Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Sophus Ruge

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Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen - Sophus Ruge


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       Die Morgenseite der alten Welt.

       Inhaltsverzeichnis

      In der Geschichte der geographischen Entdeckungen zeichnen sich gewisse Epochen ab, in denen die Betheiligung an den Arbeiten, die Erdenräume dem Blicke der Forschung zu enthüllen oder wenigstens mit fernen weniger bekannten Ländern in lebhafteren Verkehr zu treten, eine außergewöhnlich starke ist, in denen, durch energischen Vorgang einzelner ausgezeichneter Persönlichkeiten, nicht blos einzelne Stände und Berufsklassen mit hineingezogen werden in das Interesse für Reisen und Entdeckungsfahrten, sondern wo die Antheilnahme bis in die Masse des Volkes hinabdringt und ein Volk das andere benachbarte allmählich mit hineinzieht in eine allgemeine großartige Bewegung. Die Erweiterung des räumlichen Horizonts zieht unabweisbar auch die Erweiterung des geistigen Gesichtsfeldes nach sich und drückt dem Volk, welches ihn errungen hat, den Stempel geistiger Reife auf. Die Machtsphäre gewinnt ein größeres Gebiet und damit wächst auch die politische Bedeutung. Kein Wunder, daß darum zu Zeiten mehrere Völker neben einander auf dem Ringplatze erscheinen und in regem Wettbewerb nach gleichen Zielen einander die Palme streitig machen.

      Aber auf die hochgehenden Fluten folgen Zeiten der Ebbe, der Erschlaffung, Zeiten des Stillstandes, in denen, oft Jahrhunderte andauernd, die Erregung der Gemüther nachläßt, das Feuer der Begeisterung erlischt und die nach außen treibende Kraft sich von den Grenzen zurückzieht. Der Horizont verdunkelt sich wieder, die Schleier rücken eng und enger um die Mitte zusammen. Solche Zeiten der Stagnationen machen sich auch in der allgemeinen Geschichte fühlbar. Es sei dabei an die den Kreuzzügen vorangehenden Jahrhunderte erinnert. Auf die sich über beinahe 1000 Jahre ausdehnende Erschlaffung und Apathie folgt aber etwa vom 13. bis 17. Jahrhundert die Epoche der höchsten Anstrengung auf diesem Felde, folgt eine durch alle Völker Europas gehende tiefe Bewegung, welche nur der noch weiter, tiefer gehenden religiösen Erregung und Erhebung allmählich wich. Diese Zeit ist es aber, welche, als das Zeitalter der großen Entdeckungen bezeichnet, auch in der Darstellung allgemeiner Geschichte Beachtung fordert.

      Um die Ziele der Unternehmungen jenes großen Zeitraums verstehen zu lernen, müssen wir, zur Einleitung, weiter in die Vergangenheit zurückgreifen.

      Man sollte meinen, daß, wenn es sich um die Erweiterung der Kenntnisse von der Erdoberfläche handelt, man von dem Mittelpunkte, dem Schauplatz der Kulturvölker Europas, nach allen Richtungen der Windrose radial über die bisherige Grenze der bekannten Welt hinaus ins Unbekannte, Unerforschte schreiten werde oder schreiten könne. Doch dem ist nicht so.

      Die Gliederung und Gestaltung der wichtigsten Ländergebiete der alten Welt haben dabei einen bestimmenden Einfluß geübt, namentlich die Erstreckung des Mittelmeeres und des zusammenhängenden Hochlandes von Asien, deren Längsaxen sich beide in ost-westlicher Richtung hinziehen. An den Rändern und in den Ländern am Mittelmeer, wie auf dem westlichen Hochlande und an den südlichen Abhängen des östlichen Hochlandes von Asien in der weitgedehnten Zone von den Säulen des Herkules bis zu den Gestaden Chinas hatten sich einzelne Völker zu frühzeitiger Kultur erhoben. Die westliche Hälfte, nennen wir sie die europäische, hatte auf dem geräumigen Marktplatze des Mittelmeeres einen gemeinsamen Sammelpunkt gefunden, während die östliche, die asiatische Hälfte, vorwiegend auf den offenen indischen Ocean hingewiesen, eines solchen günstigen Vereinigungsplatzes entbehrte und im Streben nach gegenseitigem Verkehr größere Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Eine Annäherung beider Gebiete boten der persische, und noch mehr der arabische Golf oder das rothe Meer. Südlich des ganzen Gürtels lagen im Westen die starken Schranken der großen afrikanischen Wüste, deren menschenfeindliche Oede den Satz verkündigte, daß die heiße Zone überhaupt unbewohnbar sei, während im Osten das unbezwungene indische Weltmeer, dem das Gegengestade fehlte, von wagehalsigem Vordringen abhielt.

      In gleicher Weise lagerte sich über dem Nordsaum des Gürtels ein kalter, unwirthlich rauher Erdstrich, der sich gegen Norden in dem geheimnißvollen „Lande der Dunkelheit“ verlor.

