglosigkeit des Männchens, nur ganz flüchtigen Verkehrs zwischen den beiden Geschlechtern, der bald wieder völliger Gleichgültigkeit weicht und einen krassen Ausdruck findet in der Lieblosigkeit der stärkeren Spinnenweibchen, die ihren schwächeren Ehegatten gemütlich aufzehren.
So ist denn bei den Säugern allgemein das Weibchen der Stamm der zeitweiligen Tierfamilie; um die Mutter gruppieren sich die Jungen. Selbst dann, wenn das Männchen in dieser Gesellschaft ausharrt, geschieht es weit eher aus Anhänglichkeit an das Weibchen, denn aus Neigung zu den Jungen. Das Matriarchat, bei niederen Menschenstämmen so häufig, ist im Keime schon in der Tierwelt vorhanden. Sehr treffend und wahr sagt daher der Mailänder Gelehrte Vignoli: „Die Gemeinschaft der Familie, in der der Mensch sich ursprünglich befindet, ist nicht eine wesentlich menschliche, sondern auch tierische Thatsache, da jene Weise gesellschaftlichen Zusammenlebens sich bei dem grösseren Teile der Tiere und immer bei den höheren Tieren vorfindet. Die Notwendigkeit der Aufziehung der Jungen ist es, die die Eltern vereint und ihr Leben für eine kürzere oder längere Periode zu einem gemeinsamen macht: ja in einigen Spezies setzt sich diese Ehe der Liebe und Sorgen die ganze Dauer ihrer Existenz hindurch fort. Demnach ist das Faktum familienhafter Geselligkeit nicht ein ausschliessliches Produkt der Menschheit, sondern der allgemeinen Gesetze des ganzen Tierlebens auf der Erde. Man behaupte nicht, dass im Menschen die Zuneigung zwischen den beiden Geschlechtern und zu den Nachkommen, die von ihnen geboren werden, lebhafter, intensiver und beständiger sei; denn mit gleicher Stärke und bisweilen auch Ausdauer zeigt sie sich auch bei den Tieren zu einander und zu den Jungen. Der Mensch also liebt, vereinigt sich sinnlich und lebt gesellig in einer ursprünglichen Gemeinschaft der Familie allein weil er Tier ist und zwar höheres Tier in der organischen Reihe derselben. Die Thatsache der Familie vollzieht sich also nach der Notwendigkeit kosmischer Gesetze, die einen grossen Teil der wieder erzeugenden und sozialen Thätigkeit des Tierreiches beherrschen.“[30]