Reisen in Westafrika. Mary Henrietta Kingsley

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Reisen in Westafrika - Mary Henrietta  Kingsley


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Letzteres wäre sehr überraschend, denn die Hälfte der Tiere sieht aus, als würde sie nicht den Abend erleben. Man sagte mir auch, käme man ihnen nahe, verströmten sie einen »’tarken, ’tarken, su ’tarken G’tank«. Ich prüfte diese Aussage nicht, bin aber gerne bereit, ihr Glauben zu schenken.

      An Tieren sieht man ansonsten vor allem Ziegen und Schafe. Ich muss sie gemeinsam nennen, da es immer schwieriger wird, beide voneinander zu unterscheiden. Immerhin gilt überall das Gesetz, wonach Schafe ihren Schwanz hängend und Ziegen aufrecht tragen, doch glücklicherweise muss man sich hierüber wenig Gedanken machen, denn beide schmecken »nach dem Nichts, aus dem die Welt geschaffen ist«, um es mit den Worten von Frau Buchholtz zu sagen. Darüber hinaus teilen sie das faserige Fleisch und blöken auf ähnliche Weise. Es gibt hier auch kleine, zimtfarbene Rinder, aber praktisch keine Pferde. Ab und zu importiert irgendjemand ein Pferd, weil er nicht einsieht, warum es hier nicht genauso gut leben können sollte wie in Accra oder Lagos, aber das Tier geht jedes Mal bald ein. Einige behaupten, schuld seien die Einheimischen, die vom Tragen der Lasten lebten, und die Tiere vergifteten, andere geben der Tsetsefliege die Schuld. Ich stimme einer dritten Gruppe zu, die die Schuld beim Entozoa-Wurm suchen. Kleine, geschmeidige, dürre, gelbe Hunde mit hoch aufgerichteten Ohren führen ein elendes Dasein. Sie werden von allen möglichen Krankheiten gepeinigt, vor allem jedoch von den Ziegen, die ihren Nachwuchs auf den grasbedeckten Straßen großziehen und sich von den Hunden bedroht fühlen. Zu guter Letzt ist da noch das Schwein – eine reiche Einkommensquelle für den örtlichen Anwalt.

      Die nächsten interessanteren Zwischenstopps legten wir in Cape Coast Castle und dann in Accra ein. Ersteres sieht vom Steg aus betrachtet gut aus und als ob es in jüngster Zeit frisch getüncht worden wäre. Es ist umgeben von niedrigen, dicht bewaldeten Hügeln, die sich fast direkt aus dem Meer erheben. Aus der Ferne betrachtet verraten seine alten Mauern ihren Verfall nicht. Darüber hinaus tragen auch die drei steinernen Forts, Fort Victoria, Fort William und Fort Macarthy, auf verschiedenen Hügeln über der Stadt zum Eindruck von Dauerhaftigkeit bei, der so anders ist als die gewohnte Baufälligkeit der Westküsten-Siedlungen. Selbst wenn man an Land geht und die Zeit hat, die von der Brandung durcheinandergebrachten Sinne wieder zu ordnen, wirkt diese Dauerhaftigkeit noch immer echt: Nicht bloß wie eine durch bemaltes Holz geschaffene optische Illusion, als welche sich die lediglich scheinbare Dauerhaftigkeit Sierra Leones entpuppt, sobald man sich ihr zu sehr nähert. Es kostet einige mentale Anstrengungen zu akzeptieren, dass Cape Coast seit Jahrhunderten in europäischen Händen ist, doch es bedarf beinahe unmoderner Glaubenskraft, sich dies bei all den anderen Siedlungen entlang der gesamten Westküste vorzustellen. Zumindest, bis man das Vergnügen hat, tief im Süden jenseits des Kongo die schöne Stadt São Paulo de Loanda zu erblicken.

      Meine Erfahrungen während jenes Aufenthalts in Cape Coast zählen zu den heißesten aber auch angenehmsten, die ich an der gesamten Goldküste sammeln durfte. Ersteres verdankt sich dem Klima, Letzteres meinen lieben Freunden Mr. Batty sowie Mr. und Mrs. Dennis Kemp. Sie zeigten mir die großen, aus Stein gebauten Häuser mit ihren von hohen Mauern umgebenden Höfen und mit Skulpturen geschmückten Toren, welche die Händler des vergangenen Jahrhunderts und des Jahrhunderts davor errichteten, und führten mich durch das große, weitläufige Castle mit seinen in den Felsboden geschnittenen Zisternen und geräumigen Unterbringungen für Sklaven vor ihrer Einschiffung. Sie sind heute fast so obsolet wie die Kanonen auf den Mauern, aber doch nicht ganz, denn in diesen kühlen Räumen mit reichlich Platz wohnen nun einheimische Polizisten und ihre vielköpfigen Familien.

