Das große Jagen. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.abgespielt, das den Glauben der Allergnädigsten an die Unfehlbarkeit ihrer Geschosse befestigt und Herrn Anton Cajetan sarkastisch erheitert hatte. Da er seiner standesgemäßen Freundin gegenüber in anderer Weise nicht ganz auf seine hohen Kosten kommen konnte, hielt er sich zuweilen dadurch schadlos, daß er sich innerlich um so mehr über sie lustig machte, je liebenswürdiger er sie äußerlich behandelte.
Unter den Klängen der Dianenweise führte er sie an hoch erhobener Hand zur Strecke. Der Wind zauste ihre hechtgraue Pelzglocke und blies den Puder aus ihren Locken. Glücklich und stolz, den geschminkten Kreuzermund mit dem Schönheitspflästerchen vorgeschoben, stelzte sie durch den zerwühlten, mit roten Flecken übersprenkelten Schnee, in der Rechten das buntgebänderte Jagdspießchen führend, das einer für Kinderhände berechneten Schäferschippe ähnlicher sah als einer Saufeder. Dem hohen Paare folgte der Kapitular Graf Saur mit dem Kanzler von Grusdorf, der die Regierungssorgen nicht zu Hause gelassen hatte und zwischen den Lockenschnörkeln gallig in die Sonne blinzelte. Seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Allergnädigsten verdankte er die bevorzugte Stellung am Hofe; doch weil er an Podagra litt, verurteilte er weniger aus moralischen, als aus sanitären Gründen diese häufigen Elefantenfahrten, die ihm kalte Füße verursachten. Den Zug beschlossen die Domizellaren in hechtgrauer Junkertracht: die drei Barone von Hausen, Stutzing und Kulmer, und der bildhübsche, zwanzigjährige Graf Tige, der seit dem Weihnachtsspiel, in dem er als Partner der Allergnädigsten den heilbringenden Engel dargestellt hatte, ihr bevorzugter Günstling war.
Die Hörner schwiegen, der Wildmeister sagte in einer Sprache, die er nicht verstand, seinen gereimten Spruch auf – französische, sehr galante Verse, die Graf Tige verfaßt und dem Wildmeister eingelernt hatte wie einem Papagei. Dann nahm Herr Anton Cajetan die drei grünen Brüche, die ihm der Wildmeister auf dem Dreispitz hinbot, und befestigte sie am Busen der holdselig lächelnden Diana. Das vollzog sich auf eine Weise, daß es auch bei einer Chasse royale im Parke zu Fontainebleau nicht graziöser hätte geschehen können. Unter dem schmachtenden Rondo der Dianenweise schloß sich an dieses stilgemäße Jagddrama noch ein improvisiertes Satyrspiel. Einer der erlegten Keiler hatte im Verenden unter Todesqual noch eine letzte irdische Verrichtung vollzogen. Was dabei aus dem Leib des Tieres umfangreich in die Sonne getreten war, faßte Graf Tige lachend auf eine Fichtenborke, beugte elegant das Knie, hob die nach dem Weidmannsgeschmacke der Zeit mehr bewundernswerte als anrüchige Sache bis vor das zarte Näschen der etwas erschrockenen Diana und zitierte aus dem »Livre de la chasse du Grand Seneschal« die berühmten Verse:
»En la saluant humblement
Mes fumées lui presentay.
Elle me respond doulcement:
Et à vous! dont me contentay.«[B]
Der Doppelsinn dieser Reime im Zusammenhang mit den galanten Beziehungen, die zwischen Graf Tige und der Allergnädigsten en titre bestanden, weckte heiteres Gelächter. Auch Herr Anton Cajetan schmunzelte. Ein bißchen boshaft. Und Aurore de Neuenstein, halb verlegen, halb geärgert, schmollte mit ihrem Zwitscherstimmchen: »Ingrat! Vous parlez trop par métaphores!«
Scherzend senkte sie die Klinge des von Bändern flatternden Jagdspießchens gegen die Herzstelle des knieenden Junkers und mimte den Todesstoß einer zürnenden Göttin. Lächelnd erhob Herr Anton Cajetan die wehrende Hand: »Ma chérie! Vous changez les rôles contrairement à la nature des vos enfantillages.«
Neues Gelächter. Unter den Klängen des Herrengrußes kamen die Schlitten vorgefahren. Die Heimreise begann in munterer Laune und mit schicklicher Platzverteilung: der Fürstpropst nahm den Grafen Saur zu sich in den Schlitten, und Aurore de Neuenstein schmiegte sich wieder an ihren frierenden Elefanten. Weil Herr von Grusdorf das Französische nur mangelhaft beherrschte, mußte die Allergnädigste bei dieser Klingelfahrt sich ihrer heimatlichen Sprache bedienen. Geboren in der Gegend von Dillingen, schwäbelte sie ein bißchen. Das klang sehr niedlich. Doch plötzlich verstummte ihr Gezwitscher, und verwundert sah sie die alte Bäuerin an, die aus kleinem Gehöft einen plumpen, mit rauchendem Kuhmist beladenen Hörnerschlitten herauszog. Kindlich fragte Aurore: »Warum schaut denn dees Weible so bös?«
Herr von Grusdorf erwachte aus seinen Regierungssorgen. »So schauen sie hier alle. Die Untersteiner sind von unseren Subjekten die Obstinatesten. Ich besorge, daß sich da wieder ein evangelischer Provokativus remarkabel macht. Wir haben Suspizien auf einen vulgo Hasenknopf.« Das edle Fräulein lachte über den sonderbaren Namen und zirpte: »Laß ihne doch alle die Köpf runterschlage! Da habe mer Rueh, und der Glaube bleibt rein erhalte.«
Bei den letzten Häusern von Unterstein stockte die Schlittenzeile. Herr Anton Cajetan sprach mit einem Musketier, der aufgeregt dem Fürsten entgegengelaufen war. Auch der Landesherr schien in Erregung zu geraten. »Grusdorf! Da bringt man uns eine höchst mirakulöse Nachricht. Die Bäuerin im Haynacherlehen soll ein Mißgeschöpf geboren haben, das zur Hälfte weiß ist und zur Hälfte schwarz.« Aurore de Neuenstein in ihrer holden Unschuld erfaßte sofort den Humor der sonderbaren Sache und erklärte eine solche Farbenmischung für complètement incroyable, da doch kein Neger im Lande wäre.
