Historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski + Auf dem Felde der Ehre. Henryk Sienkiewicz
Читать онлайн книгу.dienen pflegt. Obgleich nun das ganze Denken und Sinnen Mackos auf den für den nächsten Morgen geplanten Aufbruch und auf die Weiterreise gerichtet war, bemerkte er doch dies alles sehr wohl und lobte den Böhmen ob seiner guten Sitten, die er sich wohl, wie der alte Kämpe meinte, mit Zbyszko an dem masovischen Hofe erworben habe.
»Hei, Zbyszko,« fügte Macko gleich darauf zu Jagienka gewendet, hinzu: »Hei, Zbyszko, der wäre sogar einem Könige gegenüber an seinem Platze.«
Als man sich bald nach dem Mahle trennte, küßte der Knappe Jagienkas Hand und führte dann auch die Hand Anielkas an die Lippen, indem er sagte: »Glaubt mir, Ihr habt mich nicht zu fürchten und dürft Euch auch vor andern nicht fürchten, denn wenn ich Euch nahe bin, schütze ich Euch vor jedem Ungemach.«
Gleich darauf legten sich die Männer in der Vorderstube zur Ruhe, während Jagienka und Anielka in einem Nebengelasse eine breite, mit dem Nötigsten versehene Schlafbank gemeinsam benützten. Bei keiner von beiden wollte sich indessen der Schlummer einstellen, und besonders Anielka bewegte sich beständig unruhig auf dem groben Drillich hin und her. Nach geraumer Zeit näherte daher Jagienka ihr Köpfchen dem der Gefährtin und flüsterte: »Anielka!«
»Ich höre!«
»Mich dünkt, daß Du diesem Böhmen sehr hold bist … Sprich, ist es nicht so?«
Doch es erfolgte keine Antwort, deshalb hub Jagienka von neuem an: »Ich verstehe dies nur zu gut. Drum sprich doch!«
Allein die Tochter der Sieciechowa blieb nach wie vor stumm, preßte aber plötzlich ihre Lippen auf die Wangen der Herrin und küßte sie wieder und wieder.
Da entrangen sich schwere Seufzer dem jungfräulichen Busen Jagienkas und abermals flüsterte sie so leise, daß Anielka die Worte kaum vernehmen konnte: »Ich verstehe dies nur zu gut, ich verstehe dies nur zu gut!«
Viertes Kapitel.
Einer milden, nebligen Nacht folgte ein teils klarer, teils trüber Tag, stürmte es doch zuweilen so heftig, daß ganze Wolkenzüge am Himmel hin und her getrieben wurden. Mit dem Morgengrauen sollte ausgebrochen werden, so lautete der Befehl Mackos. Da plötzlich erklärte der Pechsieder, der die Führung bis zu den Hütten übernommen hatte, Pferde könnten zwar überall durchkommen, die Wagen jedoch müßten an manchen Stellen auseinandergenommen und deren einzelne Stücke von den Leuten mitsamt dem Gepäcke, mit den Gewandungen und mit den Speisevorräten getragen werden. Daß dadurch aber nicht nur eine große Verzögerung entstehen würde, sondern daß hierfür auch eine gewaltige Kraftanstrengung erforderlich wäre, unterlag keinem Zweifel. Allein die abgehärteten, an Mühseligkeiten gewöhnten Männer erklärten, sich willig der schwersten Arbeit unterziehen zu wollen, nur um aus der verrufenen Schenke fortzukommen. In froher Laune ward schließlich der Weg angetreten. Selbst der furchtsame Wit, kühn gemacht durch die Worte und die Anwesenheit des Pechsieders, zeigte keine Angst.
Gleich hinter der Schenke gelangten sie in einen Hochwald, den sie mittelst geschicktem Lenken der Pferde durchzogen, ohne die Wagen auseinanderzunehmen. Zuweilen legte sich der Wind vollständig, zuweilen brach er mit solch unerhörter Gewalt los, peitschte er wie mit Riesenflügeln die Fichtenstämme, daß sich deren Aeste bogen, daß sie krachten, sich gleich Windmühlen hin und her drehten und schließlich brachen. Der Wald seufzte und stöhnte unter diesem wilden Gebrause, und selbst in den Ruhepausen grollte und klagte er, wie aus Schmerz über jene Ausbrüche, über jene Allgewalt. Dann und wann verhüllten schwere Wolken das Tageslicht vollständig, dann und wann fiel ein dichter Regenschauer, mit Schneeflocken vermischt, herab, und es ward so dunkel, als ob es schon Abend sei. War dies aber der Fall, so verlor Wit stets aufs neue den Mut und schrie: »Der Böse ist ergrimmt und wird uns Schlimmes zufügen,« doch niemand achtete dieser Worte. Sogar die ängstliche Anielka nahm sich den Ausruf nicht zu Herzen, war ihr doch Hlawa so nahe, daß sie mit ihrem Steigbügel den seinen berühren konnte, und sah er doch so kühn und verwegen in die Welt, als ob er am liebsten den Teufel selbst zum Kampfe gefordert hätte.
