Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio


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hierher gesetzt habe und zu meinem Unglück gleich bei meiner Ankunft hingegangen bin, den heiligen Leichnam zu sehen, wobei man mich so abgedroschen hat, wie Ihr mich seht. Dass dieses wahr sei, kann Euch der Torschreiber mit seiner Rolle beweisen, und auch mein Hauswirt, wenn‘s nötig ist. Wenn Ihr demnach findet, dass ich Euch die Wahrheit sage, so bitte ich Euch, mich nicht diesen gottlosen Lumpen zu Gefallen martern und töten zu lassen.“

      Indem die Sache so stand und Marchese und Stecchi hörten, dass der Richter dem Martellino hart zusetzte und ihn schon gefoltert hätte, ward ihnen bange und sie dachten: „Wir haben einen dummen Streich gemacht und bringen unseren Kameraden aus der Pfanne auf die Kohlen.“ Sie eilten demnach geschwind zurück zu ihrem Wirt und erzählten diesem den ganzen Verlauf der Sache. Er lachte über die Geschichte und brachte sie zu einem gewissen Sandro Agolanti, der in Treviso wohnte und viel bei dem Landesherrn galt, welchem er alles in gehöriger Ordnung erzählte und nebst den anderen ihn bat, mit der Lage des Martellino Mitleid zu haben. Sandro musste herzlich lachen, ging zu dem Herrn und erhielt von ihm, dass nach Martellino gesandt würde, was auch geschah. Die Boten, die nach ihm geschickt wurden, fanden ihn noch im Hemd, ganz angst und verzagt in den Händen des Richters, der nichts von seiner Rechtfertigung hören wollte, sondern (weil er die Florentiner vielleicht heimlich hasste) große Lust hatte, ihn hängen zu lassen; daher er ihn auch durchaus nicht eher herausgeben wollte, bis er gezwungen ward, es zu tun.

      Wie Martellino vor den Herrn kam und ihm alles aufrichtig gestanden hatte, bat er um nichts so angelegentlich als um die Gnade, ihn nur gleich gehen zu lassen, weil er noch immer so lange glauben würde, den Strick um die Gurgel zu haben, bis er wieder nach Florenz käme. Der Herr konnte sich des Lachens nicht mehr enthalten und ließ einem jeden von den Dreien ein Kleid geben.

      So entgingen sie unverhofft einer großen Gefahr und zogen mit heiler Haut wieder heim.

       ZWEITE NOVELLE

      Rinaldo d‘Asti kommt, nachdem er ausgeplündert worden, nach Castel Guglielmo, wo ihn eine Witwe beherbergt. Nachdem er seinen Verlust reichlich ersetzt bekommen, kehrt er gesund und vergnügt nach Hause zurück.

      Die Frauen lachten herzlich über die Abenteuer des Martellino, und unter den Jünglingen am meisten Filostrato, dem die Königin, da er neben Neifile saß, auftrug, weiter zu erzählen. Er gehorchte ohne Verzug und sagte:

      Schöne Frauen, ich kann nicht umhin, euch ein Geschichtchen zu erzählen, das aus frommem, tragischem und verliebtem Stoff zusammengewebt ist, das aber dennoch für den, der es anhört, vielleicht nicht ohne Nutzen sein wird, besonders für solche, die das unsichere Gebiet der Liebe bereisen, wo der, welcher das Paternoster des heiligen Julian nicht gesprochen hat, oft übel herbergt, wenn er auch gebettet wird.

      Es kam einmal zu Zeiten des Markgrafen Azzo von Ferrara ein Kaufmann namens Rinaldo d‘Asti um seiner Geschäfte willen nach Bologna. Als er sie abgewickelt hatte und wieder nach Hause reiste, stieß er, kaum aus dem Weichbild von Ferrara heraus in der Richtung auf Verona reitend, auf einige Männer, die er für Kaufleute hielt, die aber Schnapphähne und räuberisches Gesindel waren, mit denen er sich unvorsichtigerweise in Gespräche und in Gesellschaft einließ. Wie diese merkten, dass er ein Kaufmann war, und folglich nicht zweifelten, dass er Geld bei sich führe, beschlossen sie, ihn bei der ersten Gelegenheit zu berauben, und damit er ja nichts argwöhne, sprachen sie mit ihm, nach der Weise stiller und ordentlicher Leute, von nichts als Treu und Redlichkeit und betrugen sich, soviel ihnen möglich war, artig und gefällig gegen ihn. Er schätzte es für ein großes Glück, sie angetroffen zu haben, weil er allein reiste und nur einen Diener bei sich hatte. Wie man nun unterwegs allerlei miteinander zu schwatzen pflegt, so kamen sie auch unter anderem auf die Gebete zu sprechen, die die Menschen an Gott richten, und einer von den drei Buschkleppern fragte den Rinaldo: „Und Ihr, werter Herr, was habt denn Ihr für ein Gebet, dessen Ihr Euch auf der Reise bedient?“

