Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
Читать онлайн книгу.schon ein anderer weggenommen hatte.
»Mit den Fingerchen, Maria Henrichowna«, sagte Rostow, »das wird noch schöner schmecken!«
»Es ist zu heiß«, sagte sie, vor Vergnügen errötend. – Als der Samowar ausgetrunken war, nahm Rostow die Karten und schlug vor, mit der jungen Frau das Königsspiel zu spielen. Wer König werde, solle das Recht haben, ihr Händchen zu küssen; und wer der Narr bleibe, solle einen neuen Samowar für den Doktor aufstellen.
»Nun, und wenn die Frau Doktorin König wird?« fragte Ilin.
»Sie ist ohnedies schon Königin, und ihr Befehl ist Gesetz.«
Kaum hatte das Spiel begonnen, als hinter der jungen Frau plötzlich der Kopf des Doktors erschien. Er war schon lange erwacht und hörte zu, fand aber nichts Heiteres in allem, was vorging. Ohne die Offiziere zu begrüßen, suchte er den Ausgang, den man ihm versperrte. Als er das Zimmer verlassen hatte, brachen alle Offiziere in ein lautes Gelächter aus, und Maria Henrichowna errötete tief und wurde dadurch in den Augen der Offiziere noch bezaubernder. Als der Doktor hereinkam, sagte er, der Regen sei vorüber und es sei Zeit, in der Kibitka schlafen zu gehen, sonst werde noch alles weggestohlen.
»Ich werde eine Wache aufstellen … zwei«, sagte Rostow. »Seien Sie vernünftig, Doktor!«
»Ich werde selbst Wache stehen!« rief Ilin.
»Nein, meine Herren, Sie haben ausgeschlafen, aber ich habe zwei Nächte kein Auge geschlossen«, sagte der Doktor und setzte sich mürrisch neben seine Frau, um das Ende des Spieles abzuwarten. Die Offiziere fanden die finstere Miene des Doktors sehr belustigend, und einige konnten ihr Gelächter nicht zurückhalten, dem sie dann rasch einen anderen Vorwand zu geben suchten. Als der Doktor mit seiner Frau gegangen und in die Kibitka gestiegen war, legten sich die Offiziere in der Krugstube nieder und bedeckten sich mit ihren nassen Mänteln, aber das Gespräch und Gelächter verstummte noch lange nicht.
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Um drei Uhr war noch niemand eingeschlafen, als der Wachtmeister erschien mit dem Befehl, nach dem Dörfchen Ostrowna vorzurücken. Alle Offiziere erhoben sich, wieder wurde der Samowar mit dem schmutzigen Wasser aufgestellt, aber Rostow wartete nicht den Tee ab und ging zu seiner Schwadron. Es dämmerte bereits und der Regen hatte aufgehört. Es war feucht und kalt, besonders in dem feuchten Mantel. Als Rostow und Ilin heraustraten, erblickten sie das im Regen glänzende Lederdach der Kibitka des Doktors. Unter der Decke sahen die Füße des Doktors hervor und in der Mitte erblickten sie auf einem Kissen das Häubchen der Doktorin, welche friedlich schnarchte.
»Sie ist wirklich sehr niedlich«, sagte Rostow.
»Eine entzückende Frau«, bestätigte Ilin mit seinem sechzehnjährigen Ernst.
Nach einer halben Stunde stand die Schwadron auf dem Wege. Auf das Kommando: »Aufsitzen!« bekreuzigten sich die Soldaten und stiegen zu Pferde. Rostow kommandierte: »Marsch!« und die Schwadron setzte sich in Bewegung. Unter dem Klatschen der Hufschläge auf dem aufgeweichten Wege, dem Klirren der Säbel und leisem Gespräch folgten sie auf der großen, mit Birken besetzten Landstraße der vorangegangenen Infanterie und der Batterie nach. Zerrissene dunkelrote Wolken wurden vom Winde rasch weitergetrieben. Es wurde heller und heller, immer deutlicher sah man die Gesichter der Soldaten.
Im Feldzuge erlaubte sich Rostow, nicht auf einem Regimentspferde, sondern einem Kosakenpferde zu reiten. Als Kenner und Liebhaber hatte er sich kürzlich ein feuriges Pferd vom Don verschafft, auf dem ihn niemand einholte. Für Rostow war es ein Entzücken, dieses Pferd zu reiten. Er dachte an sein Pferd, an den Morgen, an die Doktorin, aber nicht ein einziges Mal an die bevorstehende Gefahr.
