Ein Winter auf Mallorca. George Sand

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Ein Winter auf Mallorca - George Sand


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Lügen, aber stets prägt sie jeden Schritt des menschlichen Wesens, sie schlägt jede Stunde des Lebens in der Gemeinschaft, und ist das nicht etwas wirklich Großes, und dies trotz aller Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit, die damit einhergeht?

      Und obwohl dies unumgänglich für die Gesamtheit unserer Gedanken und Taten ist, ist es nicht auch schrecklich im Einzelnen zu sehen, dass um uns ein Kampf herrscht, dass Wochen und Monate mit Beleidigungen und Drohungen ins Land gehen, ohne dass eine einzige Frage wirklich geklärt oder ein spürbarer Fortschritt erzielt worden wäre? Und während dieses Wartens, das umso länger erscheint, als man uns über jede einzelne Phase erschöpfend informiert, überkommt uns da nicht manchmal die Lust, uns Künstler, die wir das Steuer nicht in der Hand halten, unter Deck zu gehen und dort zu schlafen, und erst nach einigen Jahren wieder aufzuwachen, wenn neues Land in Sicht ist, auf das wir zugefahren werden?

      Ja, wahrlich, wenn dem so sein könnte, wenn wir uns dem Leben in der Gemeinschaft entziehen könnten, uns von jedem Kontakt mit der Politik eine Zeitlang fernhalten könnten, wir wären bei unserer Rückkehr überrascht, wie viele Fortschritte in unserer Abwesenheit erzielt worden sind. Aber solches ist uns nicht vergönnt; und wenn wir den Ort der Aktion verlassen, um Vergessen und Erholung bei Völkern zu suchen, deren Lebensrhythmus langsamer als unserer ist und deren Geist weniger scharf arbeitet, empfinden wir ein vorhersehbares Leiden und bedauern, die Gegenwart zugunsten der Vergangenheit verlassen zu haben, die Lebenden zugunsten der Toten.

      Dies ist, einfach dargelegt, was den Text meiner Erzählung ausmacht und weswegen ich mich der Mühe des Schreibens unterziehe, obwohl es unangenehm ist, und obwohl ich mir zu Beginn vorgenommen hatte, mich weitestgehend persönlicher Eindrücke zu enthalten; nun erscheint mir diese Faulheit als Feigheit, und ich ändere meine Meinung.

      V

      Wir kamen im November 1838 in Palma an, und es herrschte eine Hitze, die mit unserer im Juni zu vergleichen ist. Wir hatten Paris vierzehn Tage zuvor bei äußerst kaltem Wetter verlassen, und es bereitete uns großes Vergnügen, nachdem wir die ersten Vorboten des Winters gespürt hatten, diesen Feind hinter uns zu lassen. Zu diesem Vergnügen kam jenes, eine sehr typische Stadt durchwandern zu können, die mehrere erstklassige Monumente der Schönheit oder der Seltenheit besitzt.

      Aber bald bemächtigte die Schwierigkeit, Fuß zu fassen, sich unser, und wir sahen ein, dass die Spanier, die uns Mallorca als das gastfreundlichste aller Länder und voller Inspirationsquellen gerühmt hatten, weitestgehend Opfer ihrer Illusionen geworden waren, so wie wir. In einer Gegend, die so nah bei den großen Zivilisationen Europas liegt, hätten wir kaum damit gerechnet, nicht eine einzige Herberge zu finden. Diese Unmöglichkeit für den Reisenden abzusteigen, hätte uns sofort einsehen lassen sollen, was Mallorca im Vergleich zur restlichen Welt wirklich war, und wir hätten stehenden Fußes nach Barcelona umkehren sollen, wo es zumindest die üble Herberge mit dem emphatischen Namen »Das Hotel der Vier Nationen« gab.

      In Palma muss man Beziehungen haben und mindestens zwanzig wichtigen Personen angekündigt worden sein sowie seit mehreren Monaten erwartet, um darauf hoffen zu dürfen, nicht auf freiem Felde schlafen zu müssen. Das für uns einzig Erreichbare waren zwei kleine möblierte Zimmer, oder vielmehr unmöblierte, die sich an einem unheimlichen Ort befanden, wo Fremde sich glücklich schätzen können, jeder ein Feldbett vorzufinden, das eine Matratze hat, die so weich und gemütlich wie eine Schiefertafel ist, einen mit Stroh bespannten Stuhl und als Nahrung Pfeffer und Knoblauch, soviel man möchte.

      Es bedurfte weniger als einer Stunde, um uns darüber klar zu werden, dass, wenn wir uns über diesen Empfang nicht begeistert zeigten, man uns schief angucken, für impertinent und planlos halten würde oder wir zumindest so mitleidsvoll wie Verrückte betrachtet werden würden. Schande über den, der sich in Spanien nicht an allem erfreut! Wenn Sie auch nur ganz leicht die Miene verziehen, weil Sie Würmer im Bett oder Skorpione in der Suppe finden, ziehen Sie sich die tiefste Verachtung zu und rufen allgemeine Empörung hervor. Daher hüteten wir uns tunlichst, uns zu beschweren, und verstanden nach und nach, was es mit dieser Armseligkeit und dem offensichtlichen Mangel an Gastfreundschaft auf sich hatte.

