Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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gefangenen Spionen, von einem in Moskau zirkulierenden Papier, in welchem gesagt war, Napoleon habe verkündet, er werde im Herbst in beiden russischen Residenzen einziehen, die Gerüchte von der morgen erwarteten Ankunft des Kaisers – alles das erregte in Peter mit neuer Gewalt das Gefühl aufgeregter Spannung, welches ihn seit dem Erscheinen des Kometen und besonders seit dem Anfang des Krieges nicht mehr verlassen hatte.

      Peter hatte schon lange daran gedacht, in den Kriegsdienst einzutreten, und hätte das auch getan, wenn ihn nicht seine Zugehörigkeit zum Freimaurerorden davon abgehalten hätte, mit welchem ihn ein Schwur verband und welcher den ewigen Frieden und das Aufhören der Kriege verkündigte, und wenn ihn nicht der Anblick der großen Zahl von Moskauer Herren, welche die Uniform angelegt hatten und mit ihrem Patriotismus prahlten, von diesem Schritt abgehalten hätte.

      148

       Inhaltsverzeichnis

      Bei Rostows speisten einige Bekannte, wie Sonntags immer.

      Peter kam früher, um sie allein anzutreffen. Er war in diesem Jahr so dick geworden, daß er beinahe ungeheuerlich ausgesehen hätte ohne seinen hohen Wuchs, seine mächtigen Glieder und die Kraft, mit der er augenscheinlich die Last trug.

      Keuchend stieg er die Treppe hinauf. Die Diener kamen ihm freudig entgegen, um ihm den Mantel, Hut und Stock abzunehmen.

      Die erste Person, die er sah, war Natalie. Er hatte sie schon im Vorzimmer gehört, sie sang Solfeggien im Saale. Er wußte, daß sie seit ihrer Krankheit nicht mehr gesungen hatte, und hörte deshalb erfreut ihre Stimme. Leise öffnete er die Tür und sah Natalie in ihrem veilchenblauen Kleide singend im Zimmer auf und ab gehen. Als sie sich plötzlich umwandte und sein dickes, verwundertes Gesicht sah, errötete sie und ging ihm rasch entgegen.

      »Ich versuche, wieder zu singen, man muß sich doch mit etwas beschäftigen«, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wollte.

      »Es geht ja ganz vortrefflich!«

      »Wie erfreut bin ich, daß Sie gekommen sind! Ich bin heute so glücklich!« sagte sie mit ihrer früheren Lebhaftigkeit, wie er sie lange nicht gesehen hatte. »Sie wissen, mein Bruder hat das Georgenkreuz erhalten, ich bin so stolz auf ihn.«

      »Ich weiß, ich habe den Armeebefehl mitgebracht. Aber ich will Sie nicht stören!« Damit wollte er vorübergehen in den Salon, aber Natalie hielt ihn an.

      »Mißfällt es Ihnen, Graf, daß ich singe?« sagte sie errötend und blickte ihn fragend an.

      »Nein… im Gegenteil… Aber warum fragen Sie mich?«

      »Ich weiß nicht«, erwiderte Natalie rasch. »Aber ich möchte nichts tun, was Ihnen mißfällt. Ich vertraue Ihnen in allem, Sie wissen nicht, wie wichtig Sie für mich sind…« Sie sprach rasch, ohne zu bemerken, daß Peter bei diesen Worten errötete. – »Ich habe gelesen, daß er, Bolkonsky«, flüsterte sie, »in Rußland ist und hier dient. Was meinen Sie«, fragte sie hastig und schüchtern, »wird er mir später einmal vergeben? Was meinen Sie? Wie denken Sie?«

      »Ich meine …« sagte Peter, »er hat nichts zu vergeben. Wenn ich an seiner Stelle wäre …«

      »Ja, Sie! Sie!« rief sie entzückt. »Das ist etwas anderes. Gutherziger und großmütiger als Sie ist niemand zu finden! Wenn Sie damals nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, denn…« Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen, sie wandte sich ab, hielt das Notenblatt vor die Augen und begann wieder zu singen.

      Aus dem Salon kam Petja gelaufen. Er war jetzt ein hübscher, rotwangiger, fünfzehnjähriger Knabe mit dicken roten Lippen und Natalie sehr ähnlich. Er sollte sich auf die Universität vorbereiten, aber in letzter Zeit hatte er sich mit seinem Freund Obolensky verabredet, zu den Husaren zu gehen, und hatte Peter gebeten, sich zu erkundigen, ob man ihn annehmen werde.

      »Nun, wie ist’s, Peter Kirilitsch? Bitte, bitte, Sie sind meine einzige Hoffnung!« rief Petja.

