Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

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Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Glück gehabt in der ganzen Sache. Nicht einmal für ein Kind sorgen zu müssen!«

      »Du hast zwei Fehler, Berthold. Erstens bist du wirklich ein ungütiger Mensch, und zweitens läßt du einen nicht ausreden. Ich wollte nämlich sagen, daß es zwischen Anna und dem Baron Wergenthin durchaus nicht aus zu sein scheint. Erst vorgestern hat sie mir einen Gruß von ihm ausgerichtet.«

      Berthold zuckte die Achseln, als wäre diese Angelegenheit für ihn erledigt. »Wie geht’s denn dem alten Rosner?« fragte er dann.

      »Diesmal kommt er wohl noch durch«, erwiderte der Alte. »Übrigens hoff ich, Berthold, du hast dir die nötige Objektivität bewahrt, um zu wissen, daß an seinen Anfällen nicht der Gram um die »ungeratene Tochter« schuld ist, sondern eine leider ziemlich weit vorgeschrittene Arteriosklerose.«

      »Gibt Anna wieder ihre Lektionen?« fragte Berthold nach einigem Zögern.

      »Ja«, erwiderte der Alte, »aber vielleicht nicht mehr lang.« Und er zeigte seinem Sohn die Visitenkarte, die er noch immer in der Hand hielt.

      Berthold verzog die Mundwinkel. »Du denkst«, fragte er spöttisch, »er kommt her, um Hochzeit zu feiern, Vater?«

      »Das werd ich gleich erfahren«, erwiderte der Alte. »Jedenfalls freu ich mich, ihn wiederzusehen – denn ich versichre dich, daß er einer der sympathischsten jungen Menschen ist, die ich je kennen gelernt habe.«

      »Merkwürdig«, sagte Berthold. »Ein Herzenbezwinger ohnegleichen. Auch Therese schwärmt für ihn. Und Heinrich Bermann neulich, es war fast komisch… Nun ja, ein schöner, schlanker, blonder junger Mann; Freiherr, Germane, Christ – welcher Jude könnte diesem Zauber widerstehen… Adieu, Vater!«

      »Berthold!«

      »Was denn?« Er biß sich auf die Lippen.

      »Besinn dich auf dich! Wisse, wer du bist.«

      »Ich… weiß es.«

      »Nein. Du weißt es nicht. Sonst könntest du nicht so oft vergessen, wer die andern sind.«

      Wie fragend hob Berthold den Kopf.

      »Du solltest einmal zu Rosners hingehen. Es ist deiner nicht würdig, daß du Anna deine Mißbilligung in so – kindischer Weise zu erkennen gibst. – Auf Wiedersehen… Und gute Unterhaltung in der silbernen Weintraube.« Er reichte dem Sohn die Hand, dann begab er sich in sein Sprechzimmer. Er öffnete die Türe des Wartesalons und lud Georg von Wergenthin, der in einem Album blätterte, durch eine freundliche Neigung des Kopfes ein, bei ihm einzutreten.

      »Vor allem Herr Doktor«, sagte Georg, nachdem er Platz genommen hatte, »muß ich mich bei Ihnen entschuldigen. Meine Abreise kam so plötzlich… Leider hatte ich keine Gelegenheit mehr, mich bei Ihnen zu verabschieden, Ihnen persönlich zu danken, für Ihre große…«

      Doktor Stauber wehrte ab. »Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen«, sagte er dann. »Sie sind wohl auf Urlaub hier in Wien?«

      »Natürlich«, erwiderte Georg. »Es ist ein Urlaub von nur drei Tagen. So dringend brauchen sie mich dort«, setzte er bescheiden lächelnd hinzu.

      Doktor Stauber saß ihm gegenüber im Schreibtischsessel und betrachtete ihn freundlich. »Sie fühlen sich sehr zufrieden in Ihrer neuen Stellung, wie mir Anna sagt.«

      »O ja. Schwierigkeiten gibt es natürlich überall, wenn man so plötzlich in neue Verhältnisse kommt. Aber im ganzen hat sich wirklich alles viel leichter gemacht, als ich erwartet hätte.«

      »So hör’ ich. Auch bei Hof sollen Sie sich ja schon sehr glücklich eingeführt haben.«

      Georg lächelte. »Diesen Vorgang stellt sich Anna offenbar großartiger vor, als er war. Ich habe beim Erbprinzen einmal gespielt; und ein weibliches Mitglied des Theaters hat dort zwei Lieder von mir gesungen; das ist alles. Viel wesentlicher ist, daß ich Aussicht habe, noch in dieser Saison zum Kapellmeister ernannt zu werden.«

      »Ich dachte, Sie wären es schon.«

      »Nein, Herr Doktor, offiziell noch nicht. Ich hab zwar schon ein paarmal dirigiert, in Vertretung, Freischütz und Undine; aber vorläufig bin ich nur Korrepetitor.«

      Auf weitere Fragen des Arztes erzählte er noch einiges von seiner Wirksamkeit an der Detmolder Oper, dann stand er auf und empfahl sich.