      Anschließend führten mich meine Freunde einen vollkommenen Hügel hinauf, auf dessen Gipfel sich Fort William erhebt, ein Gebäude, das einer Pfefferbüchse ähnelt und nun als Leuchtturm genutzt wird. Der Blick von der Spitze war außerordentlich schön und weit. Zu unseren Füßen lag zwischen uns und dem Meer die Stadt in der glühenden Sonne. Zwischen ihren großen Steinhäusern schmiegten sich die Lehmhütten der Einheimischen grüppchenweise aneinander, als ob man sie als Füllmaterial über der Stadt ausgeschüttet hätte. Dann kam der schneeweiße Brandungsstreifen und jenseits davon die blaue See mit unserem Dampfer, der im langen regelmäßigen Schwell auf und ab schlingerte und ungeduldig darauf wartete, bis der Sonntag zu Ende ginge und Fracht geladen werden konnte. Auf allen anderen Seiten umgaben uns bewaldete Hügel und Täler, nur im Westen zeigte sich in einiger Entfernung die weiße Stadt Elmina und ihr Castle sowie die knapp 15 Kilometer lange Straße dorthin. Sie mied die der Brandung ausgesetzte Küste, und die Mündung des Sweet River unterbrach ihre gerade Linie. Über allem lag die brütende Stille der Mittagshitze, gebrochen nur vom dumpfen Donner der Brandung.

      Nachdem wir den Ausblick ausreichend genossen hatten, stiegen wir die Treppe wieder hinab unter das Bodenniveau in eine Art trockenen Graben, von den aus saubere, kühle, kellerähnliche Kammern ins Erdreich führten. Diese waren, so informierte man mich, ebenfalls für die Haltung von Sklaven angelegt worden, als diese das wichtigste Exportgut der Goldküste waren. Die Kammern waren so erfrischend kühl, dass ich bei ihrer Besichtigung und der ihrer massiven Türen trödelte, bis man mich wieder zum Ausgang führte. Es ging nun den Hügel hinab durch einige einzigartig widerliche Gerüche vor allem nach Gummi zur großen wesleyanischen Kirche in der Mitte der Stadt. Sie ist im schrecklichen afrikanisch-gotischen Stil erbaut, im Vergleich jedoch schöner als die Kathedrale von Freetown, insbesondere im Innern. Anschließend kehrten wir zur Mission zurück und verbrachten dort einen sehr angenehmen Abend – sieht man einmal von meinem schlechten Gewissen ab, dass meine Freunde sich allein meiner Erbauung wegen den ganzen Tag durch die ihnen ja wohlbekannte Stadt gequält hatten. Die wesleyanische Missionsstation an der Goldküste, der Mr. Dennis Kamp zu jener Zeit vorstand, ist die größte und einflussreichste protestantische Mission an der afrikanischen Westküste, derzeit erweitert sie ihr religiöses und theologisches Ressort erfreulicherweise um eine technische Abteilung. Die Basler Mission hat viel Arbeit in technische Hilfe für die Einheimischen gesteckt und in diesem wichtigsten Teil ihrer Ausbildung eine Vorreiterrolle. Es gibt hier noch endlos viel zu tun, gerade die Technik der Afrikaner ist auf eine seltsame Weise unterentwickelt, tatsächlich sogar weitaus stärker unterentwickelt als andere Bereiche.

      Nach Cape Coast war unser nächster Hafen Accra, eine von fünf Städten der Westküste, die von See aus einen schönen Anblick bieten. Die anderen sehen von nirgendwo schön aus. Nach ihrer Schönheit sortiert steht an der Spitze Luanda, dann Cape Coast mit seiner Vorstadt Elmina, dann Libreville, dann Accra mit Christiansborg und zuletzt Freetown.

      Was Accra an Schönheit zu bieten hat, ist orientalisch. Von See aus betrachtet erwecken Fort St. James zur Linken und Cristiansborg Castle zur Rechten, beide fast auf Meereshöhe, zusammen mit einigen niedrigen Sandklippen den Eindruck einer gewissen Ausgewogenheit und Stärke. Ohne diese beiden alten Festungen jedoch wäre Accra nur eine ärmliche und unscheinbare Siedlung, denn der Rest besteht aus einer Masse minderwertiger Hütten aus Lehm und Palmblättern sowie Wellblechbehausungen für die Europäer.

      Wellblech ist mein Albtraum. Ich verstehe durchaus seine Vorteile und greife es auch nicht aus ästhetischen Gründen an. Weiß angestrichen sieht es sogar einigermaßen schön aus. In der Nähe von Christiansborg Castle gibt es einige Bungalows und Büros für Beamte und ihre Ehefrauen, die aus der Entfernung im gleißenden Sonnenlicht wie eine Ansammlung schneeweißer Zelte unter Kokospalmen wirken. Recht hübsch, mir ist auch bewusst, dass ein Dach aus Wellblech es dem Bewohner ermöglicht, Regenwasser zu sammeln, das sauberste Wasser, das man an der Westküste bekommen kann (solange man nicht gerade ein oder zwei Stunden vor dem Sammeln des Regens besagtes Dach mit roter Farbe gestrichen hat, wie dies einmal ein Freund von mit tat). Doch die Hitze ist unter diesen eisernen Dächern wesentlich größer als in Gebäuden aus Lehm, Ziegeln oder Holz und die Temperaturschwankungen passieren plötzlicher: Morgens und abends ist es kalt und feucht, zugig sind diese Häuser immer. Auf diese Weise bekommt man eine Erkältung verpasst, die mit Fieber einhergeht, und Fieber bedeutet in Westafrika mehr als an den meisten anderen Orten.

      In Accra begleitet mich Lady MacDonald an Land, was mir Gelegenheiten und Vorteile bot, die ich ansonsten nicht genossen hätte. Da war die Gastfreundschaft des Gouverneurs, der luxuriöse Transport von der Landungsstelle zu Christiansborg Castle und eine ausführliche Besichtigung der im Bau befindlichen Kathedrale. Dann die seltsame und hochinteressante Erfahrung, während der gemeinsamen Teezeit in einer Polizeistation einen König zu treffen –


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