Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Sophus Ruge

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Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen - Sophus Ruge


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Edeln bestand in Rennthierherden, woraus auf die hohe nördliche Lage des Besitzes geschlossen werden kann. Das felsige Land erstreckte sich weit nach Norden, war aber mit Ausnahme der wenigen Plätze, wo Finnen wohnten, ganz öde. Diese Finnas (Lappen) beschäftigten sich im Winter mit Jagd, im Sommer mit Fischfang. Ohthere wünschte nun, wie er dem König Alfred berichtet, einstmals zu wissen, wie weit sich das Land noch gegen Norden ausdehne, oder ob jemand noch nördlich von den Einöden wohne. Er begab sich also zu Schiff und steuerte nach Norden, behielt das Meer zur rechten und die See zur linken und segelte drei Tage lang, bis er an die Nordgrenze der Fischereireviere kam. Nach anderen drei Tagen bog das Land nach Osten um, mit günstigem Nordwestwinde schiffte er noch vier Tage bis da, wo die Küste nach Süden vorlief. Südwärts steuerte er fünf Tage, also um die Halbinsel Lappland herum in das weiße Meer und kam zur Mündung eines Flusses, wo die Küsten wieder bewohnt waren, während die nördlichsten Striche, an denen er vorüber gefahren, sich menschenarm zeigten, außer wo ärmliche finnische Fischer, Vogelsteller und Jäger ihr Leben fristeten. Hier an der Mündung eines Flusses, vielleicht des Mesen oder gar der Dwina, wohnten zahlreiche Beorma (Biarmier), dieselben schienen sprachlich mit den Finnen verwandt, ließen aber die Normannen nicht weiter ins Land eindringen, erzählten dagegen mancherlei über ihr eignes Gebiet und die Nachbarländer. Hier erfahren wir auch, daß den kühnen Seefahrer nicht blos Wißbegierde hinausgeführt, sondern daß er sein Absehen auf einen gesuchten Artikel, auf Walroßzähne, gerichtet hatte, die er auch reichlich vorfand. Das bewohnbare Land wird an der norwegischen Küste gegen Norden immer schmäler, dahinter erheben sich die wüsten Gebirge, durch welche man nach einer Wanderung von ein bis zwei Wochen bis nach Schweden gelangt, das im Norden wieder vom Kwenaland (Finnland) begrenzt wird, ein Land, das zwischen den Felswüsten von großen Süßwasserseen durchsetzt ist, welche von Einwohnern mit kleinen leichten Kähnen befahren werden.

      Aus dieser allgemeinen Schilderung des Nordens scheint nicht hervorzugehen, daß Ohthere den Land-Zusammenhang Scandinaviens mit dem Continente von Europa erkannte. Die Ostsee war in ihrem nördlichen Theile noch unerforscht. Der Normanne Wulfstan, dessen Erzählung sich gleichfalls in dem genannten Werke des Königs Alfred findet, kam auf seiner Reise nicht weiter als Elbing. Auch der deutsche Historiker Einhard sagt noch, daß die Länge der Ostsee unbekannt sei. Erst durch Adam von Bremen erfahren wir im 11. Jahrhundert, daß das baltische Meer im Norden geschlossen sei, und daß man zu Fuß von Schweden nach Rußland gelangen könnte, wenn der Verkehr nicht durch die Feindseligkeit der Bewohner gehemmt würde.

      Aber noch zu dieser Zeit gelten Fahrten nach dem bottnischen und finnischen Theil der Ostsee als gefährliche Wagnisse und wurden die Namen kühner Seefahrer, wie jener des Normannen Ganund Wolf, für würdig erachtet, der Nachwelt überliefert zu werden.

