Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.Fenster standen offen, und in der Tür saß eine Katze und leckte ihre Jungen, sonst aber schien niemand zu Hause zu sein. Er ritt weiter den Weg hinab, der offenbar den Canjon kreuzte. Ein Stückchen weiter traf er einen alten Mann, der ihm in der Abendsonne entgegenkam. In der Hand trug er einen Eimer mit schäumender Milch; er hatte keinen Hut auf dem Kopfe, und auf seinem von weißem Kopf- und Barthaar eingerahmten Gesicht lag die warme Glut und Zufriedenheit des schwindenden Sommertages.
»Wie alt seid Ihr, Väterchen?« fragte Daylight.
»Vierundachtzig«, lautete die Antwort. »Ja, junger Herr, vierundachtzig, aber munterer als die meisten.«
»Ihr müßt Euch gut gepflegt haben«, meinte Daylight.
»Davon weiß ich nichts. Müßiggang ist nie meine Sache gewesen. Ich zog mit einem Ochsengespann über die Steppe und half einundfünfzig den Indianern, und da war ich schon Familienvater und hatte sieben Jungens. Damals war ich so alt wie Sie jetzt.«
»Fühlt Ihr Euch hier nicht einsam?«
Der Alte nahm den Milcheimer in die andere Hand und dachte nach.
»Das kommt darauf an«, sagte er orakelhaft. »Ich hab' mich nie einsam gefühlt, nur damals, als meine Frau starb. Mancher fühlt sich einsam, wenn er unter Menschen ist, und so einer bin ich auch. Nur in Frisko fühle ich mich einsam. Aber in diesem Leben gehe ich nicht mehr dahin. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Seit vierundfünfzig bin ich hier im Tale ansässig – ich bin einer von den ersten Ansiedlern nach den Spaniern.« Daylight ritt weiter mit den Worten:
»Na, dann gute Nacht, Väterchen! Macht's weiter so. Ihr könnt's noch mit dem Jüngsten aufnehmen, und ich denke, Ihr habt schon eine ganze Menge von ihnen begraben.«
Der Alte kicherte, und Daylight ritt weiter, äußerst zufrieden mit sich und der ganzen Welt. Das alte Glücksgefühl der Schlittenreisen und Lagerplätze am Yukon schien wieder über ihn gekommen zu sein. Er sah immer noch den alten Ansiedler vor sich, wie er ihm in der Abendsonne entgegengekommen war. War der rüstig für seine vierundachtzig Jahre! Der Gedanke, seinem Beispiel zu folgen, tauchte in Daylight auf, aber das große Spiel in San Franzisko legte sein Veto dagegen ein.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Statt am Montag in die Stadt zurückzukehren, mietete Daylight wieder das Pferd des Schlächters und ritt durch das Tal nach den Bergen im Osten, um sich die Mine anzusehen. Hier war es trockener und felsiger als dort, wo er am Tage zuvor gewesen, und auf den Hängen wuchs hauptsächlich Dornengestrüpp – niedrig, dicht und für einen Reiter undurchdringlich. Aber die Canjons waren wasserreich und üppig bewaldet. Die Mine war verlassen, doch das Herumklettern machte ihm Freude. Ehe er nach Alaska gegangen war, hatte er ziemlich viel mit Quarzminen zu tun gehabt, und das Wiedererwachen der früheren Kenntnisse freute ihn. Die Geschichte war einfach: Gute Aussichten hatten den Anlaß gegeben, den Tunnel in den Hügel zu graben; nach drei Monaten war das Geld auf die Neige gegangen, die Arbeit war eingestellt worden, und die Männer hatten sich neue Beschäftigung gesucht; dann waren sie wiedergekommen und hatten wieder eine Weile gearbeitet. Das Gold lockte und zog sich doch immer weiter in den Berg zurück, bis sie schließlich, nach Jahren, die Hoffnung aufgegeben hatten und enttäuscht fortgezogen waren. Jetzt mochten sie wohl tot sein, dachte Daylight, als er sich im Sattel umdrehte und über den Canjon nach dem alten Schuttplatz und der dunklen Mündung des Tunnels zurückblickte. Wie am vorigen Tage folgte er rein zum Vergnügen auf gut Glück den Viehsteigen und arbeitete sich ein gutes Stück zum Gipfel hinauf. Dann gelangte er auf einen aufwärtsführenden Fahrweg, dem er mehrere Meilen folgte, bis er zu einem kleinen, von Bergen eingerahmten Tal kam, an dessen steilen Hängen ein halbes Dutzend kleine Farmer Weintrauben zogen. Jenseits des Tales stieg der Weg steil an. Dichter Chaparral bedeckte die sonnigen Hänge, in den Schrunden aber wuchsen riesige Tannen, wilder Hafer und Blumen.