      Daher richteten sich von jeher die Blicke mehr nach Osten und Westen, als nach Norden und Süden. Die Gegensätze zwischen Osten und Westen sind zuerst am Mittelmeer schon in ältester Zeit schärfer ins Auge gefaßt und lassen sich auf die Fahrten seetüchtiger Phönizier zurückführen. Die Unterscheidung der Erdtheile Asien und Europa, wie sie zuerst an den gegenüberliegenden Küsten des schön gegliederten ägäischen Meeres haftete, besagt ursprünglich im Kern des Wortes açu (Asien) ereb (Europa) wohl nichts anderes als Morgen und Abend, das Land im Morgen und das Land im Abend. Und diese Bezeichnungen wiederholen sich in verschiedenen Sprachen, so lautet bei den Griechen der Gegensatz: Anatolien (noch jetzt ist Kleinasien als Anadoli bekannt) und Hesperien, im Lateinischen mit erweitertem Begriff Orient und Occident, im Italienischen Levante (worunter man vorzugsweise die asiatischen Küsten des Mittelmeeres verstand und versteht) und Ponente (eine Gegenüberstellung, wie sie in kleinem Maßstabe an der Riviera von Genua noch gültig ist), und endlich im Deutschen: Morgenland und Abendland, Bezeichnungen, welche die beiden fraglichen Erdtheile so ziemlich decken. Ein solcher Reichthum der Benennungen hat sich naturgemäß für Norden und Süden, für die mitternächtliche und mittägige Seite nicht gebildet. Die Reisen und Entdeckungszüge nehmen thatsächlich vorwiegend auch die Richtung gegen Morgen und gegen Abend und wir sind daher wohlberechtigt, auch unsere Darstellung der Geschichte der Entdeckung in diesem Sinne zu gruppiren.

      Wir stellen die Morgenseite voran. Daß diese Seite gegen Sonnenaufgang noch mehr Bedeutung hatte als die Abendseite, daß der Blick voll Verlangen, hier den Schleier zu lüften, sich mehr der Sonne zuwandte, lag in den natürlichen Verhältnissen, in der unermeßlichen Ausdehnung der Länder und in dem Reichthum an kostbaren Produkten begründet, die aus unbekannter Ferne selbst bis zu den Häfen des Mittelmeeres gelangten. Die alten Staaten und Länder Vorderasiens bis nach Persien hin, standen mit den classischen Völkern des Alterthums in directer Verbindung; aber noch weiter hinaus lagen weite herrliche Länder, die in den Schleier des Geheimnißvollen gehüllt, von der erregten Phantasie zu wahren Wunderländern umgewandelt wurden, und unter denen immer der Name Indien vorklang. Wir dürfen nicht vergessen, daß im Alterthum Indien eigentlich das einzige bekannte Tropenland war, das unter dem Hauche des feuchten Monsun von wunderbarem Segen triefte. Indien war von jeher ein sehr weiter Begriff. Indien war das äußerste Land. So weit wir sichere Kunde haben, sagt Herodot (III. 98), sind die Menschen, die zunächst gegen Morgen und Sonnenaufgang in Asien wohnen, die Indier.

      Diesen äußersten Enden der Welt sind die kostbarsten Produkte eigen. (III. 106). Dieselbe Ansicht wiederholt Strabo (p. 685): Indien ist das erste und größte Land im Osten. Ktesias hielt Indien für ebenso groß als das ganze übrige Asien, Onesikritos für den dritten Theil der bewohnten Erde. (Strabo, p. 689).

      Indien war und blieb ein sehr weiter Begriff, ohne bestimmte Grenzen, so daß Strabo auch die langlebenden Serer mit einrechnen konnte. Zwar scheidet Ptolemäus dieselben wieder aus und weist ihnen jenseit des Himalaya einen nach Norden und Osten ins dunkle Land sich verlierenden Wohnsitz an; doch beginnt bei diesem großen Geographen schon eine Gliederung Indiens in die beiden Theile: Indien diesseit und Indien jenseit des Ganges, welche etwa unserm Vorder- und Hinter-Indien entsprechen mögen. Doch dabei blieb es nicht. Der Begriff Indien dehnte sich im Mittelalter immer mehr und umfaßte schließlich fast alle Gestade am südlichen Meere von Habesch bis nach China. Ja es wurde sogar an die Stelle von Asien geschoben, wenn z. B. Alcuin die ganze Welt in Europa, Afrika und Indien theilt. Für die beiden asiatischen Halbinseln wählte man die Bezeichnung: Groß- und Klein-Indien. Da man sich aber schon frühzeitig der Ansicht zuneigte, Abessinien zu Indien zu rechnen, wie auch bereits Procop von Cäsarea den Nil in Indien entspringen läßt, so entstand denn für jenes afrikanische Alpenland die verwirrende Benennung „das dritte Indien“ oder gar „Mittel-Indien“.

      Jordanus identificirte das dritte mit der Sansibar-Küste, Benjamin von Tudela nennt Aden am Ausgange des rothen Meeres als eine Stadt in Mittel-Indien und Marco Polo erklärt Habesch für das Hauptland davon, so daß also dieses dritte Indien asiatische und afrikanische Landschaften umfassen sollte, während endlich der 1562 in Venedig gedruckte Ptolemäus die indische Inselwelt als


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