      Weitaus wichtiger indeß waren für die Erweiterung der Kenntnisse die wiederholten Streifzüge der Wickinger durch den nördlichen Ocean, über Schottland und Norwegen hinaus ins Dunkelmeer. Auf den Faröer und auf Island trafen sie irische Mönche und Einsiedler an, so daß es scheinen könnte, als ob britannische Anachoreten die Entdecker gewesen. Und doch muß es als wahrscheinlicher bezeichnet werden, daß die Geistlichen erst, nachdem die Kunde von der zufälligen Entdeckung durch normannische Seefahrer zu ihnen gelangte, sich in die Einsamkeit dahin begeben und später von den Seeräubern wieder verdrängt worden seien. So berichtet Dicuil, der um 825 schrieb,[11] daß vor hundert Jahren Eremiten von Irland aus die Felsklippen der Faröer aufgesucht, aber sich vor den Seeräubern wieder zurückgezogen hätten, so daß diese Inseln, die kein früherer Schriftsteller erwähne, nun menschenleer, aber von unzähligen Schafen und von schwärmenden Seevögeln allein belebt seien. Noch später, etwa in den letzten Jahren des 8. Jahrhunderts hatten Geistliche auch einen Sommer auf Island, (dem Thule Dicuils) zugebracht. Der erste skandinavische Pirat, der ihnen folgte, war Nadodd, der auf der Fahrt von den Faröer nach Norwegen durch Sturm nach Island verschlagen wurde. Da er in dem öden Lande keine Spur von Menschen fand, kehrte er nach den Faröer zurück. Und doch waren einige wenige Mönche dort ansässig gewesen. Nadodds Fahrt fällt wohl ins Jahr 867. Island wurde aber in der nächsten Zeit mehrfach aufgesucht, ja man darf wohl sagen, ein beliebtes Ziel für Auswanderer, so daß bald alles urbare Land seinen Herrn gefunden hatte. Aber die unsteten Gesellen fanden auch hier selten Ruhe. Wie sie vielfach nur aus Noth oder Zwang die Heimat aufgegeben hatten, trieb die innere Unruhe oder der Hang zu abenteuerlichen Fahrten weiter und machte sie zu Entdeckern Grönlands und damit zu den ersten Europäern, die amerikanischen Boden betraten. Der erste, welcher das Land sah und zwar wahrscheinlich im ersten Drittel des 10. Jahrhunderts, war Gunnbjörn; derselbe wurde auf der Fahrt nach Island zu weit westwärts getrieben und entdeckte die nach ihm benannten Gunnbjörn-Scheeren, hinter deren Klippen sich ein großes Land zeigte, Grönland. Etwa 50 Jahre später suchte Snaebjörn die Inselgruppe von neuem auf, und um 985 oder 986 ließ sich Eirik der Rothe zuerst dort nieder. Er hatte wegen Todtschlags aus Norwegen weichen müssen, ging nach Island, wurde auch dort ausgewiesen, wandte sich 982 nach Gunnbjörns Land und belegte es in den folgenden Jahren, um Ansiedler herüberzulocken, mit dem Namen „Grünes Land“, Grönland. Die Niederlassung erfolgte unter nicht unbedeutendem Zuzug von Island. Die neue Küste war bereits von Eskimos bewohnt gewesen, wie man aus den vorhandenen Erdwohnungen ersah. Infolge des lebhaften Verkehrs, der sich von Grönland aus bis nach Norwegen entwickelte, drang die Kunde der Entdeckungen auch bis zu den norddeutschen Seestädten. Adam von Bremen berichtet,[12] daß von der Weser aus friesische Männer eine Fahrt nach dem Norden, die erste deutsche Polarfahrt, unternahmen und daß sie über Island hinaus durch ein von den dichtesten Nebeln bedecktes Meer nach langer beängstigender Fahrt gegen eine Felsenküste geführt wurden, deren im Kreise sich erhebenden Felszinnen den Anblick einer wohlbefestigten Stadt zu bieten schienen. Dort trafen sie Menschen an, welche in Erdhöhlen wohnten. Als aber einer von der Mannschaft von einem riesigen Hunde vor den Augen der erschreckten Genossen überfallen und zerrissen wurde, flohen sie auf die Schiffe und wandten sich zur Heimkehr. Diese merkwürdige Expedition fällt in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts.

      Die Normannen hatten inzwischen noch weitere Entdeckungen gemacht. Ari Marsson wurde von Island nach Hvitramannaland (Weißmännerland) oder, wie man es später auch nannte, nach Groß-Irland verschlagen; ebendahin geriethen in gleicher Weise bald darauf Björn Breidvikingakappi und Guðleifr Guðlaugsson. Wir haben unter diesem Weißmännerlande irgend einen nicht näher zu bestimmenden Theil der nördlichsten Küsten Amerikas zu verstehen. Auch Bjarni entdeckte um 986 auf seiner Fahrt von Island nach Grönland neue Länder, welche bald darauf von Leif, dem Sohne Eiriks, weiter erforscht wurden. Zuerst gerieth er, etwa um 1001 oder 1002, an ein klippenreiches Gestade, dem er den Namen Helluland beilegte (von Häll, die Felsenplatte), dann fand er weiterhin bewaldetes Gebiet, welches er daher Markland nannte, zuletzt traf ein Deutscher, der die Fahrt mitmachte, Namens Tyrkir (Dietrich) sogar wilden Wein. Diesen Landstrich taufte man Weinland (Vinland); demnach muß Leif fast bis zu 41° n. Br., also bis an die vorspringende Küste des heutigen Massachusetts vorgedrungen sein. Diese wichtige Entdeckung rief sofort eine Reihe von Versuchen hervor, an jener günstigen Küste Niederlassungen zu gründen. Aber die Angriffe der Eingebornen und die Greuelthaten der wilden Normannen gegen einander vernichteten sehr bald den Keim der Colonisation, doch verbreitete sich die Kunde von jenem Lande bis nach Deutschland, wo auch Adam von Bremen die Insel Winland nennt. Gänzlich hörte indeß der Verkehr dahin auch in der Folgezeit nicht auf, wiewohl die Entdeckungen nun eine andere Richtung einschlugen und im 13. Jahrhundert die Westküste Grönlands enthüllten. Grönländische Geistliche segelten im Jahre 1266 die Baffinsbai hinauf und gelangten, wie man aus den Angaben, welche über den Sonnenstand am 25. Juli jenes Jahres gemacht wurden, schließen kann, vielleicht bis über den 75° n. Br. hinaus. Bald nach der Entdeckung der Polarländer gewann das Christenthum festen Boden. Seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts erhielt Grönland seinen eignen Bischof; der letzte derselben, welcher sein Bisthum selbst verwaltete, war Alfr, von 1368 bis 1378.[13] Seit der Zeit gab’s nur noch Titularbischöfe, deren Reihe erst 1537 schließt, so daß also noch nach der Reformation der Name Grönland fortlebt, wenn auch das Land thatsächlich wieder verschollen war. Wie unklar und verschwommen die Vorstellung von jenem Lande geworden war, lehrt ein Blick auf die Weltkarte, welche in der berühmten Ausgabe des Ptolemäus, Straßburg 1513 erschien, und in welcher Grönland als eine langgestreckte Halbinsel dargestellt ist, die an Nordeuropa, etwa an die Halbinsel Lappland angesetzt ist und gegen S.-W. sich erstreckend über Scandinavien und


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