      Abgesehen von der Antriebslosigkeit und Trägheit der Mallorquiner hatte der Bürgerkrieg, der Spanien seit so Langem erschütterte, damals jeden Austausch zwischen der Bevölkerung der Insel und derjenigen des Kontinents unterdrückt. Mallorca war für so viele Spanier, wie es irgend aufnehmen konnte, eine Zufluchtsstätte geworden, und die Einheimischen blieben in ihren Häusern und vermieden es, auf dem Festland Abenteuer suchen zu gehen und Schläge einstecken zu müssen.

      Hinzu kommt, dass es keinerlei Industrie gibt, und der horrende Zoll, der auf jeden Gegenstand, der das tägliche Leben angenehmer macht, erhoben wurde. Palma ist auf eine bestimmte Anzahl von Einwohnern ausgerichtet. Steigt die Bevölkerungszahl, rückt man ein bisschen näher zusammen, neue Häuser wurden kaum gebaut. In den bestehenden Wohnungen wurde nichts erneuert. Mit Ausnahme von zwei oder drei Familien war das Mobiliar seit zweihundert Jahren so gut wie nie ausgewechselt worden. Man kennt hier weder die Welt der Mode noch das Bedürfnis nach Luxus oder nach den Annehmlichkeiten des Lebens. Einerseits herrscht Apathie, andererseits bestimmen Schwierigkeiten die Geschicke des Landes/der Menschen, daher bleibt alles beim Alten. Man verfügt über das unbedingt Notwendige, man besitzt nichts Überflüssiges. Darum spielt sich alle Gastfreundlichkeit nur in Worten ab.

      Auf Mallorca wie in ganz Spanien gibt es einen typischen Satz, mit dem vermieden wird, etwas zu verleihen. Er besteht darin, alles anzubieten: das Haus und alles, was es enthält, steht Ihnen zur Verfügung. Sie können kein Bild anschauen, keinen Stoff berühren, keinen Stuhl anheben, ohne dass man ihnen sagt, und dies mit vollkommener Höflichkeit: Es steht zu Ihrer Verfügung. Hüten Sie sich jedoch, irgendetwas, und sei es auch nur eine Nadel, anzunehmen, dies wäre von unerhörter Grobschlächtigkeit.

      Ich habe bei meiner Ankunft in Palma eine solche Unverschämtheit begangen, und ich glaube, dass mir hierfür in den Augen des Grafen**** niemals vergeben werden kann. Ich war diesem jungen Salonlöwen aus Palma wärmstens empfohlen worden und glaubte, seinen Wagen für eine Spazierfahrt annehmen zu können. Er war mir auf so liebenswürdige Art und Weise angeboten worden! Aber am nächsten Tag gab mir ein kurzer Brief zu verstehen, dass ich gegen sämtliche Sitten verstoßen hatte, und ich beeilte mich, den Wagen zurückzuschicken, ohne ihn genutzt zu haben.

      Allerdings habe ich auch Ausnahmen von dieser Regel angetroffen; dabei handelte es sich aber um Personen, die gereist waren, die die Welt gut kannten und sozusagen in allen Ländern zu Hause waren. Selbst wenn andere ebenfalls aus Herzensgüte ihre Freundlichkeit und Offenheit unter Beweis stellen wollten, hätte uns niemand auch nur ein Eckchen seines Hauses zur Verfügung stellen können, ohne sich Zwänge und Unannehmlichkeiten aufzuerlegen, was in Kauf zu nehmen unsererseits wirklich unverschämt gewesen wäre (es ist unverzichtbar, das zu betonen, um zu verdeutlichen, wie die Zölle und die fehlende Industrie diesem Land geschadet haben).

      Als wir versuchten, Unterkunft zu finden, kamen wir nicht umhin, diese Widrigkeiten zu verinnerlichen. Es war unmöglich, in der ganzen Stadt auch nur eine bewohnbare Bleibe zu finden.

      Eine Wohnung in Palma verfügt über vier absolut nackte Wände und besitzt weder Fenster noch Türen. In den meisten Bürgerhäusern gibt es keine Fenster, und wenn man sich diese Annehmlichkeit besorgen möchte, die im Winter unabdingbar ist, muss man zunächst Fensterrahmen herstellen lassen. Jeder Mieter nimmt also bei jedem Umzug (Umzüge finden selten statt) seine Fenster mit, wie auch seine Schlösser und die Türangeln. Sein Nachfolger muss zunächst alles ersetzen, es sei denn, er möchte, und das ist in Palma durchaus verbreitet, dem Wind ausgesetzt sein.

      Es dauert aber mindestens sechs Monate, um lediglich Türen und Fenster machen zu lassen, die Tische, die Stühle, eigentlich alles, so einfach die Möblierung auch sein mag. Es gibt nur wenige Handwerker, sie arbeiten langsam, haben kaum Werkzeug und Material. Es gibt immer einen Grund, weswegen der Mallorquiner sich nicht beeilt. Das Leben ist so lang! Man muss Franzose sein, das heißt extravagant und hektisch, um zu verlangen, dass etwas sofort erledigt werden soll. Und wenn Sie schon sechs Monate gewartet haben, warum sollten Sie nicht sechs weitere Monate warten? Und wenn es Ihnen hierzulande nicht gefällt, warum bleiben


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