Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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aß, aus­gie­big und fried­lich. Und dann be­schloss er, einen Freund auf­zu­su­chen, der in der Mis­si­ons­s­tra­ße wohn­te.

      Un­ter­wegs, zu­erst in der Frei­en Stra­ße, denn es war noch früh am Mor­gen und Stu­der mach­te einen Um­weg, um sei­nen Freund nicht zu früh auf­zu­stö­ren, schüt­tel­te er den Kopf. Das scha­de­te we­nig, denn es gab kei­ne Passan­ten, die sich über dies Kopf­schüt­teln und das nach­he­ri­ge Selbst­ge­spräch hät­ten auf­hal­ten kön­nen. Wacht­meis­ter Stu­der schüt­tel­te also sei­nen Kopf und mur­mel­te: »Er duzt die En­gel nicht.« Und Pa­ter Matt­hi­as schi­en ein Mann zu sein, der vol­ler Rän­ke war.

      Auf dem Markt­platz schüt­tel­te er noch ein­mal den Kopf und mur­mel­te dann: »Das jun­ge Ja­kob­li lässt den al­ten Ja­kob grü­ßen.« Das Hedy war doch ein merk­wür­di­ges Frau­en­zim­mer!… Nun war es nah an den Fünf­zig, Groß­mut­ter dazu, aber es lieb­te eine ori­gi­nel­le Aus­drucks­wei­se. Frü­her hät­te sich Stu­der dar­über ge­är­gert. Aber nach sie­ben­und­zwan­zig­jäh­ri­ger Ehe wird man nicht mehr taub… s’He­dy!… Die Frau hat­te es nicht im­mer leicht ge­habt. Aber ein tap­fe­rer Kerl war sie… Und nun: eine tap­fe­re Groß­mut­ter…

      Groß­mut­ter… Stu­der blick­te auf, blieb ste­hen, denn es ging berg­auf. Rich­tig: der Spa­len­berg! Und eine Num­mer leuch­te­te ihm ent­ge­gen…

      Da flog das Hau­stor auf, ein Mäd­chen stürz­te her­aus, und da der Wacht­meis­ter der ein­zi­ge Mensch auf der Stra­ße war, pack­te es na­tür­lich ihn am Är­mel und keuch­te:

      »Kom­men Sie mit!… Die Mut­ter!… Es riecht nach Gas!…«

      Und Wacht­meis­ter Stu­der von der Ber­ner Fahn­dungs­po­li­zei folg­te sei­nem Schick­sal: dies­mal hat­te es die Ge­stalt ei­nes jun­gen Meit­schis an­ge­nom­men das ger­ne star­ke fran­zö­si­sche Zi­ga­ret­ten rauch­te und ein Pelz­jackett, graue Wild­le­der­schu­he und graue Sei­den­st­rümp­fe trug.

      »Blyb uf dr Lou­be!«, sag­te Stu­der, nach­dem er keu­chend drei Stock­wer­ke er­stie­gen hat­te. Ohne Zwei­fel, der Gas­ge­ruch war deut­lich! Kei­ne Klin­ke, kein Schlüs­sel an der Tü­re… Tan­nen­holz – und ein schwa­ches Schloss…

      Stu­der nahm sechs Schrit­te An­lauf, kei­nen ein­zi­gen mehr. Aber eine sim­ple Tan­nen­holz­tü­re ver­mag dem An­prall ei­nes Dop­pel­zent­ners nicht stand­zu­hal­ten. So gab die Türe ge­hor­sam nach – nicht das Holz, son­dern das Schloss – und eine Wol­ke von Gas ström­te Stu­der ent­ge­gen. Zum Glück war sein Nas­tuch groß. Er kno­te­te es im Na­cken fest, so­dass es Mund und Nase be­deck­te.

      »Blyb dus­se, Meit­schi!«, rief Stu­der noch. Zwei Schrit­te – und die win­zi­ge Kü­che war durch­quert; eine Türe wur­de auf­ge­sto­ßen. Das Wohn­zim­mer war qua­dra­tisch, weiß­ge­kalkt. Der Wacht­meis­ter riss das Fens­ter auf und lehn­te sich hin­aus… Und das Nas­tuch ließ sich wie eine Fast­nachts­mas­ke ab­strei­fen…

      Ein Ge­wirr von Dä­chern… Ka­mi­ne stie­ßen fried­lich ih­ren Rauch in die kal­te Win­ter­luft. Reif glänz­te auf den dunklen Zie­geln. Und über den höchs­ten First kroch lang­sam eine blei­che Win­ter­son­ne. Der ein­drin­gen­de Luft­zug nahm das gif­ti­ge Gas mit sich.

      Stu­der wand­te sich um und sah einen fla­chen Schreib­tisch, eine Couch, drei Stüh­le; an der Wand das Te­le­fon. Er durch­quer­te den Raum, ge­lang­te in die kor­ri­dor­ar­ti­ge Kü­che. Die bei­den Häh­ne des Réchauds wa­ren ge­öff­net, das Gas pfiff aus den Bren­nern. Ge­dan­ken­los schloss Stu­der die­se Häh­ne. Es war nicht sehr ein­fach, denn ein Lehn­stuhl stand im Wege, mit grü­nem Samt über­zo­gen. In ihm saß eine alte Frau, son­der­bar fried­lich, ge­löst und schi­en zu schla­fen. Die eine Hand ruh­te auf der Arm­leh­ne, der Wacht­meis­ter er­griff sie, tas­te­te nach dem Puls, schüt­tel­te den Kopf und leg­te die kal­te Hand vor­sich­tig auf das ge­schnitz­te Holz zu­rück.

