Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.ebensowenig sagte er wieder etwas davon, daß ich sein Schiff in Ruhe lassen sollte. Aber immer wieder fürchtete ich ihn, der, blind und hilflos, lauschte, immer lauschte, und ich hütete mich, während der Arbeit in die Reichweite seiner starken Arme zu kommen.
Als ich nachts unter meinem Scherenkran schlief, wurde ich durch seine Schritte an Deck geweckt. Es war eine sternenklare Nacht, und ich konnte ihn undeutlich umhertappen sehen. Ich wickelte mich aus meinen Decken und schlich geräuschlos auf Strümpfen hinter ihm her. Er hatte sich mit einer Ziehklinge aus dem Werkzeugkasten versehen und wollte sich nun daranmachen, die Falle, die ich wieder an dem Scherenkran befestigt hatte, zu durchschneiden. Er betastete die Falle und merkte, daß sie nicht straff gezogen waren. Hier nützte die Ziehklinge nichts. Er zog die Leinen daher an und machte sie fest. Dann schickte er sich an zu schneiden.
„An Ihrer Stelle würde ich es nicht tun", sagte ich ruhig.
Er hörte das Klicken meiner Pistole und lachte. „Hallo, Hump!" sagte er. „Ich wußte gut, daß Sie da waren. Sie können meine Ohren nicht täuschen."
„Das ist nicht wahr, Wolf Larsen", erwiderte ich ebenso ruhig wie zuvor. „Ich warte aber auf eine Gelegenheit, Sie zu töten. Also schneiden Sie nur weiter."
„Die Gelegenheit haben Sie immer", sagte er.
„Los, schneiden Sie!" drohte ich bedeutungsvoll.
„Das Vergnügen gönne ich Ihnen doch nicht", lachte er, wandte sich um und ging nach achtern.
„Es muß etwas geschehen, Humphrey", sagte Maud am nächsten Morgen, als ich ihr den nächtlichen Zwischenfall erzählt hatte. „Solange er seine Freiheit hat, ist er zu allem fähig. Er kann das Schiff in den Grund bohren oder in Brand stecken. Man kann gar nicht wissen, worauf er verfällt. Wir müssen ihn festnehmen."
„Aber wie?" fragte ich und zuckte hilflos die Achseln. „Ich wage mich nicht in die Reichweite seiner Arme, und er weiß gut, daß ich ihn nicht erschießen kann, solange er sich auf passiven Widerstand beschränkt."
„Es muß eine Möglichkeit geben", beharrte sie. „Lassen Sie mich nachdenken."
„Es gibt eine Möglichkeit", sagte ich grimmig.
Sie sah mich erwartungsvoll an.
Ich hob den Robbenknüppel.
„Töten werde ich ihn nicht", sagte ich. „Und ehe er sich erholt hat, habe ich ihn gut und sicher gebunden."
Sie schüttelte schaudernd den Kopf. „Nein, so nicht. Es muß ein weniger brutales Mittel geben. Lassen Sie uns noch warten."
Aber wir sollten nicht lange warten, bis die Frage von selbst gelöst wurde. Als Wolf Larsen an Deck kam, bemerkten wir sofort etwas Seltsames an ihm. Sein Gang war noch unsicherer als sonst. Als er die Kajüte an Backbord passierte, schwankte er geradezu. Am Rand des Hüttendecks taumelte er, hob die Hand, um die gewohnte Bewegung des Wegwischens zu machen, und fiel die Treppe hinunter auf das Hauptdeck. Er kam auf die Füße;, stolperte aber und schlug mit den Armen um sich, um das Gleichgewicht zu bewahren. Auf der Laufbrücke blieb er eine Weile benommen stehen, dann krümmte er sich plötzlich und brach zusammen. Die Füße glitten ihm fort, und er stürzte aufs Deck.
Wir traten zu ihm, aber er schien das Bewußtsein verloren zu haben und atmete nur keuchend. Maud hockte neben ihm nieder, hob ihm den Kopf, um den Blutandrang zu vermindern, und schickte mich in die Kajüte, um ein Kissen zu holen. Ich brachte auch Decken, und wir betteten ihn. Ich fühlte ihm den Puls. Der schlug regelmäßig und kräftig und war ganz normal. Das war merkwürdig, und ich wurde mißtrauisch.
„Wie, wenn er sich nur verstellt?" sagte ich, noch sein Handgelenk haltend.