Flink begannen die vier Klingelkisten zu jagen. Man unterhielt sich lustig und rief graziöse Späße von Schlitten zu Schlitten, ohne zu ahnen, daß man Scherz trieb mit dem Schicksal eines Menschen, dessen junges Hausglück sich verwandelt hatte in etwas Grauenhaftes.
Ehe die Hofschlitten das Haynacherlehen erreichten, hatten in Christls Gehöft schon viele Menschen sich angesammelt. Die Bauern, Weiber und Kinder der Nachbarlehen standen in Gruppen beisammen, und vom Sudhaus waren die Pfannenknechte herübergesprungen. Was in dem kleinen Haus geschehen war – an sich eine natürliche Sache, nur mißraten unter einem seltenen Irrtum der Natur – verwandelte sich für die schwer erschrockenen Leute zu einem ungeheuerlichen Ding, das die Gehirne verwirrte und die Gemüter verstörte. Weil die Haustür verriegelt war, drängten die Leute sich klumpenweis um die drei kleinen Fenster. In der Stube sahen sie die Wiege mit dem weinenden Bübchen, sahen auf dem Tisch was liegen, bedeckt mit einem rotfleckigen Leilach, und sahen die blasse Hasenknopfin hin und her laufen, immer mit einer irdenen Wasserschüssel zwischen den Händen. Am Kammerfenster war nichts zu erspähen. Man hatte innen das rote Vorhängelchen zugezogen. Nur vier Stimmen waren zu hören: das Gestammel der Hasenknopfin, die ängstliche Stimme Lewitters, die Klagelaute des jungen Bauern und eine ruhige Frauenstimme, die mit gläubiger Inbrunst zu beten schien. Leute, die am Fenster lauschten, verstanden einzelne Worte der Haynacherin. Einer fragte: »Was betet denn die?« Andere erkannten die Worte, die sie heimlich schon oft gelesen hatten – im verbotenen Paradiesgärtl – und diese anderen schwiegen, Ergriffenheit in den harten Gesichtern. Sie wußten: daß die unsichtbare Haynacherin in ihrer Todesstunde eine Sichtbare wurde.
Ein klobiges Mannsbild, einer von den fürstpröpstlichen Pfannenknechten, schrie: »Der Tod bringt's an den Tag. Die Haynacherin ist irr im Glauben. Der Christl hat's geduldet in seiner verruckten Lieb. Jetzt hat ihn der Herrgott gestraft.« Und ein aufgeregtes Mädel kreischte: »Die Hälft am Kindl hat christliche Unschuldsfarb! Der Haynacherin ihren Halbteil hat die Höll verschwärzt.« Ein alter Bauer mit grauem Bart – der Fürsager aus dem Stall der Unsichtbaren von Unterstein – sah die beiden Schreier mit zornfunkelnden Augen an: »Ihr zwei? Ihr tut euch Christen schimpfen? Ja? Und hundertmal sagen im Tag: von nun an bis in Ewigkeit? Ja?« Der Pfannenknecht brüllte: »Bist du auch einer, du?« Er sprang auf den Alten zu und packte ihn an der Schulter. Gleich drängten sich Fünfe, Sechse zwischen die beiden und deckten den alten Mann. Auch der Knecht fand Kameraden, und es wäre zu einem üblen Handel gekommen, wenn nicht am Stubenfenster ein Kinderstimmchen gerufen hätte: »Jetzt kommt der Jud!« Die Leute guckten.
Simeon Lewitter, mit der Ledertasche in der Linken, eingehüllt in seinen dicken Fuchspelz, trat aus der Haustür, die hinter ihm von der Hasenknopfin wieder verriegelt wurde. In seinem erschöpften, kreidebleichen Gesichte mischte sich scheue Ängstlichkeit mit Zorn und Trauer. »Seid doch verständig, Leut, und geht zu euren Dächern. In des braven Christls Haus ist das Unglück eingekehrt. Vergönnt ihm aus Erbarmen den Frieden, den er nötig hat!« Zwanzig, dreißig Stimmen redeten durcheinander und verstummten plötzlich. Ein Peitschenknall, ein heitertönendes