Und weiter kam er durch das Gestrüpp, folgte den halbverwachsenen Pfaden und arbeitete sich langsam hinauf bis zur Wasserscheide. Dort sah er unter sich das Napa-Tal und, wenn er zurückblickte, die Sonoma-Berge.
»Ein schönes Land,« murmelte er, »ein mächtig schönes Land.«
Dann wandte er sich rechts und ritt auf einem andern Wege nach dem Sonoma-Tal; aber die Pfade schienen ganz zu verschwinden, das Gestrüpp wurde immer dichter, und als er schließlich durchgedrungen war, versperrte ihm der Canjon mit seinen kleinen Nebenflüssen den Weg, so daß er wieder umkehren mußte. Aber er machte sich nichts daraus. Er freute sich, denn es war der alte Kampf mit der Natur, den er so liebte. Spät am Nachmittag fand er endlich einen Weg, der über einen trockenen Canjon führte. Und hier erwartete ihn wieder eine angenehme Überraschung. Vor einigen Minuten hatte er einen Hund bellen hören, und plötzlich sah er einen Rehbock über den nackten Berg hoch über seinem Haupte flüchten. Und nicht weit dahinter kam der Jagdhund, ein prächtiges Tier. Daylight saß gespannt im Sattel und blickte den Tieren nach, bis sie verschwanden; sein Atem ging schneller, als wäre er selbst mit bei der Jagd. Die Sehnsucht erwachte in ihm und die Erinnerung an die Tage, ehe er in die Stadt gezogen war.
Der trockene Canjon machte bald einem andern schmalen Bande rieselnden Wassers Platz. Der Weg lief in einen Waldsteig aus, und dieser führte über eine kleine Ebene zu einem nur wenig benutzten Landweg. In unmittelbarer Nähe gab es weder Höfe noch Häuser. Der Boden war mager, das Gestein lag dicht darunter oder trat direkt zutage. Zu beiden Seiten war der Weg jedoch von Manzanitas und niedrigen Eichen eingerahmt, die so dicht wie Dschungelgestrüpp «landen. Und aus diesem Gestrüpp hervor huschte plötzlich ein Mann in einer Weise, die Daylight an ein Kaninchen erinnerte.
Es war ein kleiner Mann in geflickten Überzugskleidern, barhäuptig und mit einem Baumwollhemd, das Hals und Brust völlig frei ließ. Die Sonne verlieh seinem Gesicht einen rotbraunen Glanz und den Spitzen seines sandgelben Haares einen Silberschimmer. Er winkte Daylight, daß er anhalten sollte, und reichte ihm einen Brief hinauf.
»Wollen Sie zur Stadt, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diesen Brief besorgen wollten«, sagte er.
»Gerne.« Daylight steckte ihn in seine Rocktasche. »Wohnen Sie hier in der Gegend?«
Aber der Kleine antwortete nicht. Er starrte Daylight überrascht und anhaltend an.
»Ich kenne Sie«, sagte der Kleine schließlich. »Sie sind Elam Harnish – Burning Daylight, wie die Zeitungen Sie nennen. Hab' ich recht?«
Daylight nickte.
»Aber was in aller Welt tun Sie hier im Chaparral?«
Daylight antwortete lächelnd: »Suche Kunden für eine unentgeltliche Landpostverbindung.«
»Ja, ich freue mich, daß ich den Brief heute nachmittag geschrieben habe,« fuhr der Kleine fort, »sonst hätte ich Sie ja nicht zu sehen gekriegt. Ich sah Ihr Bild oft in den Zeitungen, und ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Ich hab' Sie sofort erkannt. Mein Name ist Ferguson.«
»Wohnen Sie hier in der Gegend?« fragte Daylight nun seinerseits.
»Jawohl. Ein bißchen weiter drinnen im Gebüsch hab' ich eine kleine Hütte, eine hübsche Quelle und ein paar Obstbäume und Beerensträucher. Kommen Sie und sehen Sie sich's an. Die Quelle ist prachtvoll. Solches Wasser haben Sie noch nicht geschmeckt. Versuchen Sie es!«
Daylight stieg ab, folgte, sein Pferd am Zügel führend, dem schnell ausschreitenden kleinen Mann durch den grünen Tunnel und stand plötzlich auf der Lichtung. Es war ein kleiner Winkel in den Bergen, im Schutze der steilen Wände einer Canjonmündung. Mehrere große Eichen zeugten von reicherem Boden. Die Zeiten hatten den Hügel ausgewaschen und allmählich diese Ablagerung fetter Erde gebildet. Fast unter den Eichen begraben stand eine roh gezimmerte, ungestrichene Hütte, deren breite, mit Stühlen und Hängematten versehene Veranda zeigte, daß die Bewohner im Freien schliefen. Daylights scharfem Blick entging nicht die geringste Einzelheit. Die Lichtung war unregelmäßig, sie reichte so weit wie der beste Boden, und jeder Obstbaum, jeder Busch,