Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
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suchen sind. Zumeist sind es die Berührungen mit niedrigeren Kulturelementen, wie sie die Blutmischungen mit roherem Volkstume am heftigsten mit sich brachten, welche den Verfall bewirken. Die Völker gingen ihrer eigenen ethnischen Reinheit verlustig und zwar in immer fortschreitendem Masse, bis sie sich endlich völlig verflüchtigten und oft nichts als ihren Namen der Nachwelt hinterliessen. So sind sie denn auch als Volksindividuen verschwunden, die Ägypter, Perser, Hellenen und Römer des Altertums und wie sonst die übrigen Kulturvölker hiessen, wenn nicht vollkommen hinweggespült und verschlungen von der barbarischen Flut, so doch zersetzt, umgestaltet fast zum Nimmererkennen oder in ihren schwachen Resten, wie etwa die Kopten, den Einwirkungen einer erdrückenden Mehrheit preisgegeben. Eine tiefgehende Umgestaltung verursachen unbestritten auch die Berührungen der hochgestiegenen Weissen Europas mit den Farbigen anderer Erdteile, und diese Umgestaltungen sind desto nachhaltiger, je andauernder sie sind. Von ihren Zuständen vor der Bekanntschaft mit den Europäern sind diese Völkerschaften ohne alle Frage „entartet“, wenn man damit vermehrten Kulturgewinn bezeichnen darf. Denn wie grauenhaft und empörend ihre Misshandlungen sein und gewesen sein mögen, nirgends auf Erden lässt sich der Nachweis führen, dass die heute lebenden Vertreter dieser Völker auf einer niedrigeren Stufe der Gesamtkultur stünden, denn vor diesen Berührungen. Allemal noch ward die Einbusse in den sittlichen Eigenschaften durch Erweiterung des geistigen Horizonts, durch die Entwicklung der jüngeren Instinkte grösserer Lebensfürsorge und die Häufung materieller Güter schliesslich mehr denn aufgewogen. Nach absteigender wie nach aufsteigender Richtung lassen sich also die Ursachen der jeweiligen „Entartung“ erkennen, so dass nicht das leiseste Recht vorliegt, eine solche dort vorauszusetzen, wo sich keine Spur einer Begründung dafür beibringen lässt. Wir müssen daher den im Glaubenstaumel befangenen Gegnern den Nachweis thatsächlich erfolgter Entartung geschichtloser und gar vorgeschichtlicher Völker zuschieben und, so lange dieser nicht erbracht ist, an der Meinung festhalten, dass wir von Barbaren abstammen.[37]
Ehe man der Lehre vom „Sündenfalle“ beipflichten und unsere Kulturarmen als durchweg Gesunkene betrachten könnte, müsste man auch genau den „kulturlichen Urbesitz“, die Gesittungsstufe kennen, von welcher sie auf ihren späteren Zustand herabgesunken sind. Welches dieser Urbesitz, diese Urgesittung gewesen, kann ehrlich niemand sagen. Die Glaubensstarken allerdings lassen unter deren Schätzen Religion und Sittenreinheit glänzen, womit freilich der Urbesitz nicht erschöpft sein kann, weil die beiden genannten Eigenschaften, so wichtig sie sind, nicht ausreichen, um durch sie das Aufsteigen zur geschichtlichen Kultur zu erklären. Aber selbst diese unzulänglichen Güter, woher weiss man denn, dass sie bestanden? Wo liegen die Beweise für eine einst „bessere“ Zeit? Wissenschaftlich sind deren keine vorhanden, es kann also die angedeutete Annahme nur Glaubenssache sein. Zu wissen, was „im Plane der göttlichen Weltregierung“ liegt, ist ein ausschliessliches Vorrecht gläubiger Gemüter. Die Wissenschaft, welche in ihrer nüchternen Betrachtungsweise Gut und Böse mit gleichem Interesse behandelt, kennt solche Unbescheidenheiten nicht. Sie behauptet nicht zu wissen, was in der Urzeit war und wofür sie über keine Beweise verfügt; wenn sie mit der Fackel des Erkannten das vorgeschichtliche Dunkel zu erleuchten versucht, so spricht sie doch nur Vermutungen aus, die sie durch den natürlichen Zusammenhang der Dinge zu Wahrscheinlichkeiten zu erheben sich bestrebt. Weiter geht ihr Verlangen nicht und kann auch nicht gehen, weil dies vollständig genügt. Es ist demnach eine unbedingt zurückzuweisende Unterstellung, dass die „gelehrte Dichtung“, wie ein Virchow die Darstellung der Urgeschichte im Lichte der Entwicklungslehre zu bezeichnen beliebte,[38] als wissenschaftlich gesicherte Wahrheit verkündet werde.[39] Vielmehr betont jeder aufrichtige und gewissenhafte Forscher, dass er über die Grenzen des positiv Erkannten nur Hypothesen vortragen könne; aber Hypothesen aufzustellen, ist ein unantastbares Recht der Wissenschaft, sie zu stützen und zu begründen ihre Pflicht, und wenn es ihr gelingt, eine derselben zu bis an die Grenzen der Gewissheit streifender Wahrscheinlichkeit zu erheben, so mag dies allerdings vielen sehr unbequem sein, doch trifft die Forschung dafür wahrlich keine Schuld.