Maud schüttelte den Kopf mit einem vorwurfsvollen Ausdruck. Aber im selben Augenblick entriß er mir sein Handgelenk und umklammerte das meine wie ein Tellereisen. In Todesangst stieß ich einen wilden, unartikulierten Schrei aus. Ein Blick zeigte mir sein boshaftes, triumphierendes Gesicht, dann legte sich sein anderer Arm um meinen Leib und zog mich in einer furchtbaren Umarmung nieder. Er ließ mein Handgelenk los, sein anderer Arm legte sich um meinen Rücken, umschloß meine beiden Arme, so daß ich mich nicht rühren konnte. Seine freie Hand tastete nach meiner Kehle, und dank meiner eigenen Dummheit hatte ich in diesem Augenblick den bitteren Vorgeschmack des Todes. Ich fühlte andere Hände an meiner Kehle. Es war Maud, die sich vergebens bemühte, die Hand, die mich würgte, loszureißen. Sie gab den Versuch auf, und jetzt hörte ich sie herzzerreißend schreien - wie ein Weib in Angst und tiefster Verzweiflung schreit. Ich kannte dies Schreien vom Untergang der Maitinez.
Mein Gesicht war gegen seine Brust gepreßt, und ich konnte nichts sehen, aber ich hörte Maud schnell über das Deck laufen. Ich war noch bei vollem Bewußtsein, und es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich sie wiederkehren hörte. Und dann spürte ich, wie der Mann unter mir zusammensank. Die Hand an meiner Kehle löste sich. Ich atmete wieder. Noch einmal wurde sein Griff wieder fester. Aber selbst sein ungeheurer Wille konnte die Schwäche nicht überwinden und versagte. Dann verlor er das Bewußtsein.
Ich wälzte mich fort und lag, nach Luft schnappend und im Sonnenschein blinzelnd, auf dem Rücken. Maud - meine Augen hatten sofort ihr Antlitz gesucht -, Maud war blaß, aber beherrscht, und sie blickte mich erregt und erleichtert an.
Ich sah einen mächtigen Robbenknüppel in ihrer Hand, und im selben Augenblick bemerkte sie die Richtung meiner Augen. Sie ließ den Knüppel fallen, als ob sie sich die Finger verbrannt hätte, und im nächsten Augenblick lag sie in meinen Armen und weinte krampfhaft an meiner Schulter, während ich sie fest umschlang. Ich sah hinab auf den braunen Schein ihres Haares, das für mich ein im Sonnenschein glitzernder Juwelenschmuck war, wertvoller, als je in der Schatzkammer eines Königs aufgehäuft gewesen. Und ich küßte leise ihr Haar, so leise, daß sie es nicht merkte.
Dann aber überkamen mich wieder nüchterne Gedanken. Alles in allem war sie ja nur ein Weib, das jetzt, da sie nach überstandener Gefahr in den Armen ihres Beschützers ruhte, vor Freude weinte. Wäre ich ihr Vater oder Bruder gewesen, nichts hätte anders ausgesehen. Zudem waren Zeit und Ort nicht dazu angetan, mir ein Recht zu geben, meine Liebe zu gestehen. So küßte ich denn noch einmal leise ihr Haar und fühlte dann, wie sie sich aus meiner Umarmung löste.
„Jetzt, da er hilflos ist, soll er es auch bleiben", sagte ich. „Von heute an wohnen wir in der Kajüte, und Wolf Larsen wird mit dem Zwischendeck vorliebnehmen."
Ich faßte ihn unter der Schulter und schleppte ihn nach der Laufbrücke.
Auf meine Anweisung holte Maud einen Strick. Ich zog ihn ihm unter den Armen hindurch, brachte ihn über die Schwelle und ließ ihn über die Stufen auf den Boden hinab. Ich konnte ihn nicht in die Koje heben, aber mit Mauds Hilfe hob ich zuerst Kopf und Schultern über den Rand, schob dann den Körper nach und hatte ihn nun in einer Unterkoje.
Aber das genügte mir noch nicht. Ich erinnerte mich, daß er in seiner Kajüte Handeisen hatte, die er zuweilen bei seinen Matrosen benutzt hatte. Und als wir ihn dann verließen, lag er an Händen und Füßen gefesselt da. Zum erstenmal seit vielen Tagen atmete ich auf. Als ich an Deck kam, fühlte ich mich so erleichtert, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen.
Dreizehntes Kapitel
Wir zogen sofort an Bord der Ghost, nahmen unsere alte Kajüte in Besitz und kochten in der Kombüse. Die Gefangennahme Wolf Larsens war zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt erfolgt, denn der Nachsommer war vorbei, und es hatte regnerisches und stürmisches Wetter eingesetzt.
Wir fühlten uns sehr behaglich auf dem Schoner, dem der Scherenkran und der an ihm hängende Fockmast ein gewisses geschäftiges Aussehen verliehen, das baldige Abreise zu verkünden schien.
Wir hatten Wolf Larsen in Eisen, aber wie unnötig war es jetzt! Wie dem ersten, so war auch dem zweiten Anfall eine ernste Lähmung gefolgt. Maud machte diese Entdeckung, als sie am