      »Vielleicht kann ich Sie eine Strecke in meinem Wagen mitnehmen«, sagte der Arzt, »ich fahre in die Rembrandtstraße, zu Golowskis.«

      »Danke sehr, Herr Doktor, das liegt nicht in meiner Richtung. Ich habe übrigens vor, im Laufe des morgigen Tags Frau Golowski zu besuchen. Sie ist doch nicht krank?«

      »Nein. Freilich, ganz spurlos sind die Aufregungen der letzten Wochen nicht an ihr vorübergegangen.«

      Georg erwähnte, daß er gleich nach dem Duell ein paar Worte an sie und auch an Leo geschrieben hätte. »Wenn man denkt, daß es auch anders hätte ausfallen können…«, setzte er hinzu.

      Doktor Stauber sah vor sich hin. »Kinder haben ist ein Glück«, sagte er, »für das man in Raten bezahlt… und man weiß bei keiner, ob der da droben schon zufrieden gestellt ist.«

      An der Tür begann Georg etwas zögernd: »Ich wollte mich auch… bei Ihnen erkundigen, Herr Doktor, wie es denn eigentlich mit Herrn Rosner steht… Ich muß sagen, ich fand ihn besser aussehend, als ich nach Annas Briefen erwartet hatte.«

      »Ich hoffe, daß er sich erholen wird«, erwiderte Stauber. »Aber immerhin muß man bedenken… er ist ein alter Mann. Sogar älter, als er seinen Jahren nach sein müßte.«

      »Aber um etwas Ernstes handelt es sich nicht?«

      »Das Alter ist an sich eine ernste Angelegenheit«, entgegnete Doktor Stauber, »besonders wenn alles, was vorherging, Jugend und Mannheit, auch nicht sonderlich heiter waren.«

      Georg hatte seine Augen im Zimmer umherschweifen lassen und rief plötzlich aus: »Da fällt mir ein, Herr Doktor, ich habe Ihnen noch immer nicht die Bücher zurückgeschickt, die Sie so gut waren, mir im Frühjahr zu leihen. Und jetzt stehen alle unsere Sachen leider beim Spediteur; die Bücher geradeso wie Silberzeug, Möbel, Bilder. Also ich muß Sie bitten, Herr Doktor, sich bis zum Frühjahr zu gedulden.«

      »Wenn Sie keine ärgern Sorgen haben, lieber Baron…«

      Sie gingen zusammen die Treppe hinunter, und Doktor Stauber erkundigte sich nach Felician.

      »Er ist in Athen«, erwiderte Georg, »ich hab erst zweimal Nachrichten von ihm gehabt, noch nicht sehr ausführliche… Wie sonderbar das ist, Herr Doktor, so als Fremder in eine Stadt zurückzukommen, in der man vor kurzem noch zu Hause war, und in einem Hotel zu wohnen, als ein Herr aus Detmold…«

      Doktor Stauber stieg in den Wagen ein. Georg bat, Frau Golowski vielmals zu grüßen.

      »Ich werd’s ausrichten. Und Ihnen, lieber Baron, wünsch ich weiter viel Glück. Auf Wiedersehen!«

      Auf der Uhr der Stephanskirche war es fünf. Eine leere Stunde lag vor Georg. Er beschloß, in dem dünnen, lauen Herbstregen langsam in die Vorstadt hinauszubummeln, was auch eine Art Erholung bedeutete. Die Nacht im Kupee hatte er beinahe schlaflos verbracht, und schon zwei Stunden nach seiner Ankunft war er bei Rosners gewesen. Anna selbst hatte ihm die Tür geöffnet und ihn mit einem innigen Kuß empfangen, ihn aber gleich ins Zimmer geleitet, wo ihre Eltern ihn eher höflich als herzlich begrüßten. Die Mutter, befangen und leicht verletzt, wie immer, sprach nur wenig; der Vater, in der Divanecke sitzend, einen drapfarbenen Plaid über den Knien, fühlte sich verpflichtet, Erkundigungen nach den gesellschaftlichen und musikalischen Zuständen der kleinen Residenz einzuziehen, aus der Georg kam. Dann war er mit Anna eine Weile allein gewesen; in allzuhastiger Frag-und Antwortrede zuerst, später in matt verlegenen Zärtlichkeiten, beide wie betroffen, das Glück des Wiedersehens nicht so zu empfinden, wie die Sehnsucht es versprochen hatte. Sehr bald erschien eine Schülerin Annas; Georg empfahl sich, und im Vorzimmer vereinbarte er mit der Geliebten noch rasch ein Rendezvous für heute Abend; er wollte sie von


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