      »Ach, ja, ja! Also zu den Husaren? Nun, ich werde noch heute darüber sprechen.«

      »Nun, mein Lieber, haben Sie das Manifest gebracht?« fragte der alte Graf! »Die Gräfin war in der Kirche, man hat ein neues Gebet gesprochen, sie sagt, es sei sehr schön.«

      »Das Manifest? Ich habe es bei mir«, erwiderte Peter. »Morgen wird der Kaiser ankommen, eine außerordentliche Adelsversammlung ist einberufen, und man sagt, es werden zehn von tausend ausgehoben.«

      »Nun, und was hört man von der Armee?«

      »Die Unsrigen haben sich alle zurückgezogen, man sagt, sie seien schon bei Smolensk«, erwiderte Peter.

      »Mein Gott, mein Gott«, sagte der Graf. »Wo haben Sie das Manifest?«

      »Den Aufruf?«

      »Ja, ja.«

      Peter suchte in seinen Taschen, konnte aber das Papier nicht finden. Er küßte der eintretenden Gräfin die Hand und fuhr fort, in seinen Taschen zu wühlen. »Ich weiß wirklich nicht, wo ich es gelassen habe.«

      »Ein bißchen zerstreut, wie immer!« sagte die Gräfin. Natalie trat mit aufgeregter Miene ein, setzte sich und blickte schweigend Peter an. Sobald sie eingetreten war, strahlte sein Gesicht.

      »Nun, ich werde nach Hause fahren, ich muß es dort vergessen haben«, sagte er.

      »Nein, Sie werden zu Tisch zu spät kommen!« Sonja war bereits ins Vorzimmer gegangen und hatte das Papier in Peters Hut gefunden, wo er es sorgfältig bereit gelegt hatte, und wollte es sogleich vorlesen.

      »Nein, nach Tisch!« sagte der alte Graf, der diese Vorlesung für ein großes Vergnügen ansah.

      Nach Tisch wurde Champagner getrunken auf die Gesundheit des neuen Georgenritters. Schinschin erzählte von Stadtneuigkeiten, von Metivier; der aus Moskau verschwunden war, und von Rostoptschin, dem man einen Deutschen vorgeführt habe mit der Beschuldigung, er sei ein Champignon, und wie Rostoptschin befohlen habe, den Champignon freizulassen und dem Volk gesagt habe, das sei kein Champignon, sondern nur ein alter, deutscher Pilz.

      »Ja, ja«, sagte der Graf, »ich habe der Gräfin schon gesagt, sie soll weniger französisch sprechen, das schickt sich jetzt nicht.«

      »Haben Sie schon gehört«, sagte Schinschin, »Fürst Galizin hat einen russischen Lehrer genommen, er will Russisch lernen, es wird gefährlich, auf den Straßen Französisch zu sprechen.«

      Nach Tisch lehnte sich der Graf auf seinem Stuhle zurecht und bat Sonja mit ernster Miene, das Manifest vorzulesen.

      »Der Feind ist mit großer Macht in Rußlands Gebiet eingedrungen, er verheert unser geliebtes Vaterland!« las Sonja mit ihrer dünnen Stimme. Natalie blickte bald ihren Vater, bald Peter an. Peter fühlte ihren Blick auf sich und suchte ihn zu vermeiden. Die Gräfin begleitete jeden feierlichen Ausdruck mit erzürntem Kopfschütteln. Schinschin war in spöttischer Stimmung und bereit, sich über alles lustig zu machen, über Sonjas Vorlesen, über das, was der Graf sagen werde, sogar über den Aufruf selbst in Ermangelung eines anderen Gegenstandes.

      Sonja las von den Gefahren, welche Rußland drohten, und von den Hoffnungen, welche der Kaiser auf Moskau und besonders auf den Adel setzte. Die letzten Worte las sie mit zitternder Stimme: »Wir werden demnächst inmitten unseres Volkes in der Residenz erscheinen, sowie in anderen Städten unseres Reiches, um den Landsturm aufzurufen, welcher dem Feinde den Weg verlegen und ihn in Schrecken versetzen wird, wo er auch erscheinen mag. Das Verderben, das er uns zugedacht hat, wird auf sein Haupt zurückfallen, und das befreite Europa wird den Namen Rußlands preisen.«

      »Ja, so ist’s!« rief der Graf mit feuchten Augen. Schinschin hatte seinen Witz über den Patriotismus des Grafen noch nicht ausgesprochen, als schon Natalie aufsprang, auf ihren Vater zueilte und ihn umarmte.

      »Sieh doch, die Patriotin!« sagte Schinschin.

      »Scherz


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