Früher hatte sich Rostow gefürchtet, wenn es zum Gefecht ging, jetzt aber empfand er dieses Gefühl nicht mehr. Nicht deshalb, weil er sich an das Feuer gewöhnt hatte, denn an die Gefahr kann man sich nicht gewöhnen, sondern deshalb, weil er gelernt hatte, in der Gefahr die Herrschaft über sich selbst beizubehalten. Er gewöhnte sich, wenn es ins Gefecht ging, an alles zu denken, nur nicht an das, was das Interessanteste sein mußte – an die bevorstehende Gefahr. Trotz aller Bemühungen und Selbstvorwürfe wegen seiner Feigheit war ihm in der ersten Zeit seines Dienstes dies nicht gelungen, aber mit den Jahren kam das ganz von selbst. Er ritt jetzt neben Ilin durch die Birkenallee, riß zuweilen ein Blatt von einem Zweigchen ab, oder rauchte seine Pfeife mit so ruhigem Aussehen, als ob er spazierenreite. Mitleidig blickte er in das aufgeregte Gesicht Ilins, welcher viel und unruhig sprach, denn er kannte aus Erfahrung den peinlichen Zustand der Erwartung und Furcht vor dem Tode, in dem sich der Kornett befand. Er wußte, daß nur die Zeit dies heilen könne.
Die Sonne kam aus den Wolken hervor, der Wind schwieg, als ob er diesen entzückenden Sommermorgen nicht stören wolle. Ein Strom von Licht ergoß sich über die Ebene, in der Ferne ertönten Kanonenschüsse. Noch war Rostow bemüht, zu schätzen, wie weit diese Schüsse entfernt seien, als von Witebsk her ein Adjutant des Grafen Ostermann galoppiert kam mit dem Befehl, im Trab auf dem Wege vorzugehen.
Die Schwadron überholte die Infanterie und die Batterie, welche gleichfalls vorwärts eilten, ritt einen Abhang hinab durch ein verlassenes Dorf und dann wieder bergan.
»Halt! Richtet euch!« hörte man vorn das Kommando des Divisionärs. »Nach rechts einschwenken! Im Schritt marsch!« wurde kommandiert. Die Husaren gingen hinter der Linie der Truppen auf dem linken Flügel und stellten sich hinter unseren Ulanen auf, welche in der ersten Linie standen. Rechts stand Infanterie in dichter Kolonne – das waren unsere Reserven. Höher am Bergabhang sah man in der reinen Morgenluft scharf und deutlich unsere Kanonen, vorwärts, jenseits eines Hohlwegs, wurden feindliche Kolonnen und Kanonen sichtbar. Im Hohlweg hörte man unsere Kette, welche bereits das Gefecht eröffnet hatte und sich lustig mit dem Feind herumschoß. Rostow wurde von diesen lange nicht gehörten Schüssen vergnügt zumute. Trap–ta–ta–tap ertönten plötzlich rasch hintereinander einige Schüsse und dann schwieg alles wieder.
Die Husaren standen etwa eine Stunde auf demselben Platz; während Graf Ostermann mit seiner Suite hinter der Schwadron vorüberritt, begann auch das Geschützfeuer. Dann hörte man bei den Ulanen ein Kommando: »In Kolonne zur Attacke!« Die Infanterie vor ihnen verdoppelte ihre Abstände, um die Ulanen durchzulassen. Lustig flatterten die Fähnchen an den Lanzen, während die Ulanen nach dem Berg zu galoppierten, wo sich französische Kavallerie zeigte.
Dann erhielten die Husaren den Befehl, an Stelle der Ulanen die Bedeckung der Batterie zu übernehmen.
Das lange nicht gehörte Pfeifen und Zischen der vorüberfliegenden Kugeln wirkte freudig erregend auf Rostow. Er richtete sich auf und überblickte das Schlachtfeld. Die Ulanen waren den französischen Dragonern schon ganz nahe und verschwanden in einer Staubwolke. Nach fünf Minuten aber kamen sie zurück, und zwischen den Ulanen und hinter ihnen folgten in starken Haufen die französischen Dragoner auf grauen Pferden.
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Rostow erblickte mit seinen scharfen Geieraugen sehr bald die französischen Dragoner, welche unsere Ulanen verfolgten. Näher und näher kamen die Ulanen in aufgelösten Gruppen. Rostow sah, wie auf der Jagd, was vor ihm vorging, er wußte, wenn er jetzt mit den Husaren auf die französischen Dragoner stürzen würde, so würden diese nicht standhalten können, aber daß dies sofort geschehen mußte, sonst entschwand der günstige Augenblick. Er blickte sich um. Der Rittmeister, der neben ihm stand, blickte auch gespannt nach dem Feinde.
»Andree Sewastianitsch«, sagte Rostow, »wir werden sie werfen! …«
»Das wäre ein feines Stück«, sagte der Rittmeister. »Aber wirklich …«
Rostow hörte nicht weiter, galoppierte vor die Schwadron, und noch hatte er kaum das Kommando ausgesprochen, als die