      Win­zig war die Kü­che wirk­lich. An­dert­halb Me­ter auf zwei, ein Kor­ri­dor eher. Über dem Gas­réchaud hing an der Wand ein Holz­ge­stell. Blech­do­sen – ehe­mals weiß email­liert, jetzt ge­bräunt, die Gla­sur ab­ge­sto­ßen: »Kaf­fee«, »Mehl«, »Salz«… Al­les war ärm­lich. Und durch den leich­ten Gas­ge­ruch, der noch zu­rück­b­lieb, stach deut­lich ein an­de­rer: Kamp­fer…

      Es roch nach al­ter Frau, nach ein­sa­mer, al­ter Frau.

      Es war ein ganz be­stimm­ter Ge­ruch, den Stu­der kann­te; er kann­te ihn aus den win­zi­gen Woh­nun­gen in der Metz­ger­gas­se, wo es hin und wie­der ei­ner al­ten Frau zu lang­wei­lig wur­de oder zu ein­sam und sie dann den Gas­hahn auf­dreh­te. Manch­mal aber war es we­der Ein­sam­keit noch Lan­ge­wei­le; son­dern Not…

      Stu­der trat vor die Woh­nungs­tür. Links am Tür­pfos­ten, un­ter dem wei­ßen Klin­gel­knopf, ein Schild:

      Jo­se­pha Cle­man-Hor­nuss

       Wit­we

      Wit­we!… Als ob Wit­we ein Be­ruf wäre!…

      Er rief dem Meit­schi, das am Ge­län­der der Lau­be lehn­te – g’spä­ßig war das Haus ge­baut: die Lau­be ging auf ein Gärt­lein, ob­wohl die Woh­nung im drit­ten Stock­werk lag, und das Gärt­lein war von ei­ner Mau­er um­ge­ben, in die eine Türe ein­ge­las­sen war; wo­hin führ­te die Tür?… wohl auf eine Ne­ben­gas­se – er rief dem Meit­schi und es kam nä­her.

      Es war na­tür­lich und selbst­ver­ständ­lich, dass der Wacht­meis­ter das Meit­schi sanft zu dem Lehn­stuhl führ­te, in dem eine alte Frau fried­lich schlum­mer­te.

      Aber wäh­rend die Toch­ter ihr win­zi­ges Nas­tuch zog und sich die Trä­nen trock­ne­te, fiel dem Wacht­meis­ter et­was auf:

      Die alte Frau im Lehn­stuhl trug einen ro­ten Schlaf­rock, der mit Kaf­fee­fle­cken über­sät war. Aber an den Fü­ßen trug sie hohe Schnürs­tie­fel, Aus­geh­schu­he – nein! Kei­ner­lei Pan­tof­feln!

      Dann such­te Stu­der nach dem Gas­zäh­ler: Er hock­te oben an der Wand, gleich ne­ben der Woh­nungs­tür, auf ei­nem Brett und sah mit sei­nen Zif­fer­blät­tern aus wie ein grü­nes und feis­tes und gri­mas­sie­ren­des Ge­sicht.

      Aber der Haup­t­hahn stand schief!…

      Er stand schief. Er bil­de­te, woll­te man ge­nau sein, einen Win­kel von fünf­und­vier­zig Gra­d…

      Wa­rum war er nur halb ge­öff­net? Wa­rum nicht ganz?

      Im Grun­de ging einen der gan­ze Fall ja nichts an. Man war Wacht­meis­ter bei der Ber­ner Fahn­dungs­po­li­zei, da soll­ten die Bas­ler se­hen, wie sie zu Schlag ka­men. Üb­ri­gens, es schi­en ein Selbst­mord zu sein, ein Selbst­mord durch Leucht­gas – nichts Un­ge­wöhn­li­ches. Und nichts Un­ge­wohn­tes…

      Stu­der ging in den Wohn­raum, der zu­gleich Schlaf­zim­mer war – die Couch in der Ecke! – und such­te nun nach dem Te­le­fon­buch. Es lag auf dem Schreib­tisch, ne­ben ei­nem aus­ge­brei­te­ten Kar­ten­spiel. Wäh­rend er nach der Num­mer der Sa­ni­täts­po­li­zei such­te, dach­te der Wacht­meis­ter ver­schwom­men, wie un­ge­wöhn­lich es ei­gent­lich war, dass eine Selbst­mör­de­rin vor dem Frei­to­de noch Pa­ti­encen leg­te… Da fiel ein Blatt Pa­pier aus dem Te­le­fon­buch zu Bo­den, Stu­der hob es auf, leg­te es ne­ben das aus­ge­brei­te­te Kar­ten­spiel – merk­wür­dig, oben in der Ecke links, die Kar­ten wa­ren


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