      Rinaldo antwortete: „Die Wahrheit zu sagen, so bin ich in diesem Stücke ein einfältiger, unwissender Mensch, der nur so immer nach seiner alten Weise lebt und fünf gerade sein lässt. Nichtsdestoweniger ist es immer meine Gewohnheit gewesen, auf Reisen, wenn ich des Morgens aus meiner Herberge gehe, ein Paternoster und ein Ave Maria für die Seelen der Eltern des heiligen Julian zu sprechen und hernach Gott und ihn zu bitten, mir auf die folgende Nacht wieder gute Herberge zu bescheren. Und manchen lieben Tag meines Lebens ist es mir schon begegnet, dass ich auf meinen Reisen in große Gefahren geraten bin, aus denen ich immer glücklich entrann und des Abends an einen Ort kam, wo ich gute Aufnahme und bequeme Herberge fand. Ich bin deswegen fest überzeugt, dass der heilige Julian, dem zu Ehren ich diese Gebete verrichte, mir diese Wohltat von Gott erbeten hat, und ich würde nicht glauben, dass es mir an demjenigen Tage wohlergehen, und dass ich die folgende Nacht gut zubringen könnte, wenn ich sie des Morgens nicht gesprochen hätte!“

      „Habt Ihr sie denn auch diesen Morgen gesprochen?“ meinte der, der ihn gefragt hatte.

      „Das versteht sich“, versetzte Rinaldo.

      Der andere, der schon wusste, wie die Sache gekartet war, dachte: Du wirst‘s nötig haben, denn wenn wir uns nicht irren, wirst du heute ein schlechtes Nachtquartier haben. Laut gab er ihm zur Antwort: „Ich bin doch auch viel gereist und habe dies Gebet nie gesprochen, obwohl es mir manche schon gerühmt haben. Doch ist es mir deswegen noch nie widerfahren, dass ich nicht recht gute Herberge gefunden hätte. Vielleicht erfahren wir noch diesen Abend, wer von uns beiden besser untergebracht ist: Ihr, der Ihr dieses Gebet gesprochen habt, oder ich, der ich es nicht tat. Ich pflege mich jedoch statt dessen wohl des Dirupisti oder der Intemerata oder des Ex profundis zu bedienen, von denen mir meine selige Großmutter zu sagen pflegte, dass sie große Wirkung tun sollen.“

      So schwatzten sie noch allerlei, indem sie zusammen fortritten, und die Räuber nur auf gelegene Zeit und Ort warteten, um ihren Streich auszuführen. Wie es schon spät ward, kamen sie hinter Castel Guglielmo an eine Furt, wo die drei Spitzbuben, weil es dunkel und der Ort einsam und abgelegen war, den Rinaldo anfielen und ausplünderten und, indem sie ihn im bloßen Hemde und zu Fuß laufen ließen, zu ihm sagten: „Geh hin und sieh zu, ob dein Sankt Julian dir diese Nacht so gutes Quartier besorgen wird wie der unsrige.“ Damit ritten sie durch die Furt und jagten davon.

      Rinaldos Diener, ein feiger Schlingel, ergriff in dem Augenblick, da sein Herr angefallen ward, die Flucht. Er warf sein Pferd herum, galoppierte von dannen und hielt erst vor Castel Guglielmo. Weil es schon spät am Abend war, bekümmerte er sich um nichts und suchte unter Dach und Fach zu kommen. Rinaldo, im Hemd und barfuß, sah inzwischen bei einer bitterlichen Kälte und Schneegestöber die Nacht anbrechen und wusste nicht, wie er sich helfen solle. Er zitterte, und die Zähne klapperten ihm vor Frost, er sah sich überall um nach einem Zufluchtsort für die Nacht, wo er nicht vor Frost umkommen müsste – allein er fand ihn nicht, denn es war kürzlich Krieg gewesen, und alles war niedergebrannt und verheert. Von der Kälte getrieben lief er, so schnell er konnte, nach Castel Guglielmo zu, ohne zu wissen, ob sein Diener dorthin oder an einen anderen Ort geflüchtet wäre, denn er dachte, wenn er nur hineinkäme, würde ihm der Himmel auf eine oder andere Art wohl helfen. Aber schon überraschte ihn die Dunkelheit der Nacht, wie er noch eine Meile von Castel Guglielmo entfernt war, daher er erst so spät ankam, dass die Tore bereits geschlossen waren und die Zugbrücke aufgezogen, sodass er nicht mehr hineinkonnte. Traurig und trostlos sah er umher und suchte ein Lager, wo er sich wenigstens vor dem Schnee schützen könnte. Da fiel ihm von ungefähr ein Haus auf der Schlossmauer in die Augen, das einen Vorbau hatte, unter welchen er unterzutreten und den Tag abzuwarten beschloss. Unter diesem Vorbau ward er eine Tür gewahr, die aber verschlossen war, an deren Schwelle er ein wenig faules Stroh, das er in der Nähe zusammenraffte, zu seinem Bette machte, sich traurig und ächzend darauf hinstreckte und sich bitterlich über Sankt Julian beklagte, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen so schmählich enttäuschte. Doch Sankt Julian vergaß ihn nicht und bescherte ihm bald eine recht gute Herberge.

      Es befand sich in diesem Schlosse eine sehr schöne, junge Witwe, die der Markgraf Azzo wie sein Leben liebte und sie dort auf ihren Wunsch untergebracht hatte. Sie wohnte in eben dem Hause, unter dessen Vorbau sich Rinaldo sein Lager bereitet hatte. Am vergangenen Tage war eben


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