Es ist ein verdienstvolles Unternehmen die Kulturfähigkeit des Menschen, die geistige und seelische Ebenbürtigkeit aller Völker den Zweiflern gegenüber zu verfechten, die indes keineswegs in den Reihen der Anhänger Darwins zu suchen sind. An der Einheit des Menschengeschlechts festhaltend, geben diese vielmehr willig zu, dass in allen Menschen die Anlagen zu höherer Gesittung schlummern, und sie müssen dies folgerichtig schon deshalb einräumen, weil sie eben schon im Tiere so manche edlere Anlage erkennen wollen. Ohne dass deshalb die Schranke zwischen Mensch und Tier falle, ist es indes nicht weniger wahr, was ja auch die Dogmatiker anerkennen, dass je geringer der Grad der Kultur, um so mehr der Habitus in vielen Beziehungen dem tierischen sich nähere. „Wie die Domestikation auf das Tier einwirkt, so die Zivilisation auf den Menschen,“[40] die, wie ich seinerzeit bemerkte, nichts anderes ist als die „Zähmung“ der ursprünglichen Wildheit. Man kann sich nun noch so viele Mühe geben darzuthun, dass die Schreckbilder der Menschheit, als welche man abwechselnd Australier, Tasmanier, Eskimo, Botokuden, Feuerländer, Hottentotten und Buschmänner, Weddah und Minkopie hinstellen wollte, weit besser seien als ihr Ruf, dass ihr leibliches Aussehen nicht so sehr abweiche von jenem der Kulturmenschen, die Thatsache ist nicht hinwegzuräumen, dass es unter ihnen ausserordentlich hässliche Exemplare der Gattung Homo giebt, und dass wenn es unrichtig sei, sich nach diesen einen Begriff von dem ganzen Stamme zu machen, ihr Vorhandensein allein genügt um zu zeigen, wie weit der Mensch hinter der im Kulturbereiche erlangten körperlichen Beschaffenheit zurückbleiben mag. Die beliebte Ausflucht, dass es sich da um „die verkümmertsten und verkommensten Exemplare unserer Gattung handle, wie sie in den elendesten Winkeln unseres Planeten hausen“,[41] ist nicht stichhaltig, denn mehrere der Genannten bewohnen geradezu begünstigte Erdräume, wie die Tasmanier, die Botokuden und Weddah. Wenn auch gründlicheres Studium zu der sicheren Erkenntnis hingeleitet hat, dass die Menschen auf Grund ihrer körperlichen Eigentümlichkeiten keineswegs als besondere Arten anzusehen sind, so ist die Natur doch stets bestrebt oder bereit, nicht bloss im Tierreiche, sondern auch in unserer Gattung Spielarten zu erzeugen. Solche Spielarten sind die verschiedenen Menschenrassen. Wie alles in der Natur sind auch sie nichts Starres, Abgeschlossenes, sondern in stetem Flusse begriffen, daher zwischen ihnen unzählige Übergänge stattfinden. Die untersten dieser Stufen als „Affenmenschen“ zu beanspruchen, ist noch keinem besonnenen Forscher beigefallen, die Behauptung, dass dies geschähe, aber eine bösliche Unterschiebung. Niemand aber wird gleichwohl verkennen wollen, welche mächtigen Unterschiede zwischen den beiden äussersten Flügeln menschlicher Leibesbildung annoch gelegen sind und wie unbestreitbar diese beiden Flügel durchschnittlich mit den niedrigsten und höchsten Gesittungsstaffeln zusammenfallen. Reichen diese Unterschiede, die sich nicht allein in der Grösse und Schwere des Gehirnes und der edlen Form der Schädelkapsel, sondern auch im übrigen Gliederbau, in der Länge und Gefälligkeit der Arme und Beine am Lebenden wie am Skelett, an der Geräumigkeit und Stellung des Beckens u. s. w. in aufsteigender Stufenfolge bekunden, nicht aus, um die Gattungseinheit aufzuheben, so berechtigen sie doch vollauf, von höher und niedriger organisierten Spielarten und Individuen zu sprechen. Es ist dann nur ein logischer Schluss, wenn diese Menschen niedrigsten, unvollkommensten Schlages als die unentwickeltsten aufgefasst werden, d. h. als solche, welche — ohne die zwischen ihnen und den höchsten Tierspezies aufgerichteten Schranken zu übersehen — doch eben diesen tierischen Lebewesen am nächsten stehen.
Was vom Körper, gilt auch in seelischer und geistiger Beziehung. Die Horden von Jammergestalten mit dünnen, schwächlichen Gliedmassen, eckig, mager, abgezehrt bis auf das Knochengerüst oder mit ungewöhnlicher Neigung zur Fettbildung, wieder andere von hässlichem Aussehen, huldigen auch unbeschreiblich rohen, oft tierischen Gewohnheiten. Dr. Schneider sogar bequemt sich zu dem wichtigen Zugeständnisse: „Cibus et venerea, wie der hl. Thomas von Aquin die Zwecke des Tierischen im Menschen nennt, sind bei allen Naturvölkern die herrschenden, bei manchen