Aus dem Hochwalde kamen sie nach geraumer Zeit in ein mit Gesträuchen bewachsenes Dickicht, in dem das Fahren eine Unmöglichkeit wurde. Die Wagen mußten nun auseinandergenommen werden. Dies geschah indessen ebenso rasch wie geschickt. Die kraftvollen Mannen luden sich hierauf Räder, Deichseln und die andern Teile der Wagen, sowie das Gepäck auf die Schultern und trugen alles auf dem entsetzlich schlechten Wege mehrere hundert Schritte weit. Trotz der größten Anstrengung erreichten sie denn erst spät am Abend die Hütten, wo sie von den Pechsiedern gastlich empfangen wurden. Von ihnen erhielten sie auch die Versicherung, daß sie durch das Höllenthal oder vielmehr, wenn sie sich längs desselben hielten, in die Stadt kommen konnten. Diese Leute, welche beständig in einer Einöde lebten, bekamen zwar nur selten Brot und Mehl zu sehen, Hunger mußten sie indessen niemals leiden, hatten sie doch stets nicht nur Ueberfluß an geräuchertem Fleisch, sondern vornehmlich an geräucherten Pisgurren, Fische, von denen die Wassertümpel wimmelten. Reichlich boten sie ihre Vorräte dar, streckten aber dann immer wieder, um Fladen bittend, die Hände aus. Männer, Weiber und Kinder, alle waren sie geschwärzt von dem Pechrauche. Einer der Männer, ein fast hundertjähriger Greis, erinnerte sich noch der im Jahre 1331 in Leczyca verübten Metzeleien, sowie der völligen Zerstörung dieser Stadt durch die Kreuzritter. Obgleich nun Macko, Hlawa und die beiden Mägdlein fast alles schon von dem Prior in Sieradz gehört hatten, lauschten sie doch voll Spannung den Worten des alten Mannes, in dem, während er am Feuer saß und die Kohlen schürte, die entsetzlichen Erinnerungen aus seiner Jugendzeit wieder aufzuleben schienen. Ja, ähnlich wie in Sieradz waren auch in Leczyca weder Kirchen noch Priester verschont worden, umfloß das Blut der Greise, der Frauen und Kinder stromweise die Füße der Sieger. Ach, diese Kreuzritter! Immer und immer wieder diese Kreuzritter! Mackos und Jagienkas Gedanken weilten unaufhörlich bei Zbyszko, der ja während seines Aufenthaltes bei diesen feindlich gesinnten Deutschen ebenso gefährdet war, wie wenn er in den Rachen eines Wolfes geraten wäre. Auch der Tochter der Sieciechowa wurde es bange ums Herz, lag doch die Möglichkeit vor, unter diese entsetzlichen Ordensritter zu geraten, wenn man die Spuren des Abtes weiter verfolgte.
Der Alte aber begann schließlich von jener Schlacht bei Plowce zu erzählen, durch welche den Einfällen der Kreuzritter ein Ende gemacht worden war. Er selbst hatte, den eisernen Dreschflegel in der Hand, als Knecht unter dem von einer Bauerngemeinde errichteten Fußvolke mitgekämpft. Dies war die Schlacht, in der fast das ganze Geschlecht Mackos den Tod gefunden hatte, deshalb waren diesem auch fast alle Einzelheiten genau bekannt. Nichtsdestoweniger schien es, als ob er etwas ganz Neues erführe, als er der Erzählung des Alten lauschte, der nun von der furchtbaren Niederlage der Deutschen berichtete. Gleichwie der Wirbelsturm in den Saaten wütet, hatten die Schwerter der polnischen Ritter unter den Deutschen gewütet, so unaufhaltsam waren diese von der gewaltigen Faust des Königs Lokietek darnieder geschmettert worden.
»Ja, ja, gar gut erinnere ich mich noch an alles,« erklärte der Greis. »Ich weiß es noch sehr gut, wie sie in das Land einfielen, wie sie Burgen und Schlösser niedergebrannt haben, wie sie die Kinder in der Wiege dahinschlachteten. Doch, traun, der Tag der Vergeltung blieb nicht aus. Hei, das ist eine Schlacht gewesen! Wenn ich jetzt die Augen schließe, sehe ich noch den Kampfplatz deutlich vor mir.«
Und der Alte schloß die Augen und versank, mechanisch die Kohlen in der Asche aufschürend, in sinnendes Schweigen. Aber Jagienka, die voll Spannung der weiteren Erzählung entgegensah, fragte schließlich: »Wie ist es denn auf dem Kampfplatze gewesen?«
»Wie’s auf dem Kampfplatze gewesen ist?« wiederholte der Greis. »Ich erinnere mich an alles noch so gut, als ob ich es heute vor mir sähe. Der größte Teil des Gefildes war mit Gestrüppe bedeckt, rechts aber befanden sich Sümpfe und schmale Streifen von Stoppelfeldern. Nach der Schlacht jedoch war nichts mehr von dem Gestrüppe, nichts mehr von den Sümpfen und nichts mehr von den Stoppelfeldern zu erblicken. Nur Eisen und Eisen lag umher: Schwerter, Streitäxte, Speere und prächtige Rüstungen, eines auf dem andern, gerade als ob jemand die ganze geheiligte Erde damit bedeckt hätte! … Niemals zuvor sah ich so viele erschlagene Geschlechter auf einem